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#Der andere Islam

Der andere Islam

Fünfzehn gläubige Muslime haben sich versammelt. Erst geht es um Alkohol, dann um Sex. Aber anders, als in den meisten Moscheen darüber gesprochen wird. „Alkoholfreier Wein schmeckt schrecklich!“, ruft eine Muslimin mit lässig gebundenem Kopftuch. Und Gemeindevorsteher Marco Linguri gibt ihr recht: Es gehe doch nichts über einen französischen Rotwein, auch wenn er mittlerweile darauf verzichte.

Livia Gerster

Livia Gerster

Redakteurin in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Es ist, wie seit Wochen, eine virtuelle Gemeindesitzung. Wenn nicht gerade Corona ist, treffen sich die Gläubigen in einer Kirche in Frankfurt. Der Dialog mit anderen Glaubensgemeinschaften gehört zu ihrem Selbstverständnis. Die Imame des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) trauen auch christlich-muslimische Paare. In dem kleinen Raum der evangelischen Cyriakusgemeinde beten die Muslime normalerweise einmal im Monat Seite an Seite. Aber über den Bildschirm ist immer noch schöner als allein.

„Was nützen uns denn schöne Frauen?“

Eine der Zoom-Teilnehmerinnen versucht es mit einem Koran-Vers: „Im Paradies gibt es Wein und schöne Frauen“, setzt sie an, aber kommt nicht weit. „Was nützen uns denn schöne Frauen?“, fragt eine andere schelmisch. Marco beruhigt sie. Es gebe auch schöne Jünglinge im Paradies. Gelächter. Das ist den Muslimen vom Liberal-Islamischen Bund wichtig: dass es gerecht zugeht. Zwischen den Geschlechtern und überhaupt. Sie sind gläubig, sie sind muslimisch, aber sie sind liberal. Deshalb trinken manche von ihnen Wein. Deshalb beten Männer und Frauen hier zusammen. Und deshalb sind hier auch Homosexuelle willkommen.

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Nicht dass liberale Muslime so exotisch wären. Es gibt viele, die so denken und leben wie Marco und seine Mitstreiter. Aber sie sind nicht vernetzt. Es sind die Traditionalisten, die in Deutschland den Ton angeben. Sie sitzen in den großen Verbänden und bei der Islamkonferenz. Der Liberal-Islamische Bund will das ändern. Er will auch mitreden, wenn es in Deutschland um den Islam geht. Bisher gehören mehrere Hunderte Muslime dem LIB an.

Die Bundesvorsitzende Odette Yilmaz hofft, dass sie in den nächsten Jahren noch mehr werden. Das Problem sei, dass gerade progressive Muslime eigentlich wenig Lust auf das Verbandswesen hätten, sagt sie. Aber die Einsicht wächst, dass sich organisieren muss, wer gehört werden will. Mittlerweile gibt es Ortsgruppen in Berlin, Hamburg, Köln, Göttingen, Stuttgart und Frankfurt. „Wir wollen eine Anlaufstelle für alle sein, die ihren Glauben leben möchten, ohne aufgrund ihrer Identität stigmatisiert zu werden“, sagt Yilmaz. Zweifel und Kritik sind ausdrücklich erlaubt.

Eine Frau, die sich mit Tee aus ihrem Wohnzimmer zur Gemeindesitzung zugeschaltet hat, gesteht etwas. Sie rauche und könne einfach nicht aufhören. „Ich muss das später mit Gott ausmachen“, murmelt sie. Widerspruch von Marco. „Für mich geht Glaube tiefer, als Zigaretten zu zählen. Es ist doch wichtiger, ob man ein guter Mensch zu anderen ist.“ Eine Jüngere mit Kopftuch kritisch: Habe Gott ihr denn nicht eine gesunde Lunge gegeben, damit sie diese achte? Da mischt sich Waqar Tariq ein, ein junger Jurist aus Frankfurt. Ihm geht diese Fixierung auf Verbote gegen den Strich. Alkoholverbot, Schweinefleischverbot und jetzt auch noch ein schlechtes Gewissen wegen Zigaretten. Einfach nur irgendwelchen Theologen zu gehorchen, ohne über Sinn und Zweck dahinter nachzudenken, „das ist doch Islam für Dumme!“ Ihn regt es auf, wenn Muslime sich was drauf einbilden, 16 Stunden lang zu fasten oder trotz Krankheit fünfmal am Tag zu beten. „Das ist so ’ne Sado-Maso-Mentalität, die dem Koran und den prophetischen Aussprüchen widerspricht. Religion will doch Leichtigkeit, nicht Erschwernis.“

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