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#Sputnik-Schock für Disney

Sputnik-Schock für Disney

Man werde Ausschau halten nach dem „Bunny Girl“. Mit amerikanischer Nonchalance bestätigte der Astronaut Michael Collins im Juli 1969 den Auftrag der Nasa-Bodenstation, nach einer reizenden Chinesin zu suchen, die offenbar viertausend Jahre zuvor auf den Mond verbannt worden sei, weil sie eine Überdosis an Unsterblichkeitspillen geschluckt hatte. Der Legende nach war die zweite Pille für ihren Mann bestimmt, den Bogenschützen Houyi. Sein Zurückbleiben: eine ewige Sehnsuchtswunde für Chang’e, die Frau im Mond. Zu ihr gesellte sich nur ein Elixiere herstellender Jadehase. Collins spürte weder die Mondgöttin auf noch den Hasen. Dabei ist er mehrfach um die erdabgewandte Seite des Trabanten gekreist, während Armstrong und Aldrin im Staub herumhopsten. Er muss zufällig eine der Trauerphasen erwischt haben, in der die Lichter in Chang’es Reich erlöschen, denn was er sonst gesehen hätte, wissen wir jetzt, und da ist Überdosis durchaus treffend: Kein LSD-Trip reicht an diesen fluoreszierenden Neon-Rausch heran. Die Macher von „Die bunte Seite des Monds“ müssen irgendwie an das Hasen-Elixier gelangt sein.

Verlassen ist der Mond ohnehin nicht. Nicht nur zwölf amerikanische Raumfahrer haben ihn inzwischen besucht, sondern eine unübersehbare Zahl an Sci-Fi- und Comic-Helden, selbst geknetete wie das grandiose Duo „Wallace & Gromit“, das bereits 1989 zu bestimmen versuchte, aus welcher Käsesorte der Himmelskörper denn nun gemacht ist. Aber so überdreht wie in dieser umwerfend gefühlsduseligen, gewitzten, aber auch grenzwertig pop-dümmlichen Großproduktion, einem animierten Musical-Märchen (Musik von Steven Price), ist es auf dem Mond wohl seit der handkolorierten Version von Georges Melies’ „Voyage dans la Lune“ aus dem Jahr 1902 nicht mehr zugegangen. Die Schuss-ins-Auge-Mission wird bis in die Landung hinein direkt zitiert. Mit dem neuen Netflix-Film rundet sich gewissermaßen die Mondlandung des Kinos.

Kaugummibunter Walpurgisnachttraum der Tiktok-Generation

Die Handlung passt auf einen der Mondkekse, die Fei Feis liebevolle Familie backt und an einem kleinen Stand verkauft. Von der früh gestorbenen Mutter bleiben der aufgeweckten Dreizehnjährigen – auch sie ein „Bunny Girl“, wobei ihr Begleiter ein Kaninchen ist – nur die Erzählungen über Chang’e. Als ihr Vater nach einigen Trauerjahren mit der hübschen, gar nicht so üblen Mrs. Zhong anbandelt, wächst in Fei Fei der Wunsch, die von allen für ein Märchen gehaltene Chang’e-Legende zu beweisen – und damit die Möglichkeit der ewigen Liebe, was es dem Vater doch unmöglich machen sollte, noch einmal zu heiraten. In einer „Fly away“-Schmetterattacke, deren Pathos selbst eine Schmalzballade wie „Let it go“ der „Eiskönigin“ Elsa in den Schatten stellt, fragt sie sich: „Could I discover a way to break trough? / What could a girl like me possibly do?“ Und gibt sich selbst die Antwort: „Build me a rocket, imagine the view.“ Es geht also, nach ein wenig Tüftelei, zum Mond. Dort steht Fei Fei bald die Göttin gegenüber, die sich aber, warum auch immer, als eine Art chinesisches Megastarlet erweist, das à la Katy Perry mit billigen K-Pop-Nummern vor den eigenen Tränen – einem Riesen-Stadionpublikum – auftritt.

Spätestens da verwandelt sich das um Trauer und Liebe kreisende Märchen in einen kaugummibunten Walpurgisnachttraum der Tiktok-Generation, der nach einer knalldoofen Zwischenhandlung nur mühsam wieder die Kurve in ein tränenseliges Finale voller versöhnlicher Botschaften bekommt. Es sind die kleinen Einfälle, die das Drehbuch der vor zwei Jahren früh gestorbenen kalifornischen Autorin Audrey Wells trotzdem charmant machen, die Plaudereien des grünen Mondschweins Gobi etwa. Wie man Rasanz und Witz verbindet oder dass so viele tierische Begleiter wie nur möglich unterzubringen sind, das weiß der in den Disney Studios groß gewordene Regisseur und Chefzeichner Glen Keane natürlich sehr genau. Ebenso, dass die zugrundeliegende (und verschenkte) Legende dem Publikum so schnurzegal ist wie seinerzeit Raumfahrer Collins.

Im englischsprachigen Original singen und sprechen mehrheitlich bekannte amerikanisch-asiatische Schauspieler mit Musical-Erfahrung (Cathy Ang, Philippa Soo, Ken Jeong); in der deutschen Synchronisation leiht Friedel Morgenstern Fei Fei ihre Stimme. Vanessa Mai hat „Fort von hier“ („Fly away“) eingesungen. Dass das alles mehr nach Disney aussieht als Disney selbst, hat Methode (als Ko-Regisseur fungiert Pixar- und Disney-Animator John Kahrs), denn „Over the Moon“ ist – alle Liebe und Versöhnung beiseite – ein kosmischer Großangriff auf die Mausohren-Märchenkönige von Burbank, Kalifornien. Verantwortlich zeichnet das seit 2012 bestehende Pearl Studio in Schanghai, ein Joint Venture aus Dreamworks und chinesischen Investoren, aber wichtiger ist der Auftraggeber.

Netflix stößt mit dieser wuchtigen Produktion in das lukrative Segment des animierten Familien-Musicals vor. Dermaßen selbstgewiss ist dieser Griff zu den Sternen, dass man die quietschbunte Mondstadt Lunaria sogar frech und offensichtlich als astral verstrahlte China-Kopie des berühmten Schloss-Logos des Konkurrenten angelegt hat. So überzeugend das fernöstliche Setting auf der Erde aber wirkt, bleibt Keanes Trauerbewältigungsmärchen erzählerisch dann doch deutlich tapsiger als der mutmaßlich zum Vorbild genommene Pixar-Film „Coco“. Die Tonalität stimmt nicht: Das ernste Grundmotiv und die Disco-Zappeligkeit fallen unschön auseinander. Die Entenhausener sollte das nicht allzu zu sehr beruhigen. Auch eine halbe Bruchlandung ist eine Landung.

Die bunte Seite des Monds ist von diesem Freitag an auf Netflix abrufbar.

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