#Was Nord Stream 2 mit Nawalnyj zu tun hat
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„Was Nord Stream 2 mit Nawalnyj zu tun hat“
Man möge doch bitte das Vorgehen der russischen Staatsmacht gegen den Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj nicht mit der Frage verknüpfen, ob die Gaspipeline Nord Stream 2 zu Ende gebaut werden soll oder nicht – das eine habe mit dem anderen nichts zu tun. So haben in den vergangenen Tagen sowohl der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans als auch der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet argumentiert.
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spricht sich für die Fertigstellung von Nord Stream 2 aus. Schon kurz nach dem Giftanschlag auf Nawalnyj im Sommer vorigen Jahres warnte er vor „moralischem Rigorismus“ in der Debatte über die Pipeline. Auf gewisse Weise haben die drei Männer recht: Ein endgültiger Stopp des Projekts würde weder etwas am repressiven Charakter des russischen Regimes ändern noch Nawalnyj die Freiheit bringen; und wollte Deutschland nur noch Energie aus Ländern mit halbwegs ordentlicher Menschenrechtslage einführen, dann hätte es ein großes Problem.
Umgehung der Ukraine
Doch die drei reden gezielt am Thema vorbei, so wie fast alle Befürworter von Nord Stream 2 in Deutschland, einschließlich der Bundeskanzlerin. „Ein russisches Gasmolekül bleibt ein russisches Gasmolekül, egal ob es über die Ukraine kommt oder ob es über die Ostsee kommt“, sagte Angela Merkel vor zwei Jahren auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Dieser Satz ist unzweifelhaft richtig, aber in diesem Zusammenhang sinnlos. Er hat – im Gegensatz zum Fall Nawalnyj – nichts mit den politischen Argumenten gegen Nord Stream 2 zu tun. Es geht nicht darum, ob Deutschland bis zum angestrebten Ausstieg aus der fossilen Energiegewinnung weiter russisches Gas importieren soll, sondern darum, mit welchen politischen Risiken und Nebenwirkungen es das tut.
Zu deren Verringerung hat die EU viel unternommen, seit die russische Führung den Westeuropäern durch den ersten Gasstreit mit der Ukraine im Winter 2005/06 vor Augen geführt hat, dass sie bereit ist, die Rohstoffe ihres Landes als politische Waffe einzusetzen. Europa hat daraus die richtigen Schlüsse gezogen: Es hat seine Abhängigkeit von russischem Gas seither bedeutend verringert – und zwar ohne die Einfuhren aus Russland nennenswert zu reduzieren. Erreicht wurde dieses Ziel durch einen Aus- und Umbau der Gasinfrastruktur, der ein rasches Ausweichen auf andere Bezugsquellen ermöglicht. Nord Stream 2 verschiebt die Gewichte wieder zugunsten Russlands.
Es ist nicht so, dass damit Europas Abhängigkeit von russischem Gas zwingend wieder wachsen würde. Aber wirtschaftlichen Sinn ergibt die neue Pipeline allenfalls dann, wenn Deutschland und die EU künftig deutlich mehr russisches Gas kaufen. Denn schon die bestehenden Pipeline-Kapazitäten zwischen Russland und Europa sind nicht voll ausgelastet.
Wächst der Import nicht, dann kann Nord Stream 2 die geopolitische Funktion erfüllen, die der eigentliche Grund für den Bau der Pipeline ist: Russland kann dann sein Gas unter Umgehung der Ukraine in die EU transportieren.
Ein schwerer Fehler
Die Ukraine verliert damit nicht nur bedeutende Einnahmen, sondern vor allem politische und militärische Sicherheit. Solange das Regime in Moskau wirtschaftlich davon abhängig ist, dass das wichtigste Exportgut Russlands störungsfrei durch die Ukraine fließt, ist es unwahrscheinlich, dass es seinen hybriden Dauerkrieg gegen das Land politisch oder militärisch eskalieren lässt. Fällt diese Abhängigkeit weg, haben Wladimir Putin und seine Leute freie Hand.
So oder so gewinnt der Kreml: Kaufen die Europäer mehr Gas, erhöhen sie ihren finanziellen Beitrag zur Stabilisierung seines auf Korruption basierenden Regimes; bleibt es beim bisherigen Gasvolumen, machen sie durch zusätzliche Nord-Stream-Kapazitäten die Ukraine als Transitland überflüssig. Moskau hätte damit einen Hebel zu deren Destabilisierung in der Hand, die unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheit der EU- und Nato-Mitglieder in Osteuropa hätte.
Dass Russland und die Ukraine unter EU-Vermittlung 2019 einen neuen Transitvertrag geschlossen haben, ändert daran nichts. Erstens überbrückt das 2024 auslaufende Abkommen aus russischer Sicht nur die Zeit, bis Nord Stream 2 in Betrieb ist. Zweitens stehen hinter der Vertragstreue Moskaus nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre große Fragezeichen.
Selbst wenn man zynisch genug wäre, alle ethischen Fragen im Verhältnis zu einem Regime wie dem russischen auszuklammern, und auch wenn man beiseite ließe, wie zweifelhaft diese Pipeline in ökologischer und klimapolitischer Hinsicht ist: Nichts spricht dafür, ohne Not solche Vorteile einem großen Nachbarn zuzugestehen, der so aggressiv auftritt wie Putins Russland.
Nord Stream 2 verschlechtert die Position Deutschlands und der EU im Verhältnis zu einem Staat, der in offener Gegnerschaft zu unserer freiheitlichen Gesellschaft steht. Die Unterstützung Berlins für dieses Projekt war deshalb schon lange vor dem Giftanschlag auf Alexej Nawalnyj und den jetzigen Repressionen ein schwerer Fehler. Sein Fall könnte ein guter Anlass sein, in letzter Sekunde noch stopp zu sagen.
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