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#Sprechen Sie Vorurteil?

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Sprechen Sie Vorurteil?

Wer über Geschlechterfragen als Sprachprobleme nachdenkt, tut gut daran, sich einmal mit Finnisch und Ungarisch zu befassen. In diesen Sprachen wie auch im Estnischen und in einigen asiatischen haben Pronomina kein Geschlecht, Sätze nach dem Muster „er/sie liebt ihn/sie“ und „er/sie ist klüger als er/sie“ werden in diesen Sprachen in allen hier logisch möglichen Geschlechterkombinationen völlig gleich klingen und aussehen. Diese linke Utopie ist also etwa in Ungarn (gleichgültig, wer dort regiert) Alltagsrealität.

Als wir ungarischen Kinder in der Schule die englischen Fürwörter „he“ und „she“ lernten, fand ich es extrem schwierig, in jedem Satz über Personen das korrekte Geschlecht der menschlichen Subjekte oder Objekte mitzuteilen. Deutsch fiel mir noch schwerer, weil plötzlich nicht nur Leute, sondern alle Dinge Geschlechter hatten und jeder Fehler Stirnrunzeln hervorrief. Jedes Mal, wenn ich wieder längere Zeit Ungarisch gesprochen habe, derzeit hauptsächlich am Telefon, da ich in Deutschland als Chemiker lebe und arbeite, fällt es mir abermals schwer, mich auf die Geschlechterdifferenzierungen umzustellen. Das geht auch dem Programm „Google Translate“ so, denn da mischen sich, wenn man geschlechtslose ungarische Sätze ins Englische übersetzen lässt, offenbar sofort Vorurteile ein: „She“, also sie, ist „beautiful“ oder „janitor“, also schön und mit Reinigungsaufgaben befasst, während „he“, also er, „clever“ ist oder „physician“ oder „boss“ oder „pilot“ oder „engineer“, also klug, Arzt, Chef, Pilot und Ingenieur, obwohl diese Wörter im Englischen, anders als zumindest die Hauptwörter im Deutschen (wo man „Pilotin“ sagen muss), kein Geschlecht verraten.

Hängen Sprache und Denkweise zusammen?

Geschichten wie „Story of Your Life“ von Ted Chiang und Filme wie der nach Chiangs Erzählung gedrehte „Arrival“ von Denis Villeneuve machen Kunst aus der Idee, dass die Sprache, die wir benutzen, viel mit unserer Denkweise zu tun hat. Setzt man diesen Gedanken freilich absolut, müsste man annehmen, dass es in Ungarn, Finnland und Estland, wo Sprachen gesprochen und geschrieben werden, deren für Deutsche besonders verblüffende Eigenschaften ich eben erläutert habe, weder Homophobie noch Frauenfeindlichkeit geben könnte. Andererseits legen jüngere Medienberichte gerade aus Ungarn eher das Gegenteil nahe. Sehen wir uns also kalte Zahlen und Daten an. In ihrem „Rainbow Report“ für 2020, einer Art Menschenrechts-Wasserstandsmeldung, hat die belgische Nichtregierungsorganisation ILGA-Europe die Lage in Europa und Zentralasien untersucht, im Blick auf Ämterzugang und andere öffentliche wie private Freiheiten und Chancen. Die Erhebung operiert mit einer Skala zwischen null und hundert Prozent, wobei hundert „völlige Gleichstellung der Minderheiten“ und null „extreme Diskriminierung“ bedeutet.

Deutschland hat die Organisation 51 Prozent zugewiesen. Die politischen Regionen Europas lassen sich anhand der Aufstellung recht deutlich unterscheiden. Der ehemalige Ostblock verzeichnet allgemein niedrigere Werte, die höheren findet man bei den skandinavischen und den Benelux-Ländern. Finnland steht mit 66 Prozent zwischen Norwegen (68 Prozent) und Schweden (63 Prozent), während Ungarn, das gegenüber dem letzten Erhebungsjahr acht Prozent verloren hat, mit seinen 33 Prozent immer noch besser dasteht als etwa Rumänien (19 Prozent), Bulgarien (20 Prozent) oder die Tschechische Republik, aber schlechter als Slowenien (42 Prozent) oder Kroatien (46 Prozent). Das dritte Land der Sprachenfamilie, über die ich rede, Estland, steht höher (38 Prozent) als etwa die Schweiz (36 Prozent). Interessanterweise sind die Daten in Südeuropa erheblich stärker gestreut, Spanien etwa gehört zu den liberalsten Ländern Europas (67 Prozent), während Italien (23 Prozent), Monaco (11 Prozent) und San Marino (13 Prozent) zu den am stärksten diskriminierungsbereiten auf dem Kontinent gehören, mit schlechteren Werten als viele osteuropäische Länder, inklusive Ungarn.

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