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#Armut im Land sinkt – Angst vor Armut steigt

Armut im Land sinkt – Angst vor Armut steigt

Die Armen werden immer ärmer und die Reichen immer reicher: Dieses Bild prägt seit Jahren die sozialpolitische Diskussion in Deutschland und wird in der Corona-Krise noch verstärkt. Es prägt zunehmend die Wahrnehmung der Bürger – obwohl es der messbaren Entwicklung der Einkommen und ihrer Verteilung widerspricht. Denn sie war im abgelaufenen Jahrzehnt auf jeden Fall günstiger als davor. Wie stark öffentliche Wahrnehmung und messbare Wirklichkeit hierbei auseinanderklaffen, zeigt nun auch der Entwurf des neuen amtlichen „Armuts- und Reichtumsberichts“ aus dem Bundessozialministerium.

Dietrich Creutzburg

„Das letzte Jahrzehnt war von einem deutlichen Einkommenswachstum geprägt“, heißt es in der Einleitung des umfangreichen Berichts, den das Bundeskabinett im Mai beschließen will. „Letztlich haben alle Einkommensbereiche von der positiven Wirtschaftsentwicklung profitiert.“ Zugleich lasse sich in den unteren Einkommensschichten eine deutliche Mobilität nach oben erkennen: „Für viele Menschen stellen Zeiten niedriger Einkommen Übergangsphasen dar“, listet der Bericht auf. „Nach einem Jahr hat etwa ein Drittel den Bereich der geringen Einkommen bereits wieder verlassen.“ Binnen drei Jahren gelinge das fast der Hälfte.

In starkem Kontrast dazu stehen Ergebnisse einer Repräsentativstudie, die das 537-Seiten-Werk in einem Kapitel über subjektive Wahrnehmungen darstellt: 80 Prozent der Befragten haben demnach in den vergangenen fünf Jahren wachsende Armut in Deutschland wahrgenommen, 70 Prozent dagegen zunehmenden Reichtum. „Die Zunahme von Armut wurde dabei als stärker eingeschätzt als die von Reichtum“, heißt es im Bericht.

Unterschied zwischen Armut und Ungleichheit

Von großer Bedeutung ist dabei offenbar, was man unter Armut versteht. In politischen Debatten wird oft nicht klar zwischen Armut und Ungleichheit unterschieden – ihre statistisch messbaren Entwicklungen unterscheiden sich aber sehr stark, wie amtliche Daten zeigen, die der Bericht aus dem Sozialministerium zitiert. Der Anteil der Menschen, die im Alltag mit ernsten finanziellen Nöten kämpfen, ist demnach stark gesunken: Er hat sich von 5,1 Prozent 2005 auf 2,6 Prozent im Jahr 2019 fast halbiert. Gemessen wird dabei, wer in „erheblicher materieller Deprivation“ lebt. Das sind Personen, die angeben, sich beispielsweise kein Auto und keine Waschmaschine leisten zu können, und die zugleich größere Probleme haben, Miet- und Heizkosten zu bezahlen. Rentner betrifft das noch etwas seltener als die übrige Bevölkerung.

Eine politische Schlüsselrolle spielen indes Kennziffern, die etwas über die Verteilung der Einkommen aussagen – darunter die sogenannte Armutsgefährdungsquote: Sie besagt, welcher Anteil der Bevölkerung mit seinem Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesellschaft erreicht. Steigen nur die mittleren Einkommen, erhöht sich das so gemessene Armutsrisiko. Steigen alle Einkommen gleich stark, ändert es sich nicht.

Tatsächlich ist die Armutsgefährdungsquote nicht gesunken, weil – wie das Ministerium schreibt – „alle Einkommensbereiche“ vom Aufschwung profitierten. Die Quote ist von 14,7 Prozent im Jahr 2005 auf 15,7 Prozent im Jahr 2015 gestiegen und lag zuletzt bei 15,9 Prozent. Dasselbe Bild ergibt sich bei einem Blick auf die durchschnittlichen Zuwächse in den einzelnen Einkommensschichten: Im unteren Drittel der Einkommensskala lagen die Zuwächse im Zeitraum 2005 bis 2015 bei 2,5 Prozent, in den oberen beiden Dritteln bei etwas mehr als 5 Prozent; die Spitzeneinkommen stiegen aber etwas weniger stark als die der oberen Mittelschicht.

Migration verstärkt die Ungleichheit

Interessanten Aufschluss über die Hintergründe dieser Entwicklungen gibt eine weitere Studie, die der Bericht zitiert. Sie prüft mit ökonometrischen Mitteln, welche Faktoren die je nach Einkommensschicht unterschiedlichen Zuwächse erklären – die im Ergebnis zu dem Anstieg statistisch gemessener Ungleichheit führten. Ein Haupttreiber war demnach schon im Analysezeitraum 2005 bis 2015 die Veränderung der Bevölkerungsstruktur durch Migration: „Personen, die nach Deutschland zuwanderten, erreichten oft zunächst nur niedrige Positionen in der Einkommensverteilung“, stellt das Sozialministerium in dem Berichtsentwurf fest.

Für die statistisch gemessene Ungleichheit und ihre Interpretation hat das wichtige Folgen: Ein Teil der Personen, die 2015 zum unteren Drittel zählten, waren 2005 noch nicht in Deutschland – und eine entsprechend große Gruppe, die damals zum unteren Drittel gehört hatte, zählte 2015 zu einer höheren Schicht. Die Studie liefert auch eine bezifferte Schätzung: Ohne den Effekt der Zuwanderung wäre der gemessene Einkommensanstieg des unteren Drittels – unter sonst gleichen Umständen – um gut 2,5 Prozentpunkte höher ausgefallen. Allerdings hätten dann Personen, die 2015 mit ihrem Einkommen in der tatsächlichen Schichtung aufgestiegen waren, weiter zum unteren Drittel gezählt.

Ein Faktor mit umgekehrter Wirkung, war indessen der Aufschwung am Arbeitsmarkt seit 2005: Ohne ihn, mit anhaltend hoher Arbeitslosigkeit, wäre das statistische Einkommensniveau des unteren Drittels geschrumpft, lautet der Befund. Verstärkend wirkte auf die gemessene Ungleichheit aber ein eng damit verbundener Faktor: Der Anteil der Haushalte mit höherer Bildung, höherem Alter und größerer Arbeitserfahrung nahm im Betrachtungszeitraum zu. Von dieser Strukturveränderung profitierten der Studie zufolge im Ergebnis alle Einkommensschichten – die oberen aber stärker als die unteren. Rein statistisch erhöhte sich damit auch die Armutsgefährungsquote. Es hat die Armen allerdings nicht ärmer gemacht.

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