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#Studieren mit dem Asperger-Syndrom

Studieren mit dem Asperger-Syndrom

Im Münchner Giftpflanzengarten wurden tödliche und harmlose Gewächse mit Absicht nebeneinander gesetzt. Veronika Pengler, 27 Jahre alt, steht über eines der Beete gebeugt und erklärt, wie man die Pflanzen voneinander unterscheidet, und auch, warum man sie so leicht verwechselt. Ihr selbst könnte ein solcher Fehler nie passieren. Pengler studiert Gartenbau, befasst sich schon seit ihrer Kindheit mit verschiedenen Giften und ist obendrein hochbegabt – ihr IQ wurde auf über 145 Punkte geschätzt. Trotzdem hatten Psychologen jahrelang gesagt, dass sie nie einen Schulabschluss machen werde. Wie passt das zusammen?

Pengler hat das Asperger-Syndrom, eine hochfunktionale Form des Autismus. Auf sieben männliche Asperger-Patienten kommt im Schnitt nur eine Patientin. Das liegt einerseits wohl an den Vorurteilen der Psychologen, die das Syndrom bei Frauen leicht mit der Borderline-Störung verwechseln, hat andererseits aber mit den Patientinnen selbst zu tun. „Autistinnen maskieren vieles, um nicht aufzufallen“, erklärt Pengler im Giftpflanzengarten, wo wir uns zum Spaziergang getroffen haben. „Wir lernen aus Serien und Filmen über die Welt der normalen Menschen, wie aus einem Skript.“

In dieser Welt der normalen Menschen findet sich Pengler erst dank einer Therapie zurecht. Die Therapie besucht sie in München, wo sie auch wohnt und studiert. Andere pauken ein paar Wochen lang für die Klausurenphase. Sie hingegen muss neben dem Studium permanent neue Fähigkeiten erwerben, um nur im Alltag bestehen zu können. Besonders empfindlich ist Pengler gegen Lärm und Gerüche. War während der Schulzeit mal wieder ihre Klasse zu laut, erlitt sie wegen der Reizüberflutung einen psychischen Zusammenbruch. Die Mädchen ihrer Klasse quälten sie, indem sie die Fenster schlossen und dichte Parfümschwaden versprühten.

Ich konnte nicht einmal mehr in Gesichter blicken

Heute, im Gartenbau-Studium, bekomme sie es höchstens mit dem Körpergeruch der Kommilitonen zu tun. Wie der Duft von Bärlauch oder Stinkender Nieswurz kann ihr Schweißgeruch aber nichts anhaben, weil es ein organischer Geruch ist. Veronika Penglers Abneigung gegen alles Künstliche hat bei ihrer Studienwahl eine wichtige Rolle gespielt. In der Großstadt spüre sie eine extreme Beklemmung, die wie eine graue Wolke auf ihr laste. „Nur in der Natur wird meine Seifenblase groß genug, um andere Menschen hineinzulassen“, sagt sie.

Eine Journalistin hätte sie an diesem Tag trotzdem nicht treffen wollen. Unter Frauen gebe es besonders viele ungeschriebene Regeln, die ihr zu schaffen machten. Ihre Therapeutin hat ihr erklärt, welche Funktionen solche Konventionen jeweils erfüllen, etwa, warum höfliche Komplimente nicht immer ganz aufrichtig sind. Das Beste an diesem Lernprozess ist aber: Pengler muss in der Therapie ihre eigene Wahrnehmung der Dinge nicht aufgeben. Zum Beispiel, warum für sie die Natur eine Kirche ist, wie sie Spazierwege nach der Summe ihrer Bäume auswählt oder warum sie Blaubeeren auf Kreuzungen legt, um sie den Göttern zu opfern – auf all diesen Gedankengängen kommt ihr die Therapeutin so weit entgegen, bis daran nichts Seltsames mehr, sondern nur etwas Radikales ist.

Hartnäckig hält sich der Mythos, dass eine Therapie bei Autismus nicht helfen könne. Das Störungsbild spielt nur eine Nebenrolle im Psychologiestudium und in der anschließenden Ausbildung, später trauen sich dann viele Therapeuten nicht mehr an den Autismus heran. Deshalb gibt es in Deutschland noch immer einen Mangel an Angeboten, besonders für erwachsene Autistinnen und Autisten. 2019 schloss am Max-Planck-Institut eine der wenigen Adressen in München. Jetzt gibt es mit dem Institut VFKV (Verein zur Förderung der klinischen Verhaltenstherapie) eine neue Anlaufstelle, wo sich junge Therapeuten in ihrer Ausbildung sogar auf das Asperger-Syndrom spezialisieren können. Dass die Therapeuten dort, wie sie, noch Anfänger sind, gefällt Veronika Pengler besonders gut.


Die meisten jungen Patienten, die in das Institut kommen, haben davor schon mehrere Fehldiagnosen erhalten und sind lange gegen eine Mauer angerannt. Damit der Asperger-Autismus erkannt wird, muss oft eine Begleiterkrankung hinzutreten; bei Pengler war es das Burnout-Syndrom. Ihre Versuche, sich Gleichaltrigen anzupassen, haben ihr so viel Stress bereitet, dass sie sich letztlich selbst sabotierten. Die Asperger-Symptome nahmen damals nicht ab, sondern zu: „Nach meinem Burnout konnte ich nicht einmal mehr in Gesichter blicken, Gesprächen folgen oder angefasst werden.” Seitdem sei es ihr nicht mehr ganz so wichtig, dazuzugehören. Sie wohnt heute mit ihrem festen Freund zusammen, der sich ebenfalls auf dem Autismus-Spektrum befindet – und der ähnlich gern für sich bleibt.

Pengler versteht mittlerweile auch, was sie zu einer Außenseiterin macht. Sie nimmt Spinnen auf die Hand, aber erschaudert vor den Inhaltsstoffen von Kosmetikprodukten. Nicht jeder Mittzwanziger, der Kosmetika nutzt, möchte von ihr über die Produkte im Detail belehrt werden. Menschen ohne Autismus seien voller Widersprüche, sagt Pengler, sie seien rücksichtslos und achtlos. „Würde sich die normale Welt zur Abwechslung an uns anpassen, wäre das sogar förderlich. Es gäbe dann jedenfalls mehr Ehrlichkeit in der Welt.“

Und falls es nie dazu kommt? Mithilfe ihres Studiums will Pengler eines Tages einen integrativen Gartenbaubetrieb gründen, um so auch anderen Autistinnen und Autisten einen Job im Grünen zu verschaffen.

Victor Sattler (23 Jahre alt) studiert Psychologie und Soziologie an der Universität München. Echte Menschenkenntnis sammelte er aber eher als Kellner, Bartender, Nachhilfelehrer, am Theater und als Journalist.

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