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#Unsere Kinder

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„Unsere Kinder“

Den Satz „Ich möchte kein Soldat sein, aber wenn es sein muss, werde ich einer“ habe ich zweimal von ihm gehört. Wie konnte es dazu kommen? Warum denkt ein kleiner Junge überhaupt über so etwas nach? Meine Antwort lautet: Weil ich mein Kind nicht vor dem Krieg beschützen kann.

November 2013. Mein Sohn Andrii ist dreieinhalb Jahre alt. Es sind die ersten Tage der Revolution der Würde, in der Innenstadt von Kiew herrscht Hochstimmung, keiner wird geschlagen, ­keiner getötet, die Leute nehmen sogar ihre Kinder mit zur Kundgebung. Ein putziger Knirps steht verwirrt auf der Hauptbühne des Maidan. Jemand hat ihm ein Mikro gegeben. „Andrii, möchtest du uns etwas sagen?“, animiert ihn der Moderator. „Ich wollte sagen . . . wollte . . . Ruhm der Ukraine!“ Die zigtausend Menschen in der Menge seufzen gleichzeitig erfreut auf. Wegen dieser Schrecksekunde kann mein Sohn in dieser Nacht lange nicht einschlafen.

Februar 2014. Niemand nimmt mehr seine Kinder mit zum Maidan, weil hier inzwischen Menschen sterben. Im Zentrum meiner Heimatstadt werden unbewaffnete Menschen von Scharfschützen erschossen. Es ist unvorstellbar, aber ich helfe jetzt ehrenamtlich in einem Krankenhaus in der Abteilung für Polytraumata und sehe mit eigenen Augen, wie die Verwundeten gebracht werden. Mein Mann ist irgendwo auf dem Maidan, ich fahre irgendwann nach Hause, um mich zu duschen und ein bisschen hinzulegen, denke aber die ganze Zeit an die junge Frau mit der Schusswunde am Hals und an den Mann, dem ein Scharfschütze eine Kugel direkt in den Mund gejagt hat, und an das mitgehörte Gespräch der Chirurgen, die vorher noch nie mit solchen Verletzungen zu tun hatten; denke an das Blut auf dem Fahrstuhlboden, das ich lange auf Knien abzuwischen versucht habe. Mein Sohn hat mich mehrere Tage nicht gesehen und sehr vermisst: „Schau mal, Mama, was ich für dich gemalt habe!“ Er drückt mir einen Stapel Blätter mit kindlichem Gekritzel in die Hand. „Hier, das ist der Maidan! Das ist ein Panzer. Dieser Jeep hat Bonbons für alle gebracht! Und hier liegt jemand.“ Schockiert sehe ich mir seine Zeichnungen an, aus unerfindlichen Gründen hat er nur zwei Farben verwendet – Schwarz und Rot. Woher weiß er das alles? Vielleicht hatte die Oma ununterbrochen die Nachrichten laufen­ . . . Ich bedanke mich für die Zeichnungen und heule lange im Bad, ein Handtuch zwischen die Zähne geschoben.

Die ukrainischen Freunde Iryna Tsilyk (links), Artem Tschech (Mitte) und Oleksandr Mykhed, hier an Silvester 2021.


Die ukrainischen Freunde Iryna Tsilyk (links), Artem Tschech (Mitte) und Oleksandr Mykhed, hier an Silvester 2021.
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Bild: privat

Dezember 2015. Ich höre meinen fünfjährigen Sohn mit seinem Vater telefonieren. Mein Mann ist in diesem Jahr zur Armee gegangen, und wir haben beide das Gefühl, in einer irrealen Realität zu leben. Ein renommierter Autor ohne militärische Erfahrung, und jetzt sitzt er im Osten der Ukraine in einem Schützengraben und kämpft wie im Ersten Weltkrieg. „Was machst du, Papa? Was hast du heute gegessen? Frierst du auch nicht? Was hat dir der Nikolaus gebracht? Hast du unters ­Kissen geschaut? Eine Maus hat er dir gebracht? Und was hast du mit der Maus gemacht?“ Am Abend sagt Andrii zu mir: „Wenn ich mal groß bin, gibt es keinen Krieg. Und wenn doch, dann muss ich auch Soldat werden. Eigentlich will ich lieber Superheld werden und Spiderman, aber wenn es sein muss, dann werde ich Soldat.“

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