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#Morgen kommt der Kartonmann

Morgen kommt der Kartonmann

Bestenfalls so mittel tobt in Deutschland die Vorweihnachtsstimmung. Vielerorts beklagt wird der pandemiebedingte Verlust der Weihnachtsmärkte. Klar, der ist schon traurig, vor allem für die system­relevante Tand- und Ramschwarenwirtschaft. Die Verklappung von Tankwagenglühwein liegt darnieder – für die Be­wohner der vielen Bretterbuden, die sich in den vergangenen Jahren unaufhaltsam wie Krebs­geschwüre durch die Innenstädte ­fraßen, eine echte Katastrophe.

Doch wer braucht noch Weihnachtsmärkte, wo es doch immer mehr nette Nachbarn und damit auch immer mehr Geschenkkartons auf bundesdeutschen Gehsteigen gibt? Als ich im Sommer 2016 meine erste unverhoffte Straßenkarton­begegnung hatte, da dachte ich noch, der Behälter mit der kaputten Schreibtisch­lampe, zwei ­Bilderrahmen und ein paar Büchern sei ein vergessener Umzugs­karton. In­zwischen weiß ich aber: Hinter oder unter jedem Karton steckt ein Schicksal – und ein großes Herz; das Haushaltsgegenständen, die zum Auszug verdammt sind, ein grausames Ent­sorgungsschicksal ersparen möchte.

Alles, was das Finderherz begehrt

Und so verbreitet sich seit ein paar Jahren die schöne Sitte, unbekannte Passanten im Weichbild der Städte reich zu beschenken: einfach einen ollen Karton von der letzten Onlinebestellung greifen, mit Präsenten bestücken, dann mit der Aufschrift „zu verschenken“ versehen – und raus damit auf die Straße. Der neue Volksbrauch macht erfreulich schnell Schule: Mittlerweile gibt es in meinem Viertel kaum noch eine Straße, an der sich nicht irgendwo ein barmherzig bestückter Überraschungskarton auf dem Trottoir fände.

Auf bundesdeutschen Gehsteigen: Zu verschenken.


Auf bundesdeutschen Gehsteigen: Zu verschenken.
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Bild: Oliver Maria Schmitt

Deswegen habe ich in diesem Jahr erstmals auf die Anschaffung eines kostspieligen Adventskalenders verzichtet. Anstatt jeweils ein neues Türchen zu öffnen, gehe ich einfach jeden Tag mit einem großen leeren Beutel vor die Tür. Weihnachts­spazieren! Morgens weckt mich schon die Vorfreude: Schnell raus auf die Gass’, und die Vorweihnachtszeit ist gerettet! Meist finde ich schon nach kurzem Umherstreunen alles, was das Finderherz begehrt. Denn mein Quartier ist ein einziger be­gehbarer Adventskalender.

„Rechnungen 1991“

Schon am 1. Dezember gab’s einige hervorragend erhaltene Kleiderbügel (Plastik und Draht), die ich begeistert einsackte. Tags drauf wurde ich mit einem massiven Ladegerät (16,5 V) überrascht, für das mir nur noch das passende Gerät zum Laden fehlt. Ferner erbeutete ich einen alten ­Kinderrucksack mit Diddlmausapplikation, vier Tassen (teilweise bestoßen), eine Sonnenbrille, diverse Holzkleiderbügel, außerdem die wohl längst vergriffene LP „So schön wie heut’, so müßt es bleiben“ und einen leeren Leitzordner mit der Beschriftung „Rechnungen 1991“. Vor einem einsamen Stromkasten fand ich ein weißes Leibchen, das ich nur deswegen nicht mitnahm, weil keine Umkleidekabine in der Nähe war, wo ich es hätte anprobieren können. Dann noch ein Puzzle mit sehr vielen, aber nicht allen Teilen und CDs von Eros Ramazzotti und Pur. In der Ramazzotti-Hülle war allerdings gar keine Scheibe mehr drin, wofür ich dankbar war, da mir seine Musik noch nie gefallen hat. (Unter uns: Die Pur-CD ließ ich später diskret in einem anderen Karton verschwinden.)

Abnehmer gesucht: Manche Kartons gleichen einer Zeitreise.


Abnehmer gesucht: Manche Kartons gleichen einer Zeitreise.
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Bild: Oliver Maria Schmitt

Einmal lag vor einem Hofeinfahrtstor, direkt auf dem Asphalt, ein nahezu vollständiges Kaffeeservice (weiß); hier wurde wohl, ganz im Sinne des modernen, ressourcenschonenden, umverpackungsfreien Handels, ganz auf den Karton verzichtet. Vergangene Woche stand ein paar Straßen weiter, angelehnt an eine Litfaßsäule, eine Matratze (100 mal 140 Zentimeter) mit leichten Flecken im Körpermittelteil. Die ließ ich stehen für jemanden, der eine Matratze mit leichten Flecken im Körpermittelteil nötiger hatte als ich. Ferner gab es eine weitere CD von Eros Ramazzotti (leider mit Inhalt) und einen Föhn.

Kartonagemäßige Höhe- und Tiefpunkte

Am dritten Advent machte ich mich auf zur Weberstraße 40. Um allfällige Vorfreude schon anzufeuern, hatte jemand seine milden Kartongaben im Nachbarschaftsportal nebenan.de avisiert. Unter den Fotos einer alten Salatschleuder, eines Meterstabes und einiger Geschirrteile war zu lesen: „Ab 18.30 Uhr stelle ich ein paar Sachen vor die Türe Weberstraße 40: Salatschleuder, 2 Glasflaschen (war Öl/Essig drin), 4 Unter/Tassen, auch Suppenteller.“ Leider kam ich ein paar Minuten zu spät, da war die Salatschleuder schon weg. Nun aber bin ich wenigstens stolzer Besitzer zweier nur leicht blickdichter Glasflaschen (war wohl Öl/Essig drin). So gibt es kartonagemäßige Höhe-, aber auch Tiefpunkte.

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