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#Kühner Sprung mit freiem Fuß

Kühner Sprung mit freiem Fuß

Es gab keine Männer, die sich in den Metropolen der Zwanzigerjahre nackt auf den Bühnen präsentiert hätten. Die einzige Ausnahme, so die Theaterwissenschaftlerin Ulrike Traub, hieß Sebastian Droste, der so unterschiedliche Tänzerinnen wie Anita Berber oder Celly de Rheidt begleitete. Nein, es waren Frauen, Berber, de Rheidt, Valeska Gert und andere, die dafür berühmt wurden, dass sie sich für manche oder alle ihre Tänze auszogen und den Blicken der zahlenden Betrachter aussetzten. Sie als frühe Ikonen der sexuellen Selbstbestimmung zu beschreiben und damit zu Vorgängerinnen der Tänzerin und Choreographin Florentina Holzinger anzusehen, deren Darstellerinnen gegenwärtig, ein Jahrhundert nach den barbusigen Pionierinnen, nackt und nah am Publikum mit gespreizten Beinen am Boden liegen, ist Stand der theaterwissenschaftlichen Interpretation. Das wenigstens legt der soeben erschienene Band „Der absolute Tanz. Tänzerinnen der Weimarer Republik“ nahe, für das Berliner Georg Kolbe Museum herausgegeben von Brygida Ochaim und Julia Wallner, in dem auch Traubs Aufsatz steht.

Öffentlich präsentierte Körper sind demnach politische Körper: „Körper, die die sozialen und ästhetischen Grenzen ihrer Zeit überschreiten“, wie Yvonne Hardt in ihrem Aufsatz über die Ausdruckstänzerinnen schreibt. Vollständige Nacktheit oder Knappheit, Durchsichtigkeit, Leichtigkeit der Kostüme sind konstitutiv für den „Absoluten Tanz“, ein Ausdruck, den Mary Wigman prägte.

Tanzende Körper inspirierten Georg Kolbe

Das Motiv der Provokation, der demonstrativen Befreiung von als überkommen empfundenen Ideen von Weiblichkeit und Schönheit, Moral und Konvention steht meistens im Vordergrund. Es kann erotischer und abgründiger wirken wie bei der an ihrer Drogensucht zugrunde gegangenen Anita Berber oder ästhetische, fast sachliche, Schönheit objektivierende Züge annehmen wie bei der amazonenhaften Claire Bauroff.

Der Katalog begleitet eine Zeichnungen, Skulpturen, Fotografien und Filmausschnitte präsentierende Ausstellung auf den Spuren der künstlerischen Intentionen und Schicksale von elf Tänzerinnen, die den Bildhauer Georg Kolbe inspiriert haben — er war nach eigener Auskunft ein „sehr begeisterter Anhänger der Tanzkunst, des tanzenden Körpers“. Tänzerinnen zeichnete er teils aus der Erinnerung nach Vorstellungsbesuchen oder nach Fotografien wie im Fall Vaslav Nijinskys, Charlotte Bara aber bat er in sein Atelier, um in Ruhe tänzerische Posen skizzieren zu können.

Fotografien als Dokumente weiblicher Bewegungskunst

Die Extreme der Weimarer Republik spiegeln sich auch in den Positionen der Tänzerinnen. Eine Zeit, in der Dorniers erstes Wasserflugzeug mit acht Fluggästen an Bord startet und sicher wieder landet, in der Opel einen raketenangetriebenen Rennwagen auf 260 Stundenkilometer hochtreibt und durch eine Zuschauermenge rasen lässt, in der das Korsett in die Ecke fliegt, die Säume von Kleidern und Röcken nach oben rutschen und das Haar der Frauen auf Kinnlänge gekürzt wird, in der die Menschen ihren maschinengetriebenen Geschwindigkeitsrausch ausleben und dieselbe Gier nach Tempo auf alle Lebensbereiche übergreift und die Lust auf andere Räusche weckt – eine solche Zeit bringt auch die Sehnsucht nach physischer Selbstvergewisserung hervor, Sehnsucht nach vermeintlicher Natürlichkeit, Sportbegeisterung, Nacktkörperkultur, Gitarrenmusik. Zwischen diesen Extremen des Lebensgefühls und der Veränderung von Lebenswelten und Perspektiven muss man sich die Suche nach künstlerischem Ausdruck vorstellen.

Wie es genau aussah, wenn die Tänzerin Vera Skoronel sprang, konnten Aufnahmen mit der Kleinbildkamera festhalten, wie sie landete, sieht man nicht. Die Dokumente der modernen weiblichen Bewegungskunst sind überwiegend Fotografien. Die ganze Energie, das Fließende oder Eruptive, das Weiche, Nachgiebige oder Schnelle, Brutale ihrer Solotänze oder Bewegungschöre lässt sich nur erahnen, weiterdenken, imaginieren.

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