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#Interview: Norbert Röttgen: „Putin denkt überhaupt nicht an einen Frieden“

„Interview: Norbert Röttgen: „Putin denkt überhaupt nicht an einen Frieden““



Außenpolitiker Norbert Röttgen hat Putin auch vor dem Krieg in der Ukraine schon scharf kritisiert. Der SPD wirft der CDU-Mann Appeasement vor – und fordert ein europäisches Öl-Embargo.

Herr Röttgen, Sie haben ein Buch geschrieben, das „Nie wieder hilflos“ heißt. Im Moment ist die deutsche Hilflosigkeit aber so groß wie nie. Wie lässt sich das denn jetzt noch ändern?
Norbert Röttgen: Indem wir uns unserer Hilflosigkeit bewusst werden und sie eingestehen. Das ist Voraussetzung dafür, diesen Zustand zu ändern. Unsere Hilflosigkeit ist kein Naturereignis, sondern das Ergebnis von Politik, und zwar von falscher Politik.

Wie also konnten wir überhaupt so hilflos werden?
Röttgen: Wir erleben diese Hilflosigkeit ja nicht nur jetzt in der Abhängigkeit von Öl und Gas aus Russland. Es gibt sie auch in anderen Bereichen, das macht die Sache ja so dramatisch. Wir waren hilflos, als die Pandemie ausbrach, und hatten nicht einmal Masken, obwohl klar war, dass wir mit solchen Katastrophen rechnen müssen. Als die Flüchtlinge auf einmal bei uns waren, waren wir auch hilflos, obwohl die Lage in den Flüchtlingslagern in Jordanien oder im Libanon bekannt war. Wir hatten sie ignoriert. Es gibt einen roten Faden, der zur Hilflosigkeit führt. Sie entsteht, wenn man Politik nach Wunschdenken statt mit Realismus macht. Und das trifft ganz besonders auf den Umgang mit Wladimir Putin zu.

Inwiefern?
Röttgen: Es war immer Wunschdenken, zu glauben, dass Putin unsere Abhängigkeit von russischen Energielieferungen und der Infrastruktur samt einiger Gasspeicher, die in russischem Besitz sind, nicht ausnützen würde. Selbst als im vergangenen Jahr sichtbar wurde, dass der Gazprom-Speicher nicht mehr ausreichend gefüllt war, haben wir uns nicht korrigiert – dabei geschah das ja nicht aus Zufall. Es sind also Wunschdenken und auch starke, wirtschaftliche Interessen ohne Rücksicht auf geopolitische Risiken, die zur Hilflosigkeit führen.

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Ihre Partei, die CDU, hat mit Angela Merkel 16 Jahre lang die Bundeskanzlerin gestellt – was hat sie falsch gemacht?

Röttgen: Natürlich gibt es eine Verantwortung der CDU als Regierungspartei und von Angela Merkel als Regierungschefin. Mein Anliegen ist aber nicht, Schuld zuzuweisen. Es geht jetzt darum, wie wir aus der Lage, in der wir uns befinden, wieder herauskommen. Im Falle Russlands war die CDU sicher nie die treibende Kraft, aber sie hat die Dinge laufen lassen. Sie hat sich etwa der Gaspipeline Nord Stream 2 nicht entgegengestellt, die ich immer kritisiert habe. Da hat man auf Kosten der Unabhängigkeit und der Wehrhaftigkeit Europas dem Druck der Industrie und der SPD nachgegeben. Das war ein schwerer Fehler.

Die SPD verweist gern auf die Ostpolitik von Willy Brandt – taugt die denn überhaupt als Rechtfertigung für Russlandversteher?
Röttgen: Kein bisschen. Ich bin der Meinung, dass Willy Brandt sich im Grab herumdrehen würde, wenn er das mitbekäme. Seine Ost- und Entspannungspolitik ist ein großes Stück deutscher Nachkriegsgeschichte. Aber in seiner Zeit gab es mit die höchsten Verteidigungsausgaben, zwischen drei und vier Prozent der Wirtschaftsleistung. Heute sind wir bei 1,3 und diskutieren über das Zwei-Prozent-Ziel. Die Situation heute ist auch nicht vergleichbar mit der damals. Putin will das historische Ergebnis des Endes des Kalten Krieges revidieren. Er will wiederherstellen, was Brandts Entspannungspolitik beseitigen wollte. Nämlich eine russische Einflusszone. Die Berufung auf Willy Brandt in der SPD ist in höchstem Maße missbräuchlich. Ihre Politik gegenüber Russland würde ich eher als Appeasement bezeichnen.

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Ein ständiges Nachgeben gegenüber aggressivem Auftreten also. Dachte Putin deshalb, er kommt mit allem durch?
Röttgen: Es bleibt natürlich hypothetisch. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn wir ihm entschiedener entgegengetreten wären. Aber allein die Vorstellung, dass uns dann einiges erspart geblieben wäre, ist ja dramatisch genug. Diese Nachgiebigkeit ist schon frappierend. Ein Jahr nach der russischen Besetzung der Krim wird Nord Stream 2 genehmigt, werden deutsche Gasspeicher, darunter der größte, an Russland verkauft. Da muss Putin doch gedacht haben, dass diese Deutschen zwar immer ganz laut in ihrer Empörung sind, aber kurz darauf schon wieder die größten Geschäfte machen. Deutschland wurde sicher nicht sehr ernst genommen und der Zustand der Bundeswehr hat da ein Übriges getan.

Die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen ist heute so hoch, dass sie trotz des Krieges unverzichtbar scheinen. Welchen Ausweg sehen Sie?
Röttgen: Es ist schmerzhaft, wie heftig sich jetzt die Folgen unserer jahrelangen Blauäugigkeit zeigen. Aber wir könnten bereits heute mehr tun, um diese Abhängigkeit schneller zu reduzieren. Die Bundesregierung muss sich viel couragierter für ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland einsetzen. Das würde Putin erheblich treffen. Denn er ist auch für den Öltransport auf Pipelines angewiesen. Über die Alternative, eine große Zahl an speziellen Schiffen, verfügt er nicht. Er hätte also keine Möglichkeit, wegbrechende Exporte auszugleichen.

Es gibt ja schon in Deutschland genügend Streit über den richtigen Kurs gegen Russland. Haben Sie den Eindruck, dass Bundeskanzler Olaf Scholz überhaupt einen Sieg der Ukraine anstrebt?
Röttgen: Olaf Scholz hat die Formulierung, dass die Ukraine den Krieg gewinnen soll, bewusst noch nie verwendet. Ich glaube, dass weite Teile der SPD und er noch zu stark von der Vorstellung geprägt sind, wir müssten Russland auch unter Putin behandeln wie ein rohes Ei. Aber dieses rohe Ei Putin führt einen brutalen Eroberungskrieg. Solange die Ukrainer nicht in der Lage sind, Russland abzuwehren, wird Putin diesen Krieg mitsamt der Kriegsverbrechen weiterführen. Darum bedeutet die Aussage „Die Ukraine soll gewinnen“, dass es ihr gelingen muss, diesen Krieg gegen sich abzuwehren. Nicht mehr. Nicht, dass Russland angegriffen wird, sondern dass der Angriff Russlands auf die Ukraine beendet wird.

Unternimmt die Bundesregierung also genug, um die Ukraine bei diesem Ziel zu unterstützen?
Röttgen: Zum einen hat sich in Deutschland in Politik und Gesellschaft in den vergangenen drei Monaten so viel verändert, wie es zuvor nie vorstellbar gewesen ist. Zum anderen aber ist Deutschland als größtes und wichtigstes Land Europas immer das langsamste, das gilt gerade, wenn es um Osteuropa geht. Das erzeugt bei den Osteuropäern und den baltischen Staaten riesige Enttäuschung. Leider ist das auch ein Teil der Entwicklung. Angesichts der Dramatik und der Brutalität dieses Krieges habe ich für diese Langsamkeit kein Verständnis.

 
Was also müsste die Regierung tun?
Röttgen: Sie müsste klarer in ihren Zielsetzungen werden und dann die dafür nötigen Maßnahmen konsequent umsetzen. Die Bundesregierung hat noch nicht einmal eindeutig gesagt, was sie eigentlich erreichen will. Mal heißt es, es dürfe keinen Diktatfrieden geben, aber Putin denkt überhaupt nicht an einen Frieden. Dann heißt es, ein sofortiger Waffenstillstand sei notwendig, aber das würde erhebliche Gebietsverluste für die Ukraine bedeuten. Meiner Meinung nach muss unser Ziel sein, dass die russischen Truppen sich wieder dorthin zurückziehen, wo sie vor dem 24. Februar waren. Dann wären sie immer noch auf ukrainischem Territorium, aber durch diesen Krieg wäre nichts erreicht worden.
Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen findet oft andere, klarere Worte als Kanzler Scholz. Wie bewerten Sie ihre Amtsführung?
Röttgen: Sie ist klar in ihren Aussagen, emphatisch und präzise. Aber sie ist natürlich auch belastet durch die Unklarheiten in dieser Regierung. Wenn nicht geliefert wird, was zugesagt ist, dann hilft auch Empathie nicht, das zu korrigieren.
Glauben Sie, dass Putin sich überhaupt durch Entscheidungen aus Deutschland beeindrucken lässt?
Röttgen: Wir sind aus Putins Sicht ohne Zweifel das wichtigste Land in Europa. Darum beobachtet er ganz genau, was wir sagen. Und noch genauer, was wir tun. Er hat völlig unterschätzt, was Deutschland bereit ist zu sagen und zu tun. Aber er wird genauso mit einem Teil Resthoffnung registrieren, welche Unklarheiten es noch gibt. Dass etwa Öl und Gas sowie der Finanzsektor, der damit zusammenhängt, von den Sanktionen ausgenommen sind. Putin wird hoffen, dass bei aller deutschen Empörung die Geschäfte weitergehen sollen. Dass es der Bundesregierung so schwerfällt, der Ukraine auch schwere Waffen zuzusagen und es dann wiederum so schwerfällt, diese auch zu liefern, daran wird er die Hoffnungen knüpfen, dass er weitermachen kann wie bisher.


 
In der Debatte ist oft von einer angeblich nötigen Gesichtswahrung für Russland die Rede. Welche Szenarien für ein Kriegsende halten Sie für denkbar?
Röttgen: Es darf keinen Anspruch darauf geben, dass man irgendwie gesichtswahrend herauskommt, wenn man einen brutalen Angriffskrieg beginnt. Das Motto „Ein Stück Land kriegst du dann schon“, das darf nicht gelten. Nachdem das klargestellt worden ist, darf es aber auch keine Demütigungen Russlands geben – das wäre falsch.
Führt der Weg zum Frieden über das Schlachtfeld oder den Verhandlungstisch?
Röttgen: Solange die Ukraine angegriffen ist, wird sie sich verteidigen und es ist richtig, dass wir sie dabei unterstützen. Das ist die Realität, die Putin gewählt hat.
Wie könnte eine Ordnung nach diesem Krieg aussehen und welche Rolle sehen Sie für die Ukraine?
Röttgen: Realistischerweise wird es darum gehen, die Sicherheit der Europäer einschließlich der Ukraine, der Republik Moldau und Georgiens gegen Russland zu organisieren. Darum wird auch die Europäische Union nicht einfach das bleiben können, was und wie sie bisher ist. Sie muss sich nach Osten orientieren. Als Vision für die Zukunft und für eine Zeit nach Putin muss daran gearbeitet werden, dass auch Russland wieder ein Teil der europäischen Ordnung wird. Das ist im Moment noch schwer vorstellbar, aber diese Vision dürfen wir trotz des schrecklichen Krieges nicht aufgeben.
Unter welchen Bedingungen kann es eine Wiederannäherung zwischen dem Westen und Russland geben?
Röttgen: Russland muss sich wieder dazu bekennen, dass jedes Land das Recht hat, seinen inneren und äußeren Kurs selbst zu bestimmen. Der Anspruch auf Einflusssphären, welche die Souveränität von Ländern einschränken, ist unvereinbar mit Frieden und Sicherheit in Europa.

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