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#Töne, die wie Gedanken sind

„Töne, die wie Gedanken sind“

Wie fängt man an? Das ist bei Musik immer die erste Frage. Wie wird aus der Stille ein Klang, wie entsteht etwas aus dem Nichts? Antonia Hausmann macht es so: Sie spielt ein F, danach ein As, sonst nichts. Nur diesen kleinen, hoffnungsvollen Schritt nach oben. Dann lange Stille. Der volle, tiefe Sound ihrer Posaune hängt im Raum.

So meldet sich gerade eine neue Stimme im deutschen Jazz zu Wort. Am 22. April erscheint ihr Album „Teleido­scope“, neun schöne, zauberhafte Nummern, gespielt von Hausmanns Quartett. Die Band hat zwar keinen Bass, aber neben der ohnehin wuchtigen Posaune noch eine Bassklarinette. Und der Schlagzeuger Philipp Scholz spielt dazu manchmal so, als wenn jemand in seiner Küche auf jede Dose und jedes Gläschen klopft. Um dann zu einem fetten Beat zu wechseln oder auch mal lange gar nichts zu spielen. Manchmal klingt diese Band wie ein Gebirge, das in sich zusammenstürzt und sich immer wieder neu aufbaut.

Vor allem aber scheint das Album eine Geschichte nach der anderen zu erzählen, jeder Song will sich mitteilen. Gleich auf der ersten Nummer greift die Posaune ihren Faden immer wieder neu auf, spinnt ihre musikalische Idee immer weiter, schraubt sich bald auch immer weiter in die Höhe, lässt lange Pausen, sozusagen weiten Raum. Eine Stimme singt dazu von der Stille (es ist Hausmann selbst), und man hört die Worte „repeat what I say“ heraus, mehrmals, als sei es ein Mantra. Ein Teleidoskop hat die 31 Jahre alte Musikerin als Kind besessen, ein optisches Spielzeug mit einer gebrochenen Linse, durch das die Welt immer anders aussieht. So kann man sich diese Musik vorstellen – als Sammlung von Arten, das Leben auf neue Art anzusehen. Mit jedem Song wieder anders. Denn das Album klingt mal verspielt, mal mächtig, mal rätselhaft, und das alles wird von dieser eindringlichen, feinen Posaune zusammengehalten.

Eine Katastrophe und ein Wunder

Hausmanns Weg zu ihrem Instrument ist eigentlich mit einer Katastrophe verbunden. Als Teenager wollte sie klassisch Klarinette spielen und in ein großes Orchester gehen, sie übte jeden Tag, plante den Wechsel auf ein Musik-Internat, das Vorspiel hatte sie schon bestanden. Und dann ging sie, im Wald bei Zittau, wo sie aufwuchs, mit zum Holzarbeiten. Bäume fällen, verarbeiten. Ihre rechte Hand geriet in einen Spalter, eine Maschine, die Stämme zu Scheiten zerkleinert. Damals war Hausmann 14 Jahre alt. Der Traum von der Klarinette war geplatzt. Ihre Hand, bei dem Unfall bis zum Daumen herunter durchtrennt, wurde zwar gerettet, aber nicht so, dass man Profi-Klarinettistin werden könnte. Die musikbesessene junge Frau überlegte, was sie wohl auch ohne feinmotorischen Fingereinsatz spielen kann, und kam auf die Posaune. Im Alter von 14 Jahren noch mal ein neues Instrument anzufangen, das ist sehr spät für jemanden, der es ernst meint. Hausmann ging jeden Tag früh morgens vor der Schule in den Übungsraum. Und sie wurde so gut, dass sie mit 19 dann eben doch an die Hochschule für Musik in Dresden aufgenommen wurde. Ein kleines Wunder.

Und ein Glück: Das hört man jetzt auf diesem Album. Sie spiele die Posaune wie eine Klarinette, soll mal jemand zu ihr gesagt haben. Das geht natürlich nicht wirklich, aber man ahnt, wie es gemeint ist: Sie kann sehr luftig klingen, als wäre der Ton gehaucht, von weich zu druckvoll fließend hin- und her wechseln. Dazu passt, dass ihre Kompositionen einfühlsam und ausgeklügelt polyphon wirken, sie sind wie ein Gedanke, den man, einmal gefasst, nicht wieder loslassen mag. Auch die Piano-Figuren des Berliners Johannes Bigge erzählen immer etwas und scheinen dann immer noch mehr dazu sagen zu wollen, wiederholen sich, aber nie genauso wie gerade eben noch.

Endlich keine Neoklassik mehr

Das letzte große Ding in der Musikszene jenseits des Pop war ja die sogenannte Neoklassik, eine Musik, in der meist das Piano die immer wieder gleiche oder fast gleiche Minimelodie spielt, bis auch noch der Letzte in Trance gefallen ist. Irgendwann musste ja mal etwas kommen, das diese Musik ablöst, und hier ist es endlich. Diese Band kann repetitiv und träumerisch und dann doch wieder in schnell hellwach machende holpernde Rhythmen übergehen. Diese Musik ist mehr zum Nachdenken da als dazu, sich ganz zu verlieren im Sound. Aber sie macht dabei einfach Spaß.

Denn das Album klingt mal wie ein Kinderlied, mal wie atonale Neue Musik, immer wieder gibt es Überraschungen. Die Nummer „All You Can Eat“ entwickelt zwischen Bassklarinette und Posaune einen treibenden Beat, scharf und mitreißend, fast wie Techno. Danach folgt „Beijing“, eine Nummer, die eigentlich ein Popsong ist. Mit Pop hat Hausmann ohnehin Erfahrungen; sie spielte unter anderem in der Band des Rappers und Sängers Clueso.

Natürlich ist es immer noch selten, überhaupt als Frau im Jazz mitzuhalten. Die E-Bassistin Kinga Glyk aus Polen würde einem noch einfallen als eine junge Musikerin, die ähnlich viel Energie ausstrahlt wie Hausmann. Aber der einen wie der anderen geht es natürlich nur um die Musik. Hausmann soll immer wieder gefragt worden sein, ob Frauen denn überhaupt Posaune spielen können, so ein Instrument, das Druck und viel Luft braucht. Abgesehen davon, dass die blöde Frage kaum diskussionswürdig ist (natürlich können sie), hat Hausmann ihr bestes Argument gerade selbst geliefert. Man wartet beim Hören von „Teleidoscope“ immer wieder auf die Soli der Posaune, möchte immer noch ein bisschen mehr von ihr hören. Sie hat einfach so viel Interessantes zu erzählen.

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