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#Der Schmutz des Krieges

„Der Schmutz des Krieges“

An dieser Stelle könnte Ihr Gesicht stehen – der Werbeslogan ging mir durch den Kopf, als ich dieses Kriegsfoto aussuchte. Diesen jungen Mann, einen ukrainischen Soldaten, habe ich vor Monaten auf Instagram erblickt. Er tauchte in einer Fotoreihe des Fotografenpaares Libkos (Vlada und Konstantin Liberovy) auf, zwischen Artilleriegeschützen, Panzern und anderen Soldaten, mit ihren müden, aber seltsam erleuchteten Gesichtern, von einem Wissen bestäubt, das uns nicht gegeben ist. An dieses Gesicht habe ich mich immer wieder erinnert, auch weil mein Gedächtnis stets versuchte, die Schmutzpunkte, die durch Bewegung schwerer Technik im Schlamm oder sogar durch eine Explosion entstanden sind, in Sommersprossen zu verwandeln. Es blieb mir etwas Kindliches, sogar etwas Schelmisches von diesem Foto in Erinnerung. Und nun, in dieser schwierigen Woche des Kriegsjahrestages, suchte ich wieder nach ihm.

„Ich stehe hier“, sagen mir diese weit aufgeschlagenen Augen, und ich finde überhaupt keine Spur von Reflexion, keinen Hinweis, keine Erklärung in diesem Blick. Kein Heldentum, nichts von einer erwartbaren Stimmung oder Trauer. Nur pure Präsenz, vom Schmutz des Krieges bespritzt. Der Begleittext des Fotografen beginnt schlicht und direkt: „Keiner von uns hat sich so ein Leben ausgesucht.“ Und das trifft zu. Dieser „legendäre Panzerschütze Schewa“ (wie ihn die Fotografen nennen) hat vor dem Krieg als Lastenträger für Rosetka, eine ukrainische Supermarktkette, gearbeitet, in der man alles, von der Nadel bis zu Gartenmöbeln kaufen kann, auch Salz aus den Schächten der fast komplett zerstörten Stadt Soledar. Sein Kamerad im Panzer war Ladenbesitzer. Die anderen, die Libkos im Laufe des Jahres getroffen haben, waren Lehrer, IT-Spezialisten, Bauarbeiter, Köche oder Sportler.

„Wir sind hier, heute, jetzt“

Vor dem russischen Angriff hatten sie alle ihre Leben abseits von kriegerischer Gewalt gelebt. Sie haben zu den Waffen gegriffen, um ihre Familien und ihr Land vor Vernichtung zu schützen. Die Bildstrecken von Libkos, die von kleinen Reportagen begleitet werden, sind Fenster ins Wesen des Krieges. Libkos schreiben über Soldaten, über ihre schwere, aber klare Entscheidung und auch über den alten russischen T-60-Panzer, den diese Einheit erbeutet hat. „Schmutz, Schmerz und Brutalität des Krieges kleben nicht an ihren Seelen. Das hinterlässt Spuren, aber es verändert nicht ihre Essenz“, schreiben die Fotografen und erwähnen diese Augen. „Wir sind hier, heute, jetzt. Vor unseren Augen, mit unseren Händen entsteht die Geschichte unseres Landes. Es ist eine Verantwortung. Und diese Verantwortung ist furchterregend.“

Jahrestag eines Krieges, der eigentlich vor acht Jahren begonnen hat. Fast abergläubisch, schaue ich in das Gesicht dieses Mannes. Ich wünsche diesem Menschen, dass er lebt, überlebt. Die Berichterstattung aus der Region Bachmut lähmt mich seit Monaten. Der Neffe meiner Freundin N. ist seit Tagen vermisst. Seine Augen auf seinem letzten Foto gehen mir nicht aus dem Kopf. Auch er sieht darauf ruhig und klar aus, aber sehr müde. N. sagt mir, dass sein jüdischer Urgroßvater in Bachmut geboren wurde, als wäre das ein rettendes Zeichen. Es wird über Info-Gruppen und Freiwilligenverbände in der Region nach dem Vermissten gesucht. Heute schreibt N. mir: „Wir haben die schreckliche Nachricht.“

Wo stehen wir jetzt mit diesem Krieg? Brauchen wir noch einen Tod, noch ein verbranntes Haus, eine zerstörte Stadt mehr, um die Erkenntnis darüber zu gewinnen, dass es leider keinen anderen Weg gibt, als sich mit Waffen zu verteidigen? Das Gesicht ist abgeschnitten, wir sehen kein Kinn, keine Lippen, nur diese hellen Augen, die die Welt noch durch die Sehschlitze eines Panzers betrachten. Ich sehe sein Gesicht und habe Angst um sie alle.

Susan Sontag schrieb in „Das Leiden anderer betrachten“, dass von Kriegen die Bilder bleiben, die stören, die einen verfolgen, die Unruhe stiften, die man nicht vergisst. Ich vergesse Hunderte von Fotos nicht. Sie wüten in meinem Kopf, aber wir wissen nicht, welche Bilder in seinem Kopf wüten.

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