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#Interview: Almuth Schult: „Eine Frau, die über Männer urteilt – das ist in Katar undenkbar“

„Interview: Almuth Schult: „Eine Frau, die über Männer urteilt – das ist in Katar undenkbar““


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Almuth Schult, 31, ist Olympiasiegerin, Europameisterin, TV-Expertin bei der WM in Katar – und Mutter. Zugleich setzt sie sich für Chancengleichheit ein – und verzweifelt teilweise am DFB.

Frau Schult, wie ist das Leben in Los Angeles? Seit diesem Sommer stehen Sie bei Angel City FC unter Vertrag. Dabei kommen Sie aus einem Familienbauernhof in Niedersachsen. Ein großer Unterschied.

Almuth Schult: Ja, das ist ein riesengroßer Unterschied – von einer Millionenstadt zu einem kleinen Dorf mit ein paar hundert Einwohnern. Ich kenne es so, dass man viel zu Fuß geht oder mit dem Fahrrad unterwegs ist. In Los Angeles ist beides verpönt, weil es als gefährlich erachtet wird. Es ist auch alles größer und weiter. Ich habe noch nie so derart dimensionierte Autobahnen gesehen wie hier in Los Angeles, es gibt Highways mit sieben oder acht Spuren auf einer Seite – und trotzdem staut sich da der Verkehr, es ist unfassbar. Andererseits ist es klimatisch recht angenehm: In Los Angeles hat man auch noch im November 30 Grad und den Strand um die Ecke. Es ist ganz nett, das alles mal vor der Haustür zu haben.

Almuth Schult spielt aktuell bei Angel City FC in Los Angeles.

Foto: Maximilian Haupt, dpa

Haben Sie das denn weiterhin vor der Haustür? Ob Sie weiterhin für Los Angeles spielen, ist ja nicht ganz klar. Zudem verlief die Saison nicht ganz nach Wunsch, Sie haben nur ein Spiel bestritten.

Schult: Natürlich war es ärgerlich, dass es nur ein Spiel war. Ich hätte eigentlich vorher schon einmal spielen sollen, hatte aber eine Lebensmittelvergiftung. So ist es manchmal eben, aber damit sollte man nicht hadern. Was im neuen Jahr passiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Ich hätte die Möglichkeit, nach Los Angeles zurückzugehen, aber es gibt auch viele andere Optionen. Wir sind jetzt gerade mit der Familie dabei, ein Fazit zu ziehen. Ich bin ja nicht mehr nur alleine die Leistungssportlerin, sondern habe auch eine Familie und bin Mutter – da hängt ein bisschen mehr dran.

Zugleich ist Angel City FC kein normaler Verein, sondern das Projekt von prominenten Investoren wie Schauspielerin Natalie Portman oder Tennis-Star Serena Williams. Das Ziel lautet, nicht nur Spiele zu gewinnen, sondern den Frauenfußball populärer zu machen. Wo stehen Sie da jeweils?

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Schult: Ich finde das Projekt unfassbar interessant. Alleine der Impuls, warum der Verein gegründet wurde, ist bemerkenswert. Man hat gesagt: Warum gibt es hier in dieser großen Stadt zwei Männerfußballvereine, aber keinen für Frauen? Gerade Fußball ist für Frauen in den USA die größte Sportart. Dieser Verein will etwas für die Geschlechtergerechtigkeit im Sport tun, Frauen gesellschaftlich fördern. Darüber hinaus soll die Region gestärkt werden. In der Vereinssatzung ist verankert, dass zehn Prozent der Einnahmen in soziale Projekte aus der Region fließen sollen. Diesen Ansatz hat noch niemand gewählt, und wenn ich mir vorstelle, was daraus entstehen kann, kann das der Beginn von etwas Großem sein. Man stelle sich vor, Manchester United, Real Madrid oder der FC Bayern verwenden ebenfalls zehn Prozent ihrer Einnahmen dazu, um Schulsport zu fördern oder Essen für Obdachlose zu finanzieren. Das ist ein großer Stein, der hier ins Rollen gebracht werden kann.

Alexandra Popp und Almuth Schult vor dem Finale der Frauen-EM 2022.

Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Nach der furiosen Fußball-EM hofften viele, dass der Frauenfußball in Deutschland dieses Mal mehr als das übliche Strohfeuer erhalten hat. Wie sehen Sie das?

Schult: Man merkt die Nachwirkungen der Europameisterschaft schon: Die Spielerinnen haben so viele Anfragen wie noch nie oder zumindest seit 2011 nicht mehr, werden auf der Straße erkannt. Fans stehen vor den Mannschaftsbussen und den Hotels. Das letzte Länderspiel kam zur Prime Time, die Zuschauerzahlen steigen. Auch bei den Frauen von Werder Bremen gab es, als Ende Oktober der VfL Wolfsburg kam, einen Zuschauerrekord mit 2700 Leuten. Gegen die Bayern spielte Wolfsburg sogar vor mehr als 20.000 Zuschauern. Ich hoffe, dass es so weitergeht. Aber zugleich gibt es jetzt schon wieder Dinge, die nicht so gut gelaufen sind. Ich habe gehört, dass in Bremen noch Fans vor dem Stadion waren und nicht reinkonnten, weil der Verein nicht genügend Ordner organisiert hatte und nicht genügend Sanitäreinrichtungen zur Verfügung standen. Auch die Aussage des DFB-Präsidenten Bernd Neuendorf, dass man den vielen Anträgen von jungen Mädchen, die gerne Fußball spielen würden, nicht Herr wird – das macht mich in gewisser Weise auch traurig. Vielleicht hätte man vorher darüber nachdenken sollen, was eine erfolgreiche EM auslösen könnte. Es wurde immer gehofft, dass was passiert – aber einen Plan in der Schublade gab es für diesen Fall offenbar nicht.

Plätze, die wegen fehlender Toiletten nicht besetzt werden dürfen und Anträge, die im Jahr 2022 nicht bearbeitet werden können – macht Sie das nicht wütend?

Schult: Ja, das ist absolut schade. Natürlich ist es positiv, dass so viele Anträge wie noch nie gestellt wurden. Aber wenn man halt den Beisatz hört, dass man nicht weiß, wie man das bewältigen soll – was heißt das dann? Dass nicht genügend Mitarbeiter da sind und die Infrastruktur nicht passt, im größten Sportfachverband der Welt? Es gibt Millionen Mitgliedschaften männlicher Mitglieder und da ist es kein Problem. Aber wenn es bei den Frauen mal einen Boom gibt, ist der DFB anscheinend teilweise überfordert.

Es geht ja nicht nur um die Aufmerksamkeit, sondern auch um Chancengleichheit. Zu Ihrer Zeit beim VfL Wolfsburg durften die Frauen nicht die gleichen Geräte wie die Männermannschaft benutzen.

Schult: Generell ist es so, dass beim VfL Wolfsburg im Vergleich zu vielen anderen Frauenabteilungen die Bedingungen sehr, sehr gut sind. Aber es wird nicht das gleiche Trainingsgelände genutzt. Das wird sich wohl nicht ändern – ist aber auch nicht unbedingt ein Muss, wenn die Bedingungen stimmen. Aber viel frappierender ist das Thema Nachwuchsförderung. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hat es den Bundesligavereinen zur Lizenzauflage gemacht, ein Nachwuchsleistungszentrum zu betreiben. Aber damit ist nur der männliche Nachwuchs gemeint. Und es ist auch nicht in Aussicht, diese Infrastruktur künftig für beide Geschlechter anzubieten. Da fängt es ja auch schon an. Der Subtext davon lautet: Der professionelle Fußball ist männlich.

Die 28-jährige Melanie Leupolz verpasst aufgrund ihrer Schwangerschaft die Fußball-EM in England.

Foto: Sebastian Gollnow, dpa

Nicht bei der EM dabei war Melanie Leupolz wegen ihrer Schwangerschaft. Sie selbst sind seit April 2020 Mutter von Zwillingen und sind deswegen zur besten Karriere-Zeit einen Schritt zurückgegangen. Konnten das damals alle Personen aus Ihrem Umfeld verstehen?

Schult: Natürlich gab es da auch Unverständnis und Stimmen, die gesagt haben: Willst du nicht auf deine Karriere gucken? Ich war da im besten Alter, die Nummer eins Deutschlands. Ich war, denke ich, fest im Sattel, dass das auch in den kommenden Jahren vermutlich so geblieben wäre. Aber Fußball ist eben nicht alles im Leben und jedes Elternteil weiß, was Kinder einem geben. Es ist eine bewusste Entscheidung und wir freuen uns darüber, dass wir zwei gesunde Kinder haben. Natürlich könnte man sagen: Ich hätte vielleicht die Europameisterschaft im Sommer gespielt, wenn ich nicht meine Kinder bekommen hätte. Aber ich bin glücklich und dankbar für das, was ich habe. Natürlich wird dieser Nachteil für Frauen bestehen bleiben: Nach einer Geburt ist man mindestens ein Jahr raus – und ein Jahr ist relativ viel in einer Karriere. Das sind Einflüsse, die eine Karriere deutlich ausbremsen können. In anderen Sportarten, etwa im Reiten oder im Tennis, verfallen die Weltcup-Punkte einer Schwangeren einfach, es gibt keine Regelungen. Aktuell entscheiden mehrheitlich Männer darüber, und sie haben diese Situation nie selbst erlebt. Ich hoffe, dass es in den nächsten Jahren Gespräche mit Funktionären gibt, um da bessere Lösungen zu finden.

Mancher Beobachter war sogar überrascht, dass Sie Ihre Karriere trotz der Geburt fortgesetzt haben, so neu war das. Sind Sie gerne eine Vorreiterin?

Schult: Das ist, glaube ich, ein Teil meiner Persönlichkeit. Wenn jemand sagt: So was geht nicht. Dann sage ich: Lass uns das doch mal ausprobieren. Ich habe es die letzten zehn Jahre im Fußball verfolgt, da hieß es: Eine Schwangerschaft bedeutet das Karriereende. Ich habe mich immer gefragt: Ist das denn so? Natürlich kenne ich Ansichten, die diese Frage mit Ja beantworten können. Aber ich kenne auch Argumente, um das mit Nein zu beantworten. Ich bin froh, dass meine Familie mich so unterstützt hat und ich diese Erfahrung machen konnte. Das könnte auch nach meiner Karriere wertvoll sein. Etwa dann, wenn es darum geht, für zukünftige Athletinnen einzustehen. Deswegen bin ich da gerne ein Vorbild, ja.

Frappierend ist, dass es laut Melanie Leupolz eigentlich nur wenig Regelungen der Verbände gibt, wie mit schwangeren Spitzensportlerinnen umgegangen wird.

Schult: Natürlich hat man sich im Vorfeld damit beschäftigt. Aber es ist etwas schwierig, weil sich nicht viele in diesem Themenkomplex auskennen. Es ist glücklicherweise in Deutschland so geregelt wie für jede andere Arbeitnehmerin: Man hat den Mutterschutz, und der muss genauso bei angestellten Fußballerinnen eingehalten werden. Aber im internationalen Vergleich ist es dann ein bisschen schwieriger. Deswegen war ich in Kontakt mit der internationalen Spielergewerkschaft, um sie zu unterstützen, solche Regeln bei der Fifa einzufordern. In diesem Zuge wurden überhaupt mal Mutterschaftsregeln festgelegt. Es ist gut, dass das jetzt passiert ist. Aber da sind wir lange noch nicht am Ende. Es gab ein paar Zugeständnisse, aber man hat das Gefühl, dass die Vereine dafür noch nicht ganz bereit sind. Gerade in Deutschland möchte man generell Privates und Dienstliches voneinander trennen. Das ist in einem Beruf, in dem man sieben Tage die Woche unterwegs ist und sehr flexible Arbeits- und Trainingszeiten hat, schwieriger.

Wie gehen Sie mit dieser WM in Katar um, die ja wie keine andere im Vorfeld in der Kritik steht? Sie selbst werden für die ARD als Expertin im Einsatz sein.

Schult: Ich habe versucht, mich viel einzulesen in dieses Thema, das ich superkomplex finde. Ich habe schon bei der WM-Vergabe 2010, obwohl ich da noch deutlich jünger war, gedacht: Irgendetwas ist da nicht richtig gelaufen. Und es sind ja immer mehr Indizien aufgetaucht, die das vermutlich belegen. Katar ist mit unserer europäischen Kultur teilweise schwer zu vereinbaren. Aber ich bin ein positiv denkender Mensch und versuche, das so zu nehmen, dass es eine positive Erfahrung sein kann. Es ist die erste Fußball-Weltmeisterschaft in einem arabischen Land. Sonst sind WMs ja eher europäisch oder südamerikanisch geprägt. Eine Fußball-WM ist neben Olympia das größte Sportevent der Welt. Ich hoffe, dass dadurch Eindrücke in Katar entstehen, die man nicht mehr weghalten kann. Es wird etwa über die LGTBQ-Szene diskutiert werden, manche Dinge werden den Kataris vor Augen geführt werden. Das ist auch bei meiner Position so: Ich bin eine Frau in einem männlich geprägten Fußball, die während des Turniers über Männer urteilen wird. Das ist in Katar eigentlich undenkbar. Es wird auch Frauen geben, die für TV-Sender Anweisungen an männliches Personal geben. Ich hoffe, dass dadurch ein kleines bisschen bewegt wird, die Kultur sich verändert und Frauen in Katar mehr Rechte bekommen.

Ende Oktober gab Almuth Schult bei DAZN ihr Debüt als Expertin beim Männer-Bundesligaspiel zwischen Union Berlin und Mönchengladbach.

Foto: Michael Taeger, dpa

Bei der letzten EM 2021 haben Sie als Expertin überzeugt. Die Kollegen vom Boulevard titelten angesichts der Substanz der jeweiligen Analysen: „Mehr Almuth, weniger Schweini.“ Das geht runter wie Öl, oder?

Schult: Ich lese so etwas gar nicht. Ich bin auch nicht auf sozialen Netzwerken unterwegs, weil ich diese Rückmeldung der breiten Masse gar nicht unbedingt brauche. Ich habe meine Vertrauten und bin froh, wenn ich von denen eine ehrliche Rückmeldung bekomme. Auch von den Verantwortlichen im Sender bekomme ich dargelegt, was gut und was schlecht war. Es ist schön, wenn ich auch in dem Sinne vielleicht etwas Vorbildfunktion habe. Denn seit einem guten Jahr sind deutlich mehr Frauen in Expertenrollen im männlichen Fußball, bei fast allen Sendern.

Zugleich haben Sie in einem Podcast gesagt, den Unmut mancher Funktionäre gespürt zu haben ob Ihrer TV-Tätigkeit, sinngemäß: „Eine Frau hat nicht über Männerfußball zu reden.“ Hat sich das mittlerweile geändert?

Schult: Es wird besser angenommen, die Vorurteile sind weniger geworden. Aber man hört es nach wie vor – dass sich Funktionäre und Manager darüber beschweren, wie eine Frau das machen kann. Aber das wird noch Jahrzehnte dauern, bis das Normalität geworden ist. Das kennen wir von allen Dingen, die neu sind und die den konservativen Teil nach hinten drängen. Von daher bin ich da entspannt und hoffe, dass es noch weitere Schritte nach vorne geht.

Zur Person: Almuth Schult, 31 Jahre alt, hat mit dem VfL Wolfsburg 2014 die Champions League gewonnen sowie sechs deutsche Meistertitel und acht Pokalsiege geholt. 2014 wurde sie zudem zur Welttorhüterin gewählt. Mit der Nationalmannschaft wurde sie 2016 Olympiasiegerin sowie 2013 Europameisterin. Im April 2020 wurde sie Mutter von Zwillingen. Bei der Männer-EM 2021 arbeitete sie als Expertin für die ARD und wird auch bei der WM in Katar für den Sender Spiele analysieren. Ende Oktober gab sie zudem ihren Einstand bei DAZN als Expertin bei einem Männer-Bundesligaspiel. Seit Sommer 2022 spielt sie für den Angel City FC in Los Angeles.

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