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#Die Gnade der späten Thronbesteigung

„Die Gnade der späten Thronbesteigung“

Fast könnte man vergessen, dass Großbritannien nicht nur ein neues Staatsoberhaupt hat, sondern auch eine neue Premierministerin.

Weder reden die Briten in diesen Tagen über Liz Truss noch über deren Hilfspaket zur Linderung der Energiekrise, das manche als das teuerste in der Geschichte des Landes bezeichnen. Truss’ erstaunliche Ankündigung, die immerhin ihre Amtszeit definieren sollte, fiel zusammen mit dem plötzlichen Ende des zweiten Elisabethanischen Zeitalters und wurde damit gleichsam zur Lappalie.

Der Tod „der Queen“ hat die Uhren angehalten. Die Nation bewegt sich nicht mehr im normalen Takt, jedenfalls nicht im Rhythmus politisch eingeübter Schläge. Der parlamentarische und behördliche Alltag ist zum Erliegen gekommen. Termine und Konferenzen sind abgesagt. In den Schulen, selbst in den Kindergärten verfolgen die Kinder auf Leinwänden, wie der Sarg der Königin in feierlichen Prozessionen durchs Land getragen wird. Seit fast schon einer Woche zelebrieren die Briten einen Zustand des Innehaltens, der transitorischen Selbstvergewisserung.

Die meisten kannten nur die Queen

Man muss kein Fan der Monarchie sein, um die Schönheit und auch den Wert darin zu erkennen. Die lange Regentschaft Elisabeths II. – undenkbar in Staaten, die ihre obersten Vertreter auf Zeit bestimmen – hat den Briten ein Gemeinschaftserlebnis der besonderen Art gestiftet. Die meisten kannten nie ein anderes Staatsoberhaupt. Hinzu kam das Glück, dass Elisabeth in ihrer gleichmütigen Pflichterfüllung nahezu alle an­sprach. Sie brauchte kein Lager, das sie verteidigte, weil sie über der Politik stand. Jeder sah sie in den unterschiedlichsten Fragen auf seiner Seite – oder wenigstens die Faust in der Tasche ballen. In den langen Schlangen, die sich zunächst in Edinburgh und nun in London vor dem Sarg der Queen gebildet haben, ist immer wieder zu hören, dass man „kommen musste“, weil man der Frau, die so viel gegeben habe, etwas zurückgeben wolle.

Natürlich können auch Republiken herausragende Persönlichkeiten an die Spitze des Staates spülen: Nelson Mandela in Südafrika, Vaclav Havel in der Tschechischen Republik, vielleicht auch Theodor Heuss in Deutschland. Viele von ihnen haben politisch mehr geleistet und mehr riskiert. Aber niemand konnte eine ganze Nation über sieben Jahrzehnte so verkörpern wie Elisabeth II. Sie war – als Person – die Antwort auf die Frage: Was ist britisch?

Den Frieden mit Camilla gemacht

Für die meisten Briten hat es etwas Beruhigendes, dass der neue König so lange bei ihr in die Schule gegangen ist. Die späte Thronbesteigung ist auch eine historische Gnade: Noch vor 20 Jahren hätte der Übergang zu Charles die Monarchie erschüttert, womöglich ins Wanken gebracht. Danach sieht es nun nicht mehr aus. Das Volk hat seinen Frieden mit Charles gemacht, nicht zuletzt mit seiner zweiten Frau Camilla, deren Umsicht die Dramen um die hochverehrte erste, Diana, langsam vergessen ließ. Der Ausblick auf Kronprinz William und seine Frau Kate, die schon jetzt ein fast gespenstisch perfektes Monarchenpaar abgeben, wirkt zusätzlich stabilisierend.

Wenn die Briten nach dem Staatsbegräbnis am Montag in den Alltag zurücksinken, werden wieder die Herausforderungen sichtbar, vor denen das Land und auch die Monarchie stehen. So freundlich der neue König in Schottland und Nordirland empfangen wurde – die Fliehkräfte in diesen beiden „Nationen“ dürften unter Charles kaum abnehmen. Auch im Commonwealth, wo immerhin noch 14 Staaten an der britischen Krone hängen, nutzen Republikaner den Thronwechsel als Hebel, um ihrem Ziel näher zu kommen. Begleitet werden die Gefahren der Desintegration von wirtschaftlichen Verwerfungen, die von Truss’ beispielloser Staatsintervention eingehegt werden, aber mittelfristig den Haushalt und womöglich mehr gefährden können.

In der EU ist die Versuchung groß, den Briten seit dem Brexit schwere Zeiten vorauszusagen. Viele sehen es als Irrweg, wenn nicht als Zeichen politischer und wirtschaftlicher Selbstverstümmelung, dass sie sich vom „europäischen Projekt“ losgesagt haben. Doch dieser Thronübergang, bei dem wie selbstverständlich auf 1000 Jahre wechselhafter Monarchie zurückgeblickt wird, rückt selbst diese Zäsur in eine Perspektive und zeigt ein Land, das trotz allem ein intaktes inneres Zentrum hat. Die britische Gesellschaft, die über den EU-Austritt, den „Kulturkrieg“ und die Rezepte zur Überwindung der multiplen Krisen uneins ist, wird auch weiterhin konstitutionell zu­sammengehalten. Dass dieser – perfekt inszenierte und minutiös vorbereitete – Übergang geglückt ist und nur von ein paar wenigen impulsiven Republikanern gestört wurde, reflektiert das robuste Bedürfnis, sich über alle tagespolitischen Gräben hinweg als ein Volk zu fühlen.

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