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#Twitter Theorie – Wissenschaftsfeuilleton

Twitter Theorie – Wissenschaftsfeuilleton

“Die Morgenröte der Twitter-Soziologie”. So heißt ein Aufsatz, der am 25.4.2021 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) erschienen ist und im Kern davon handelt, dass man die binären Meinungen in den sozialen Medien – Like oder Dislike, dafür oder dagegen, schwarz oder weiß – durch ein Modell beschreiben kann, das die Physik seit fast 100 Jahren kennt und mit dem sie unter anderem versucht, magnetische Eigenschaften von Stoffen zu verstehen, etwa den Ferromagnetismus von Eisen. Es war der 1900 in Köln geborene Ernst Ising, der sich in den 1920er Jahren vornahm, eine Theorie des Magnetismus durch die Vorstellung zu entwerfen, dass der Spin benachbarter Eisenatome durch eine energetische Wechselwirkung ausgerichtet wird, was dann eine magnetische Ordnung zur Folge hat. Die Idee des Spins war damals neu, und auch wenn sie so geheimnisvoll bleibt wie am ersten Tag, so kann mit Hilfe des Spins doch eine Menge Physik verstanden werden, unter anderem der Magnetismus von Eisen. Später hat man sich daran gemacht, kollektive Erscheinungen wie eine La-Ola-Welle durch ein Ising-Modell zu verstehen, und nun also die Hoffnung, eine Twitter Theorie damit hinzubekommen. Physik gilt als erfolgreich, wenn ihre Überlegungen Naturgeschehen vorhersagen können, mit dem Ising-Modell zum Beispiel Phasenübergänge, bei denen ein magnetisierter Stoff seine Qualität verliert, wenn eine kritische Temperatur überschritten wird. Das Ising-Modell hilft in binären Welten, und die Twitter Welt ist binär dank der wenigen Zeichen, die ein Tweet enthalten darf. Das heißt, die ganze Gesellschaft kann binär sein, wenn sich ein Shitstorm bildet und viele Menschen plötzlich gegen etwas sind, was bislang gefallen hat. Das wäre doch etwas – eine physikalisch basierte Theorie, die erst Meinungsbildungen und dann Wahlergebnisse berechnen und vorhersagen kann. Die Physik hat mit ihrem Erfolg immer Neid ausgelöst. Der Philosoph Kant sprach von einem Newton des Grashalms uns hoffte selbst, der Newton des Geistes zu sein. Jetzt zwar kein Newton der Gesellschaft, aber ein Ising der Meinung. Muss man Angst davor haben? Als die Biologie sich der Physik überließ, ist die Molekulargenetik herausgekommen. Bei allem Respekt vor ihrem Treiben – von einem Verständnis des Lebens ist man weiter entfernt als vorher. Das ist meine paradoxe Prognose. Je mehr Physik die Twitter Theorie aufnimmt, desto rätselhafter kommen einem die Änderungen der Meinungen vor, die getwittert werden. Auch die eigene. Der Menschen bleibt nicht nur so rätselhaft wie am ersten Tag, er wird auch immer verwunderlicher. Das hört nie auf.

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