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#Unter obskuren Geheimpolizisten

„Unter obskuren Geheimpolizisten“

Mozarts „Don Giovanni“, diese – nach E.T.A. Hoffmann – „Oper aller Opern“, ist den meisten Musikbühnen-Begeisterten dutzendfach vertraut. Mit Daniel Barenboim, dem jahrzehntelang unermüdlichen Dirigenten, Pianisten und Organisator, geht es dem Berliner Publikum genauso. Man durfte also vom neuerlichen Zusammentreffen beider – nach einer akribischen Zählung der Hausdramaturgie das achte insgesamt und das vierte in der Staatsoper Unter den Linden – eine Art Familientreffen erwarten. Das wurde es dann tatsächlich, mit manchen guten und freilich auch bedenklichen Symptomen solcher Zusammenkünfte.

Denn man muss zwar nicht jede Routine, wie sie hier der Dirigent und die ihm auf den Wimpernschlag folgende, klangsatte Staatskapelle zelebrierten, als „müde“ abkanzeln; aber annähernd überreif und wohlig in sich gekuschelt – was in der Umkehrung dann auch heißt: kaum je brennend leidenschaftlich, nie existenziell – wirkte das schon. Barenboims betont gelassene Tempi (dass der Abend fast eine halbe Stunde länger dauerte als noch im Programmheft avisiert, lag nicht nur an der überlangen Pause) kamen den Sängern oft entgegen und hielten die meisten Ensembles durchsichtig, aber in einer von Ängsten und Frustrationen durchgorenen Szene wie dem Sextett des zweiten Aktes wirkten sie dann doch schleppend und niederziehend.

Fehlende Konsequenz kann man der Regieführung kaum vorwerfen

Hinzu kam, dass Vincent Huguets Inszenierung, ähnlich den beiden vorangegangenen Mozart-Arbeiten von Lorenzo Da Ponte am Haus, zwar souverän in Handlungsführung, Raumaufteilung und Bewegungslogistik, aber flach im Relief wirkte. Statt der Alpen gab es also den Schwarzwald; wobei der ja auch schön, nur eben nicht ganz so aufregend ist. Der Regisseur hat die Handlung nah an die Gegenwart herangezogen und den Titelhelden zum Lifestyle-Fotografen – womöglich mit einer kleinen angegliederten Porno-Abteilung – umgewidmet. Das prächtige Finale des ersten Aktes wird dann zur 40-Jahres-Vernissage, woraus folgt, dass Giovanni mindestens ein Mittsechziger sein sollte.

Lifestyle-Fotograf mit romantischen Ambitionen: Michael Volle (Don Giovanni) und Elsa Dreisig (Donna Elvira)


Lifestyle-Fotograf mit romantischen Ambitionen: Michael Volle (Don Giovanni) und Elsa Dreisig (Donna Elvira)
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Bild: dpa

Tatsächlich ist das Hinscheiden des Commendatore in der Eingangsszene bei Huguet eher ein Unfall als böser Vorsatz, was sogleich die Fallhöhe der ganzen Handlung anders einpegelt und auch das abschließende Gerichtsbild umwertet: keine Höllenfahrt mehr, sondern die Entfernung eines lästig gewordenen Ruhestörers aus der High Society in eine geschlossene Anstalt, vollzogen mithilfe einer obskuren Truppe von Sanitätern, Bestattungsassistenten und Geheimpolizisten, die schon in den vorangegangenen Bildern öfter stumm und hintergründig mitwirkte.

Fehlende Konsequenz kann man der Regieführung insofern kaum vorwerfen, wohl aber die Herunterdimmung des anarchistischen, grenzsprengenden Potentials der Oper. Kleine, harmlos verspielte Pointen blieben natürlich immer möglich, wurden aber nie substanziell. So etwa, wenn eine Kamera zum möglichen Totschlag-Werkzeug wird; wenn Elvira zur Wiedergängerin der jüngeren Angela Merkel mutiert; oder auch in der geradezu liebevoll ausgemalten postkoitalen Erschöpfung der gleichen Figur und ihres unter falscher Flagge segelnden One-Night-Gespielen Leporello. Aurélie Maestres auf Betontristesse gebürstetes, aber praktikables Bühnenbild und die charaktervollen Kostüme von Clémence Pernoud stellten den passenden optischen Rahmen für diese unaufregend-geheimnislose Sichtweise.

Diese anstrengende Dauerstalkerin

Insgesamt tat man gut daran, sich vor allem an die sängerischen Leistungen zu halten. Michael Volle war dabei zwar nicht der Giovanni, den man sich spontan vorstellt, doch seine allzeit präsente, kernige vokale Ausstrahlung und die im Ganzen nicht unsympathische, schlitzohrig-manipulative und gewiss auch ölige Wendigkeit schufen ein ganz eigenes Charakterbild – inbegriffen die beeindruckend umgesetzte seelische Erosion schon vor der finalen Beruhigungsspritze.

Peter Roses Commendatore und David Oštreks Masetto agierten in den Grenzen gediegener Solidität, Riccardo Fassis Leporello entfaltete spielerisch viel komödiantisches Potential, dem seine sängerische Ausstrahlung noch nicht ganz vergleichbar nachkam. Der vokale Gegenspieler des Titelhelden war insofern eher Bogdan Volkovs Ottavio mit beeindruckend edel aufblühendem Tenorschmelz – als Rollenbild freilich ein unentschieden taktierendes, ausstrahlungsblasses und schönrednerisches Männchen nach dem Muster eines mittlerweile abgetretenen deutschen Außenpolitikers.

Eine reine Freude waren indessen die drei Frauen des Abends. Voran Slavka Zamečnikovas Donna Anna, eine ranke, von unterdrückter Sinnlichkeit vibrierende Gestalt auf dem immer gefährdeten Grat zwischen Pragmatismus und selbst aufgebender Grenzsprengung, stimmlich mit lyrisch strömender Fülle und dennoch angemessener Koloraturensicherheit. Serena Sáenz’ Zerlina ließ in ihren Besänftigungsgesängen an Masetto, vor allem aber in den Begegnungen mit Giovanni eine zwar keineswegs unschuldige, aber frisch-unabgenutzte und spontane Erotik aufblühen, eine Phase, die Elsa Dreisigs Elvira ersichtlich schon hinter sich hatte, und das nicht nur in ihrem hysterisch aufgelösten Spiel als lästige Dauerstalkerin hinter Giovanni, sondern auch sängerisch durch eine wie zwanghaft abgezirkelte, dabei dennoch ausstrahlungskräftige und anrührende Prosodie ausdrückte. Im Rahmen dessen, was die Regie zuließ – man könnte Hu­guets Personenführung abseits der Titelfigur als einen risikolos-eklektischen, statistischen Querschnitt prägender Rollengestaltungen der vergangenen Jahrzehnte lesen –, gelang hier doch eine hochdifferenzierte, wandlungsfähige Darstellung.

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