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#Synthetische Mausembryos gezüchtet

„Synthetische Mausembryos gezüchtet

Ohne Eizelle, Spermium oder Gebärmutter haben Forscher im Reagenzglas synthetische Mausembryos aus Stammzellen hergestellt. Die künstlichen Embryos entwickelten sich 8,5 Tage lang – fast die Hälfte der Schwangerschaftsdauer einer Maus – sehr ähnlich zu echten Embryos und bildeten in dieser Zeit alle Gehirnregionen, ein schlagendes Herz sowie die zelluläre Grundlage aller weiteren Organe. Die Studie zeigt das Potenzial künstlicher Embryos für Forschung und Medizin, wirft aber auch neue ethische Fragen auf.

Auf natürliche Weise entsteht ein Embryo, wenn eine Eizelle von einem Spermium befruchtet wird, sich daraufhin beginnt zu teilen und sich in die Gebärmutterschleimhaut einnistet. Dass all diese Faktoren verzichtbar sein könnten, galt lange als unvorstellbar. Doch Anfang August berichtete ein israelisches Forschungsteam, dass es synthetische Mausembryos aus Stammzellen hergestellt und in einem ebenfalls von dem Team entwickelten Brutapparat mehrere Tage gezüchtet hat.

Künstliche Organismen mit Herzschlag und Gehirn

Ein Team um Gianluca Amadei von der University of Cambridge hat nun ähnliche Ergebnisse veröffentlicht. Aus drei verschiedenen Arten von Stammzellen züchteten sie synthetische Mausembryos, sogenannte Embryoiden, und ließen diese in dem vom israelischen Team entwickelten Brutapparat heranreifen. Erst nach 8,5 Tagen stoppte die Entwicklung aus bislang unbekannten Gründen. Da bei Mäusen die natürliche Schwangerschaft nur etwa 19 Tage dauert, hatten die Embryoiden bis dahin bereits bedeutende Entwicklungsschritte durchlaufen: „Unser Mausembryomodell entwickelt nicht nur ein Gehirn, sondern auch ein schlagendes Herz und alle Komponenten, aus denen der Körper später besteht“, berichtet Amadeis Kollegin Magdalena Zernicka-Goetz.

Mit Hilfe von Einzelzellanalysen untersuchte Amadeis Team die Embryoiden im Detail. Dabei zeigte sich, dass die synthetischen Embryoiden eine erstaunliche Ähnlichkeit zu natürlichen Mausembryos aufwiesen. Alle 26 Zelltypen, die bei natürlichen Embryos vorkommen und aus denen sich im weiteren Verlauf die einzelnen Organe entwickeln, waren auch bei den Embryoiden vorhanden. Überdies waren bei den Embryoiden alle Gehirnregionen entstanden. „Dies eröffnet neue Möglichkeiten, die Mechanismen der Neuroentwicklung in einem experimentellen Modell zu untersuchen“, sagt Zernicka-Goetz

Einblicke in die früheste Schwangerschaft

Aus Sicht der Autoren könnte die neue Entwicklung zahlreiche neue Forschungsmöglichkeiten bieten. Zum einen bietet sie einen zuvor unmöglichen Einblick in die frühesten Phasen der Schwangerschaft. „Diese frühe Phase ist die Grundlage für alles, was in der Schwangerschaft folgt“, sagt Zernicka-Goetz. „Das Modell des Stammzellembryos verschafft uns Zugang zu der sich entwickelnden Struktur in einem Stadium, das uns normalerweise durch die Einnistung des winzigen Embryos in die Gebärmutter der Mutter verborgen bleibt. Dieser Abschnitt des menschlichen Lebens ist so geheimnisvoll, dass es etwas ganz Besonderes ist, zu sehen, wie er in einer Schale abläuft, Zugang zu diesen einzelnen Stammzellen zu haben, zu verstehen, warum so viele Schwangerschaften scheitern und wie wir das vielleicht verhindern können.“

Unter anderem beobachteten die Forscher, wie die drei verwendeten Stammzelltypen miteinander kommunizieren. Um die natürlichen Bedingungen nachzubilden, nutzten sie neben embryonalen Stammzellen auch zwei Typen sogenannter extraembryonaler Stammzellen, aus denen sich die Plazenta und der Dottersack bilden. Amadei und sein Team fanden heraus, dass diese extraembryonalen Zellen nicht nur über chemische Signale mit den embryonalen Zellen interagieren, sondern sie auch mechanisch stimulieren und damit die Entwicklung des Embryos steuern. „Wir haben gesehen, wie der Dialog zwischen den verschiedenen Arten von Stammzellen abläuft und was dabei schiefgehen kann“, so Zernicka-Goetz.

Genmanipulationen an Embryoiden

Neben Einblicken in die früheste Embryonalentwicklung bietet das Modell auch die Möglichkeit, genetische Erkrankungen und die Aufgaben bestimmter Gene besser zu verstehen. Als Demonstration dieses Potenzials hat Amadeis Team bei einigen der künstlichen Embryoiden ein Gen ausgeschaltet, das bekanntermaßen für die Bildung des Neuralrohrs und für die Entwicklung von Gehirn und Augen wesentlich ist. „Fehlt dieses Gen, zeigen die synthetischen Embryonen genau die bekannten Defekte in der Gehirnentwicklung wie bei einem Tier, das diese Mutation trägt“, erklärt Zernicka-Goetz. „Das bedeutet, dass wir diese Art von Ansatz auf die vielen Gene mit unbekannter Funktion in der Gehirnentwicklung anwenden können.“ Auf diese Weise könnte das Embryomodell dazu beitragen, Tierversuche zu ersetzen.

Ethische Herausforderungen

Während die aktuellen Forschungen an Mausembryoiden stattfanden, arbeiten die Forscher bereits daran, die Methoden auch für synthetische menschliche Embryos anzuwenden. Wie realistisch dieses Ziel ist, ist aktuell noch unklar. Auch bei den Mausembryoiden lag die Erfolgsquote bei nur etwa einem Prozent und die Entwicklung brach zu Beginn der Organentstehung ab. Aus Sicht von Michele Boiani, Leiter der Arbeitsgruppe „Mouse Embryology“ am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, der nicht an der Studie beteiligt war, ist die Übertragung auf den Menschen aus technischer Sicht durchaus im Bereich des Vorstellbaren. „Allerdings müssten die Bioreaktoren nicht Tage oder Wochen, sondern Monate halten – eine aktuell noch fast unüberwindbare Herausforderung“, sagt er.

Problematisch ist aus seiner Sicht allerdings der ethische Rahmen: „Die Richtlinien der International Society for Stem Cell Research (ISSCR) erlauben zwar die Herstellung synthetischer menschlicher Embryonen, verbieten aber deren Übertragung auf die Gebärmutter, was immer als die wichtigste Barriere zur Verhinderung von höchst unethischen Experimenten galt“, erklärt Boiani. „Nun, wie wir in diesen beiden Mäusestudien sehen, ist die Übertragung auf die Gebärmutter unnötig, und so werden die ISSCR-Richtlinien zu einem zahnlosen Tiger.” Bislang dürfen menschliche Embryos im Labor höchstens 14 Tage kultiviert werden – doch es wird bereits diskutiert, diese Regel in ausgewählten Fällen zu lockern. Wie synthetische Embryoide einzuordnen sind, ist aktuell noch weltweit unklar.

Quelle: Gianluca Amadei (University of Cambridge, UK) et al., Nature, doi: 10.1038/s41586-022-05246-3

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