#Ein neues Feld für Populismus
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„Ein neues Feld für Populismus“
Die „Klarheit“, die der Impfgipfel laut dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder gebracht hat, gab es schon vor der Konferenz. Alle Beteiligten, auch die Opposition, mussten wissen, dass nicht mehr Impfstoff aus dem Boden gestampft werden kann, als Zulassungen, Lieferketten, Rohstoffe und Produktionsstätten erlauben.
Es hätten größere Mengen von der EU bestellt werden können, das ist richtig, und wie aktuelle Beispiele zeigen, können Anreize und ein wenig Druck auf die Pharmaunternehmen nicht schaden. Aber selbst wenn das Doppelte zum dreifachen Preis bestellt worden wäre, würde sich an der Knappheit derzeit nicht allzu viel ändern. Vor allem aber: Politik im Konjunktiv führt nicht weiter.
Liberale warnten vor Irrweg
Bei aller berechtigten Kritik am Verhandlungsgeschick der EU und bei allen verständlichen Versuchen der Opposition, am Nimbus Angela Merkels zu kratzen, sollte das „Impfwunder“ nicht in Vergessenheit geraten. Noch vor wenigen Wochen wurden dieselben Staaten, Politiker, Verwaltungen und Unternehmen, die jetzt kritisiert werden, für eine „Sensation“ gefeiert. Und da noch wochenlang mit einem vorübergehenden Engpass zu rechnen ist, erscheinen die Rufe nach einem nationalen Just-in-time-Impfplan wohlfeil. Der ließe sich nur dann kurzfristig erfüllen, wenn so lange Impfstoff gehortet würde, bis eine Auslieferung ohne Unterbrechungen gewährleistet wäre. Eine absurde Vorstellung.
Es gibt etliche Punkte, die einen davon abhalten sollten, im gegenwärtigen Mangel an Impfstoffen eine „Katastrophe“ zu sehen. Da ist zunächst das politische Augenmaß. Dass nun Donald Trump, Boris Johnson und Benjamin Netanjahu als Meister der Vakzine angehimmelt werden, ist eine Ironie der Geschichte. Sie ließen sich auf ein hohes Risiko, hohe Preise und äußerst generöse Verträge ein, ohne auf eine Gemeinschaft wie die EU Rücksicht nehmen zu müssen oder zu wollen. Fehlt nur noch Wladimir Putin.
Wie wäre wohl ein Politiker in Berlin behandelt worden, der im vergangenen Mai einen deutschen „Warp Speed“ im nationalen Alleingang verlangt hätte? Schon als damals Steuergelder in Pharmafirmen gebuttert wurden, warnten liberale Ordnungshüter vor einem Irrweg. Heute kann es gar nicht genug Geld sein, das der Staat hätte ausgeben sollen.
Was ist mit dem Rest der Menschheit?
Gäbe es diese Impferfolge in anderen Ländern nicht, ginge die Debatte derzeit wohl in eine ganz andere Richtung: Warum hatten zwei Drittel der Menschheit noch keine einzige Ampulle? Wie lange wird das noch so bleiben? Was heißt das für die Pandemie? Warum wird Deutschland, wenn alles so kommt, wie Jens Spahn es darstellt, am Ende des Jahres in Impfstoffen schwimmen, obwohl noch gar nicht sicher ist, dass bis dahin ein ganz neuer Impfstoff gegen Mutanten nötig ist?
Auch solche Fragen können ungerecht sein, wenn sie nur darauf zielen, dass man hinterher sagen kann, man sei schlauer gewesen. Das setzt einen ins rechte Licht, verlangt von Politik aber Hellseherei, Neunmalklugheit und Vabanquespiel in einem.
Die Leute, die auf einen Impftermin warten, haben ganz andere Sorgen, bringen dabei aber eine beachtliche Geduld auf. Die Impfkampagne als „Impfkatastrophe“ darzustellen ist ein verantwortungsloses mediales Geschäft, ein neues Feld für Populismus, der am Alltag vorbeigeht. Das Thema lässt sich aber deshalb so schön ausschlachten, weil es die Politik an einem wunden Punkt trifft.
Bis heute gibt es keine andere Perspektive
Bis heute ist es nicht gelungen, eine Perspektive gegen das Coronavirus aufzuzeigen, die ohne Impfung auskommt. Der Dauer-Lockdown, mal streng, mal locker, ist es jedenfalls nicht. Nach einem Jahr Pandemie hätte man es schon gerne etwas beständiger, differenzierter, wohlbegründeter und mit der Aussicht auf dauerhaften Erfolg. Das alles gibt es aber nicht, weil nicht genug dafür getan wurde. Es gab ja stattdessen die Aussicht auf den Impfstoff.
Unbefriedigend ist vor allem, dass auch nach einem Jahr noch immer nicht klar ist, wo genau das Virus zuschlägt. Dass es vor allem die Privathaushalte sind, in denen es sich verbreitet, steht schon seit einem Jahr fest. Aber wie kommt die Krankheit in die Haushalte? Welche Berufe sind besonders betroffen? Auch die mangelhafte Durchsetzung einer flächendeckenden, schwerpunktmäßigen Teststrategie – vor Krankenhäusern, Altenheimen, Schulen, Kindergärten und für vulnerable Haushalte – wirkt so, als sei die unbewusste Richtschnur der Politik gewesen: durchwurschteln, bis der Impfstoff kommt. Nun ist er da, aber das Durchwurschteln hört nicht auf.
Daraus könnten die Mutanten des Virus trotz Impfung einen Dauerzustand machen. Schon jetzt kommen deshalb Zweifel auf, dass die Lockdown-Rechnung aufgeht, nach der dauerhafter gelockert werden kann, je schneller geimpft wird. Die Lockerungen sollen uns die Freiheit zurückbringen, das Lebenselixier unserer Gesellschaft; das Streben nach ihr ist aber zugleich der Grund, dass Pandemien dieser Art nicht anders auszutrocknen sind als durch Impfung. Der weitere Weg der Corona-Politik besteht deshalb in einem Paradox: so schnell wie möglich impfen, aber so tun, als müsse es auch ohne gehen.
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