Nachrichten

#Tübingen: Oberbürgermeister Boris Palmer will nochmal ran: Ein Grüner gegen die Grünen

„Tübingen: Oberbürgermeister Boris Palmer will nochmal ran: Ein Grüner gegen die Grünen“



Für manchen ist er selbstherrlich, unbelehrbar, ja, unwählbar geworden. Boris Palmer will trotzdem ein drittes Mal Oberbürgermeister von Tübingen werden. Nun tritt er sogar gegen seine eigene Partei an.

Wie die Oberbürgermeisterwahl in Tübingen ausgeht, wäre über den Südwesten hinaus wohl kein großes Thema. Aber wenn am Sonntag in der Universitätsstadt am Neckar, 30 Kilometer südlich von Stuttgart, 90.000 Einwohner, 69.000 Wahlberechtigte, gewählt wird, ist das bundesweit von Interesse. Denn es geht um einen, der seit Jahren polarisiert, und zwar nicht nur bei seiner Partei, den Grünen. Ist man nicht für ihn, ist man gegen ihn. Die Rede ist von Boris Palmer.

Boris Palmer strebt nun die dritte Amtszeit an

Seit 2006 regiert der Grünen-Politiker im Tübinger Rathaus, jetzt strebt der 50-Jährige die dritte Amtszeit an. Seine kommunalpolitische Bilanz ist blendend, das bescheinigen ihm auch Gegner. Die Stadt wächst und ist schuldenfrei, hat viele Hightech-Arbeitsplätze dazugewonnen, ist vorbildlich in vielen Initiativen. Nicht zuletzt bringt das von ihm vorangetriebene Klimaschutzprogramm Tübingen in die komfortable Lage, in diesem Krisenwinter drei Viertel der benötigten Energie selbst zu erzeugen und dabei noch richtig viel Geld zu verdienen. Auch Palmers Corona-Management und das „Tübinger Modell“ wurden bundesweit kopiert.

Viel bekannter aber ist Boris Palmer seit Jahren für umstrittene Postings auf Facebook, fragwürdige Äußerungen in Talkshows und in seinen Büchern, für Sheriff-Jagdszenen in seiner Stadt, für eine Positionierung in Migrations- und Integrationsfragen, die quer gegen grüne Parteibeschlüsse steht und die ihm Rassismus-Vorwürfe, Beifall von rechts und 2021 letztlich ein Parteiausschlussverfahren im Südwesten eingebracht haben.

Hier gilt Palmer als Populist, als Aufmerksamkeitsjunkie, der es nicht lassen kann, mit markanten Sprüchen die Schlagzeilen zu bedienen. Seine Parteimitgliedschaft ruht bis Ende 2023, das ist der Kompromiss mit dem Landesverband. Die Entscheidung ist vertagt, die Fronten sind verhärtet.

Boris Palmer: Ego-Shooter statt Teamplayer, aber hochintelligent

Und dann ist da noch sein Auftreten. Selbstherrlich, besserwisserisch, arrogant, nicht konsensfähig, Ego-Shooter statt Teamplayer, unbelehrbar – das sind die Attribute, die den gelernten Mathematik- und Geschichtslehrer seit Jahren ebenso verlässlich begleiten wie die Wertung hochintelligent.

Lesen Sie dazu auch

Aus dem einstigen grünen Hoffnungsträger machten die verbalen Ausfälle hinsichtlich der Parteikarriere einen hoffnungslosen Fall. Auch einstige Förderer wie Winfried Kretschmann begegnen Fragen nach Palmers politischer Zukunft bei den Grünen nur noch mit Schulterzucken. Die Liste der prominenten Gegner bei den Grünen, die Boris Palmer für untragbar halten, ist lang.

Palmer kann auf viele, teils prominente Unterstützer zählen

Die Causa Palmer stürzt Tübingen nun aus seiner bürgerlich-akademischen Bräsigkeit in Wirren, bei denen in den Wochen vor der Wahl die Gräben tief, die Grenzen zwischen den politischen Lagern verwischt sind und der Ausgang völlig offen ist. Die kleine Alternative Liste, die im Tübinger Gemeinderat eigentlich mit dem grünen Stadtverband zusammenarbeitet, unterstützt Palmer offiziell. Aber nicht nur die. Palmers OB-Wahl-Homepage, die Unterstützer aus Tübingen und der ganzen Republik namentlich auflistet, liest sich wie ein „Who is who“ der grünen Gründungsjahre.

Palmer lässt prominente örtliche Unterstützer reihenweise in Video-Statements zu Wort kommen. „Ich will“ ist ihr Slogan, und alle wollen sie Boris. Palmer kann sich das leisten. Der Spendenaufruf seiner Wahlinitiative hatte ihm binnen kurzer Zeit die erbetene Summe von 100.000 Euro in die Wahlkampfkasse gespült. Eine Summe, von der seine Konkurrenz nur träumen kann.

Die Grünen-Kandidatin Ulrike Baumgärtner hat ein frostiges Verhältnis zu Boris Palmer

Da wäre zunächst Ulrike Baumgärtner, Ulli genannt, 43 Jahre alt, die seit langen Jahren in Tübingen für die Grünen Kommunalpolitik macht. Sie ist die Grüne, die mit Unterstützung der Partei Palmer das Rathaus abjagen will und soll. Baumgärtner war vor vielen Jahren Palmers Mitarbeiterin. Man kennt sich, wie alle in Tübingen, das mehr ein Dorf ist als eine Stadt.

Ulrike Baumgärtner tritt im Tübinger Wahlkampf für die Grünen an.

Foto: Bernd Weißbrod, dpa

Das Verhältnis ist frostig, die beiden zoffen sich auch schon mal auf Wahlpodien, ansonsten hat man sich wenig zu sagen. „Wir gehen professionell miteinander um, ich brauche kein persönliches Verhältnis zu ihm“, sagt Baumgärtner beim Gespräch nach einer Veranstaltung in Tübingen. „Aber viele sagen mir, dass sie froh sind, eine Alternative bei der Wahl zu haben, und dass 16 Jahre einfach genug sind.“

Baumgärtner will nichts mit dem Oberbürgermeister-Modell Boris Palmer zu tun haben. „Es geht um einen Stilwechsel in der Politik“, sagt die promovierte Politikwissenschaftlerin, für die Palmer ein „Sonnenkönig“ ist. „Da habe ich ein ganz anderes Angebot. Es geht auch um die Frage: Wer entscheidet eigentlich in dieser Stadt? Und wie wird entschieden?“, erklärt Baumgärtner. „Gemeinsam sind wir Tübingen“ lautet ihre zentrale Botschaft. Ob bei anderen Botschaften ihre Sachkenntnis ausreiche, wird in den Leserbriefspalten der örtlichen Tageszeitung derzeit ebenso heftig diskutiert wie die Frage, ob denn eine Auswärtige die richtige Antwort sei.

Die SPD-Kandidatin Sofie Geisel schätzt den Tübinger Oberbürgermeister

Die Auswärtige, das ist Sofie Geisel. 50 Jahre alt, von der SPD angeworbene und unterstützte Kandidatin mit Tübinger Studienwurzeln. Auch sie kennt Boris Palmer schon seit gefühlten Ewigkeiten, seit beide zu Studienzeiten in Tübingen nebeneinander Wahlkampf machten, sie für die SPD, Palmer für die Grünen. Und sie schätzt ihn. Mittlerweile ist Geisel in der Geschäftsführung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags in Berlin.

SPD-Frau Sofie Geisel hat in Tübingen studiert, sie kennt Palmer seit gefühlten Ewigkeiten.

Foto: Bernd Weißbrod, dpa

Aber der Kontakt zu Palmer sei in den 23 Jahren, in denen Geisel schon in Berlin lebt, nie abgerissen, sagt sie. „Er gehört zu meinem engeren Bekanntenkreis, wir haben uns immer wieder im privaten Rahmen getroffen. Da ging und geht es um vieles, aber selten um Politik.“ Dünnhäutiger erlebe sie Palmer aber nach fast sieben Monaten Wahlkampf mittlerweile bei den Veranstaltungen, sagt Sofie Geisel, angespannter und auch zuweilen genervt.

Das Kämpfen gegen bestehende Verhältnisse ist Geisel quasi in die Wiege gelegt. Wer im erzkatholischen Ellwangen, wo man CDU wählt, genauso wie man sonntags in die Messe geht, in einer protestantischen SPD-Familie aufwächst, der lässt sich auch von Boris Palmer als Gegner nicht schrecken. Der Vater war Landtagsvizepräsident in Baden-Württemberg, ihr Bruder Oberbürgermeister in Düsseldorf.

Die inhaltlichen Positionen sind in Tübingen ähnlich, es geht um die Frage des Politikstils

Dass sich ihre inhaltlichen Positionen – wie auch die von Ulrike Baumgärtner – in vielen Punkten kaum von denen Palmers unterscheiden, wird im Wahlkampf immer wieder deutlich. Wohnraummangel, Verkehr, Klimaschutz, Fachkräftemangel – weit auseinander sind da alle drei nicht, abgesehen von einem großen Wohnbauprojekt und beim Thema Migration und Zuwanderung. „Aber Führung ist eine Stilfrage, und Tübingen braucht einen neuen Politikstil“, sagt auch Geisel.

Da ist es wieder, das Wort, das in Tübingen die Wahl entscheiden könnte. „Es melden mir viele Menschen zurück, dass sie es gut finden, dass ich antrete. Aber was das am Ende heißt, ob die mich auch wählen? Das kann ich nicht einschätzen“, bewertet sie ihre Chancen.

„Ganz schwer zu sagen ist das“, meint auch Lisa Federle zur Stimmung in der Stadt kurz vor der Wahl. Die Notärztin, die das Tübinger Corona-Impf- und -Testmodell ersann und mit Palmer umsetzte, ist ebenfalls mit dem Amtsinhaber freundschaftlich verbunden. Wäre es nach CDU und Freien Wählern gegangen, stünde Federle, seit langem CDU-Mitglied, selbst auf dem Wahlzettel. Mit ihrer Popularität hätte sie wohl beste Chancen gehabt, aber eine Kandidatur kam für sie nicht infrage, sagt sie.

Ihre Wahlentscheidung hat sie längst getroffen. „Ich wähle Boris Palmer, das ist kein Geheimnis“, sagt Lisa Federle. „Ich habe ihn jahrelang als OB erlebt als jemanden, der sehr schnell begreift, reagiert und Dinge anpackt. Vor allem durch unsere Zusammenarbeit in der Corona-Krise. In den Krisen, die jetzt kommen, braucht es so jemanden. Er hat natürlich seine Schwachpunkte. Aber unwählbar ist er deswegen für mich nicht.“ Für andere dagegen schon, weiß Federle.

Ein demütiger Boris Palmer? Bei einem zweiten Wahlgang werde er nicht mehr antreten

Für Palmer selbst ist der Wahlkampf schon zu Ende. Am Freitag schreibt er auf seiner Facebook-Seite, er habe sich erstmals mit dem Coronavirus infiziert. Und er schlägt plötzlich ungewohnte Töne an. Sollte es zu einem zweiten Wahlgang kommen, werde er nicht mehr antreten. Und nicht nur das: Auch als Politiker will er in diesem Fall aufhören. „Wenn ich diese Wahl nicht für mich entscheiden kann, ist die politische Figur Boris Palmer am Ende“, erklärt er der Pforzheimer Zeitung.

Ist das ein neuer Boris Palmer, der da spricht? Er werde wohl sein Leben lang mit seiner Impulskontrolle kämpfen müssen, gesteht er beim größten Kandidatenpodium in Tübingen, zehn Tage vor der Wahl. In seinem Abschluss-Statement an die Tübinger nennt er dann noch eine Bitte und drei Angebote. Die Angebote betreffen Sachthemen, die er in den nächsten acht Jahren voranbringen will. Die Bitte betrifft ihn selbst. „Wenn ich Sie in den letzten 16 Jahren verärgert habe – verzeihen Sie mir.“ Ein demütiger Palmer? Das wäre tatsächlich ein ganz neuer Politikstil.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!