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#Stell dir vor, es wäre immer 1988

Stell dir vor, es wäre immer 1988

Und wenn die DDR gar nicht untergegangen ist? Wenn sie – hoffnungslos, bleiern und dumpf – einfach weiterlebt als ein unendliches 1988? Wenn sie sich wie Rost ins vereinigte Deutschland frisst, Licht und Lebensfreude verschluckt, Zukunft vernichtet, jeden Mut einschüchtert, weil alle Hoffnungen, die mit ihrem Untergang verbunden waren, in Enttäuschungen umgeschlagen sind, in Verbitterung aus der Erfahrung von Betrug und Erniedrigung – nur noch viel schlimmer, weil jetzt das Wissen hinzukam, dass Auflehnung sich nicht mehr lohnt und es Alternativen nicht mehr gibt?

Der Drehbuchautor Clemens Meyer jedenfalls entwirft mit dem Regisseur Thomas Stuber in der Jubiläumsfolge zu fünfzig Jahren „Polizeiruf 110“ ein Bild von einem traumatisierten, in sich selbst versackten Land, das der Kameramann Nikolai von Gaevenitz nicht nur nachtsüber ins müde Gelb des Lichts von Natriumdampflampen taucht. Es ist eigentlich immer Nacht in diesem Film, auch am Tage, und es ist immer Herbst, auch im Frühling.

In „An der Saale hellem Strande“ – so der Titel – geht es finster zu. Am Abend des 7. November wird der Kellner Uwe Baude vor seinem Haus in Halle erstochen. Per Funkzellenüberwachung machen die „Polizeiruf“-Neulinge Henry Koitzsch (Peter Kurth) und Michael Lehmann (Peter Schneider) alle ausfindig, die zur vermutlichen Tatzeit in der Nähe telefoniert haben. Die Protokolle der Vernehmungen und die Porträts der Vernommenen schließen sich zusammen zu einem Panorama der Verwahrlosung: zynischer Empathiemangel bei dem manipulativen Flittchen Katrin Sommer (Cordelia Wege), Versoffenheit und Erschleichung von Sozialleistungen beim Ehepaar Olaf und Silke Berger (Sebastian Weber und Tilla Kratochwill), trostlose Demenz beim greisen Ex-Reichsbahner Günter Born (Hermann Beyer).

Dynamisch würde man ihren Einsatz nicht nennen: Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider, links) und Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth).


Dynamisch würde man ihren Einsatz nicht nennen: Kommissar Michael Lehmann (Peter Schneider, links) und Kommissar Henry Koitzsch (Peter Kurth).
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Bild: MDR/filmpool/Felix Abraham

Die Ermittler haben dieser Welt kaum etwas entgegenzusetzen. Koitzsch, vereinsamt und unzugänglich, besucht einen Zuhälter in der Knastbibliothek, gesteht dem Freund auf der anderen Seite des Gesetzes, dass er nur noch auf die Rente warte, und fährt danach besoffen Auto. Sein Kollege Lehmann, immerhin liebevoller Familienvater mit einem Rest von Wut auf diese Welt, beichtet derweil seinem Schwiegervater: „Bin sechsundvierzig, denk aber nur an die Rente.“ Dieser Film ist ein Ermittlerkrimi mit reicher Zeugen-Milieuschilderung und zugleich Momentaufnahme einer zukunftslosen Gesellschaft.

Berater des MdI waren bei den Dreharbeiten zugegen

Seismographische Qualitäten für das, was los ist im Lande, hatte der „Polizeiruf“ immer schon. Erich Honecker, der Walter Ulbricht 1971 in einer Art Palastputsch als Vorsitzenden der SED entmachtet hatte, soll sich gleich zu Beginn seiner Amtszeit entrüstet haben über die Langeweile im Fernsehen der DDR. Ein Team wurde beauftragt, ein ostdeutsches Pendant zum „Tatort“ zu entwickeln, der im Jahr zuvor auf Sendung gegangen war. Am 27. Juni 1971 konnte der erste „Polizeiruf 110“ gesendet werden: „Der Fall Lisa Murnau“. Es ging um einen Postraub über siebzigtausend Mark. Neben Peter Borgelt als Oberleutnant Peter Fuchs ermittelte auch Sigrid Göhler als Leutnant Vera Arndt – die erste Ermittlerin im deutschen Fernsehen; erst sieben Jahre später zog Nicole Heesters im Westen nach.

Neunzig Prozent der verarbeiteten Fälle bezogen sich auf Polizeiakten, die den Drehbuchautoren vom Ministerium des Innern (MdI) zum Studium zur Verfügung gestellt wurden. Fachberater des MdI waren bei den Dreharbeiten immer zugegen. Andreas Schmidt-Schaller, der von 1986 an als Leutnant Thomas Grawe ermitteln durfte und in der Jubiläumsfolge den Schwiegervater von Michael Lehmann spielt, erinnert sich an diese Nähe: „Die Zusammenarbeit mit den Fachberatern bei den Dreharbeiten war sehr gut und hilfreich. Dadurch wurde das Filmen von Einsätzen viel authentischer. Sie korrigierten uns, wenn wir aus unerfindlichen Gründen zu viel mit der Pistole herumgefuchtelt haben. Es wurde streng darauf geachtet, dass das, was wir vor der Kamera taten, aus polizeilicher Sicht alles Hand und Fuß hatte.“ Über heutige Tschiller-Ballereien hätte man vermutlich gelacht.

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