#„Hohe Verluste am Anfang sind keine Überraschung“
Feuer: Ein ukrainischer Panzer in Chassiw Jar, westlich von Bachmut
Bild: AP
Militärfachmann Markus Reisner geht davon aus, dass Kiews Gegenoffensive begonnen hat. Im Süden der Ukraine haben sich die Besatzer tief eingegraben. Die Ukrainer treffen auf Minenfelder und die russische Luftwaffe.
Lieber Herr Reisner, in den sozialen Medien finden sich in diesen Tagen Videos von schweren Gefechten und Panzerkolonnen im Gebiet Saporischschja. Hat die lang erwartete ukrainische Gegenoffensive begonnen?
Es sieht ganz danach aus. In den vergangenen Wochen haben wir zunächst die Vorbereitungsphase dieser Offensive gesehen: Es gab an vielen Stellen kleinere Sondierungsangriffe. Außerdem hat man versucht, die Russen mit Angriffen auf die Region Belgorod zum Verlegen von Reserven zu zwingen. Zusätzlich gab es Angriffe auf Logistikknotenpunkte und Kommandostrukturen im Hinterland, etwa mit Storm-Shadow-Raketen. Die Ukrainer haben auch Flugabwehrsysteme näher an die Front verlegt, um ihre Bereitstellungsräume zu schützen.
Vor fünf Tagen sind die Ukrainer dann von der Vorbereitungsphase in die Entscheidungsphase übergegangen. Derzeit versucht man an drei Hauptangriffsachsen vorzurücken. Die befinden sich im Raum Bachmut, beim Frontvorsprung nordwestlich von Mariupol und nördlich der Stadt Tokmak im Gebiet Saporischschja. Dort liegt bislang der Angriffsschwerpunkt, die Ukraine hat mit mehreren bataillonsstarken Kampfgruppen, das sind rund 400-500 Mann, angegriffen. Bislang sind diese Truppen aber nur langsam vorangekommen. Ihnen ist es meist nur gelungen, rund 500 bis 2500 Meter vorzurücken. Wir sehen auf den Videos viel zerstörtes ukrainisches Militärgerät, auch westlicher Bauart. Die Russen haben sich dort über Monate tief eingegraben. Deshalb ist es für die angreifenden Ukrainer schwer, einen Durchbruch zu erzielen und sie erleiden hohe Verluste.
Dank der geleakten amerikanischen Geheimdienstdokumente weiß man relativ genau, welche Waffensysteme welcher Brigade zugeordnet sind. Eine Brigade besteht in der Regel aus drei Grenadierbataillonen mit etwa 400 bis 500 Mann. Diese verfügen über Fahrzeuge, mit denen die Infanterie transportiert werden kann. Dazu kommt noch ein Panzerbataillon, welches jeweils einheitlich mit Panzern eines Typs ausgestattet ist. Jede Brigade hat dazu auch noch ein Artilleriebataillon zur Unterstützung.
Den eingesetzten Waffensystemen nach zu urteilen, sind aktuell bereits die „Elite-Brigaden“ im Einsatz. Man kann etwa davon ausgehen, dass die mit Leopard-Panzern ausgestattete 47. Brigade an den Kämpfen teilnimmt. Das ist schon ein recht klares Indiz dafür, dass man dort mehr vorhat, als nur zu sondieren. Man muss davon ausgehen, dass die Ukrainer bislang bereits etwa drei Bataillone verloren haben, also etwa eines auf jeder Angriffsachse. Da zeigt sich auch das Problem des gelieferten Materials: Kampfpanzer oder Kampfschützenpanzer sind für derartige Angriffe gut geeignet – oft kommen aber minengeschützte Transportfahrzeuge zum Einsatz. Sie wurden für Patrouilleneinsätze gebaut. Deshalb haben sie weder Kette noch Kanone und sind im Gefecht ein leichtes Ziel.
Wie sieht die russische Verteidigung an den entsprechenden Frontabschnitten aus?