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#Tor Steine Scherben

Tor Steine Scherben

Ein paar Wochen im Mai und Juni 1972, an die man sich eher verschwommen erinnert, wenn man damals 13 Jahre alt war. Wichtige Dinge geschahen parallel zueinander oder in schneller Folge direkt hintereinander. In der Erinnerung ist das jedoch so sauber getrennt, als seien die Ereignisse über die Jahrzehnte in verschiedenen Ablagen gelandet. Man weiß, was passiert ist, aber im eigenen Gedächtnis wirkt es, als stammten die Ereignisse aus verschiedenen Welten und Zeiten. Was sie in gewisser Weise auch taten.

Peter Körte

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Für den Jugendlichen spielte Ende Mai 1972 vor allem die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen Russland, zur Eröffnung des Münchener Olympiastadions, jene Mannschaft, die in Wembley triumphiert hatte gegen England. Es gab massive Polizeipräsenz auf dem Schulweg Ende Mai, das war die „Aktion Wasserschlag“ am 31. Mai, mit der das BKA die RAF aufmischen wollte. Man wusste, dass Gerd Müller mit seinen 40 Toren einen sensationellen Rekord aufgestellt hatte und dass Arminia Bielefeld ein Geisterteam, weil zwangsabgestiegen war.

Baaders Festnahme und Müllers 40 Tore

In der Fußgängerzone wurde am 2. Juni ein Extrablatt der örtlichen Tageszeitung verteilt, „Baader gefasst!“, brüllte der Ausrufer, „Meinhof noch auf freiem Fuß“. Dass Gudrun Ensslin eine Woche und Ulrike Meinhof zwei Wochen später gefasst wurden, scheint einer ganz anderen Zeit anzugehören als der Sieg im Halbfinale der Europameisterschaft am 14. Juni.

Dass am 8. Juni auf einer Landstraße in Vietnam ein Mädchen fotografiert wurde, während es sich die Kleider vom Leib riss, weil es von brennendem Napalm getroffen worden war, erfuhr man erst später, als das Bild von Kim Phuc um die ganze Welt gegangen war.

Dass die Band Ton, Steine, Scherben über Pfingsten im Studio ihr Album „Keine Macht für niemand“ produzierte, konnte man noch nicht wissen. Wohl aber, dass am Nachmittag des 18. Juni Netzer und Beckenbauer der Sowjetunion im Finale keine Chance ließen.

„Baader gefasst!“ Schaulustige beobachten das Geschehen vor einem Wohnhaus im Frankfurter Stadtteil Dornbusch – in den Garagen hatten sich vier Mitglieder der RAF verschanzt, darunter Andreas Baader.


„Baader gefasst!“ Schaulustige beobachten das Geschehen vor einem Wohnhaus im Frankfurter Stadtteil Dornbusch – in den Garagen hatten sich vier Mitglieder der RAF verschanzt, darunter Andreas Baader.
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Bild: Picture-Alliance

Ein Buch bringt nun zusammen, was in der eigenen Erinnerung so seltsam getrennt ist. Bernd-M. Beyer, Mitgründer des Verlags Die Werkstatt, hat auf den ersten Blick ein Fußballbuch geschrieben. Aber in „71/72. Die Saison der Träumer“ ist Fußball nicht auf den grünen Rasen beschränkt. Er findet mitten in der Gesellschaft statt.

Die Ästhetik des Scheiterns

Es ist ein großartiges, kluges Buch, das verbindet, das Linien zieht, Kontexte herstellt, aber keine Kausalitäten, Abhängigkeiten oder Einflussrichtungen behauptet. Es gibt Durchlässigkeit und Nebeneinander. Und diese Parataxen erklären zugleich ein wenig die Lücken und den Anschein von Ungleichzeitigkeit: Dass man sich an das Baader-Extrablatt erinnert und an Müllers 40. Tor einen Tag später, ohne sie als synchrone Ereignisse verknüpft zu haben.

Beyers Buch umfasst den Zeitraum von der Enthüllung des Bundesligaskandals im Juni 1971 bis zum traurigen Epilog, als palästinensische Terroristen am 5. September 1972 das Olympische Dorf in München überfielen. Beim Lesen staunt man deswegen als eine Art Zeitzeuge fast genauso über die Koinzidenzen, wie all diejenigen staunen dürften, die zu jung sind, um sich erinnern zu können. Dieser Effekt hat mit Beyers zurückhaltender Kombinatorik, mit seinem Timing zu tun; mit einer Erzählweise, die Handlungsebenen so dramaturgisch geschickt montiert wie ein Tatsachenroman.

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