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#Die Kinder Jeffersons

„Die Kinder Jeffersons“

Ganz einerlei, wann der afroamerikanischen Fotokünstlerin Carrie Mae Weems in den vergangenen Jahren eine Ausstellung gewidmet war, immer fand sich aktuell ein grausamer Anlass, der ihr Werk auf erschreckende Weise bestätigte. So auch jetzt, bei ihrer Retrospektive im Württembergischen Kunstverein Stuttgart: durch den Amoklauf eines weißen Rassisten in Buffalo im Bundesstaat New York. Minutiös hatte er den Anschlag auf die Kundschaft von Schwarzen in einem Supermarkt geplant und dann zehn Menschen erschossen. In einem ausführlichen Manifest zu dem Massaker nennt sich der Täter einen „White Supremacist“, er bekennt sich zur „Herrschaft der weißen Rasse“ und zum Antisemitismus. Ein „rassistisch motiviertes Hassverbrechen“, konstatierte denn auch der amerikanische Präsident und dass dies „dem Grundverständnis dieser Nation zuwiderlaufe.

Das würde Carrie Mae Weems, 1953 in Portland, Oregon, geboren, womöglich nicht vorbehaltlos unterschreiben. Ihr Œuvre spürt jedenfalls einem historisch tief verwurzelten, zählebigen Rassismus nach, der über Individuen und Institutionen tradiert, aber auch gesamtgesellschaftlich nicht entschieden genug zurückgewiesen wird.

Durchweg verhandelt Carrie Mae Weems seit Jahrzehnten ungelöste Fragen von Diskriminierung, Identität, Gender, womit sie eine wichtige Figur für jüngere Künstlerinnen wie Deana Lawson, LaToya Ruby Frazier und Ayana V. Jackson darstellt. Ihr Werk äußert sich in sorgfältig eingerichteten, meist seriellen Zusammenhängen, in denen die Künstlerin die Bandbreite von der Dokumentation bis zur theatralischen Inszenierung ausschöpft. Dies gilt auch für die Ausgestaltung ihrer Ausstellung jetzt in Stuttgart.

Zeichen der Desintegration

Die Schau umfängt ihre Besucher in einem aufwendigen System aus Stellwänden, die den Saal staffeln, den Blick rhythmisieren und den Arbeiten im großen Format insgesamt eine imposante Bühne bereiten. Bei aller Sinnlichkeit ist es Carrie Mae Weems stets darum zu tun, rassistische Symbole, Chiffren und Klischees vorzuführen, um sie zu entkräften, oder auch selbst Zeichen der Desintegration in ikonischer Form zu entwickeln. Was auf den ersten Eindruck opulent wirken mag, bekundet rasch als konzeptuell und ist für einen schwelgerischen Konsum gänzlich ungeeignet.

„Queen B“ von Carrie Mae Weems, entstanden 2018–2019





Bilderstrecke



Kunstverein Stuttgart
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Carrie Mae Weems: The Evidence of Things Not Seen

Das gilt selbst für die anrührendste Werkreihe der Ausstellung: „Repeating the Obvious“. Die Wiederholung des Offensichtlichen besteht in einem Cluster von neununddreißig Reproduktionen ein und desselben Fotos in unterschiedlichen Formaten, auf denen ein Schwarzer mit Kapuzenpullover zu sehen ist und damit ein mögliches, wenn nicht gar prädestiniertes Ziel von „Racial Profiling“ und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten. Dabei steht der Jüngling allein und reglos im Dunkel, die Kapuze über den Kopf gezogen, die Hände in den Hosentaschen. Seine Konturen verschwimmen in Unschärfe (wie im malerischen Werk Gerhard Richters), seine Gestalt ist, gleich einem Röntgenbild, in Blaugrau getaucht, was ihn zu einer fernen Erscheinung macht, so nah sie der Kamera auch sein mag. Carrie Mae Weems verleiht ihr eine angemessene Dosis an Sentiment, Empathie und Pathos, ohne allzu dick aufzutragen. Eben darin besteht ihre Kunst generell.

Carrie Mae Weems forscht in historischen Bildarchiven nach rassistischen Zuschreibungen, taucht in die Annalen von Schulen ein, in denen die Vorherrschaft der Weißen tradiert wird, und rekonstruiert in Tableaux vivants Schlüsselmomente der Gewalt, nicht ausschließlich an Schwarzen, in den Vereinigten Staaten. In zahlreichen Werken sehen wir die Künstlerin selbst auftreten, etwa als Hausfrau daheim mit allen dazugehörigen Nöten; in schwarzem Gewand posiert sie als romantisch inspirierte Rückenfigur vor den Toren solcher Museen wie dem Dresdner Zwinger, dem Philadelphia Museum of Art, dem British Museum, dem Louvre, stets diskret aus der Zentralperspektive herausgerückt, die als hierarchisches Erkennungszeichen gilt. Carrie Mae Weems war 2014 die erste afroamerikanische Künstlerin, der im New Yorker Guggenheim Museum eine Einzelausstellung ausgerechnet wurde.

Mit den Werkensembles wechseln bei ihr konsequent die Tonlagen. Wohlkomponierte Aufnahmen von historischen Gefängnisbauten in Ghana und Senegal, die als Umschlagplätze für die Sklaverei nah am Wasser gebaut wurden, stehen einem Arsenal an Alltagsgegenständen gegenüber, die, mit ironischen Kommentaren versehen, unabdingbar für eine Revolution seien – darunter Schreibmaschine, Holzhammer, Nudelholz. In den „Sea Islands“ kombiniert Carrie Mae Weems Bild und Prosa zu Orten in Georgia, South Carolina und Florida, an die Sklaven im achtzehnten und neunzehnten Jahrhundert aus Sierra Leone verschleppt worden waren und dort eigene Bräuche entwickelten – sich vor Geistern etwa mit Radkappen und Bettfederrosten schützten oder eine Schüssel Wasser ins Zimmer stellten, das in den Fluss geschüttet wurde, wenn sich im Raum schlechtes Karma ausbreitete. Carrie Mae Weems setzt sich auch selbst als Sklavin in Szene, deren Besitzer als Por­trät drohend an der Wand hängt.

Zu ihren frühen Werken zählt die „Jefferson Suite“ von 1999, eine Serie von Rückenakten von People of Color, überschrieben mit den Buchstaben A, T, G, C als Verweis auf DNA-Basen. Die Arbeit entstand in Reaktion auf den damals erbrachten Nachweis der Vaterschaft des amerikanischen Präsidenten Jefferson von Kindern einer versklavten Frau. In ihrem jüngsten Projekt legt Carrie Mae Weems eine Enzyklopädie der Gewalt gegen Afroamerikaner vor, die seit dem vorigen Jahr um erschreckend viele Bände angewachsen ist. Dass in den Umschlägen dieser „History of Violence“ in Wirklichkeit die Encyclopaedia Britannica steckt, hat seine innere Logik: Vom Kolonialismus lässt sich die Aufklärung nicht trennen.

Carrie Mae Weems: The Evidence of Things Not Seen. Im Württembergischen Kunstverein Stuttgart, bis zum 12. Juli. Kein Katalog, aber ein informatives Begleitheft mit Texten von Iris Dressler.

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