Wissenschaft

#Säugetiere: Männchen meist nicht größer als Weibchen

Riesige Elefantenbullen, imposante Löwenmännchen, prächtige Hirsche und starke Silberrücken-Gorillas: Wenn wir an Geschlechtsunterschiede bei Säugetieren denken, fallen uns oft Arten ein, bei denen die Männchen größer sind als die Weibchen. Selbst in der Wissenschaft hat sich die Annahme hartnäckig gehalten, dass männliche Säugetiere oft größer sind als weibliche. Eine Studie zeigt nun jedoch anhand einer Analyse von mehr als 400 Spezies, dass es bei den meisten Säugetierarten keine relevanten Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt oder sogar die Weibchen größer sind.

Seit Charles Darwin im Jahr 1871 sein Werk „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ veröffentlichte, gilt es als ausgemacht, dass bei Säugetieren die Männchen üblicherweise größer sind als die Weibchen. Grund dafür sei die sexuelle Selektion, die Männchen zu starken Kämpfern macht, während die Weibchen sich klein und unauffällig der Aufzucht des Nachwuchses widmen können. Zahlreiche Arten passen zu dieser Annahme, darunter beeindruckende Wildtiere wie Elefanten, Löwen und Hirsche. Auch bei uns Menschen sind die Männer meist größer als die Frauen.

Alte Annahme auf dem Prüfstand

Doch ganz so universell wie angenommen ist dieses Muster offenbar nicht. „Wir haben mehr als 400 Säugetierarten analysiert und kommen zu dem Ergebnis, dass bei der Mehrzahl der Arten die Männchen nicht größer sind als die Weibchen“, schreibt ein Team um Kaia Tombak vom Hunter College der City University of New York. „Auch wenn es sich dabei nur um ein vorläufiges Ergebnis handelt, legt diese Studie nahe, dass auch andere Annahmen zur sexuellen Selektion überdacht werden müssen.“

Für ihre Studie durchforsteten Tombak und ihr Team die wissenschaftliche Literatur nach vergleichenden Angaben zu Größe und Gewicht bei Männchen und Weibchen verschiedener Säugetierarten in freier Wildbahn. Für insgesamt 429 Arten aus 17 Ordnungen der Säugetiere fanden sie ausreichende Daten. „Unsere Auswertung zeigt, dass die Männchen nur bei 45 Prozent der Arten mehr wiegen als die Weibchen, während es bei 39 Prozent der der Arten keine Gewichtsunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt und bei 16 Prozent die Weibchen schwerer sind als die Männchen“, berichten die Forschenden. Mit Blick auf die Körperlänge sind Männchen und Weibchen bei der Hälfte aller untersuchten Arten gleich groß. Die Männchen sind bei 28 Prozent der Arten größer, die Weibchen bei 22 Prozent.

Repräsentative Arten mit größeren Männchen

Deutlich wurde allerdings auch: Wenn es Geschlechtsunterschiede gibt, sind diese bei Spezies mit größeren Männchen durchschnittlich stärker ausgeprägt als bei Spezies mit größeren Weibchen. „Die Art mit den größten Unterschieden waren Nördliche Seeelefanten, bei denen die Männchen mehr als dreimal so viel wiegen wie die Weibchen“, berichtet das Team. „Bei der Art mit den vergleichsweise größten Weibchen, der Röhrennasenfledermaus, waren die Weibchen dagegen nur etwa 1,4 Mal so schwer wie die Männchen.“

Größere Männchen finden sich am häufigsten bei Paarhufern, Raubtieren und Primaten. „Das sind genau die Ordnungen, die in der wissenschaftlichen Literatur zum Geschlechtsdimorphismus bei Säugetieren am häufigsten vorkommen“, schreiben Tombak und ihre Kollegen. Demgegenüber sind die Ordnungen, in denen am häufigsten größere Weibchen vorkommen, deutlich weniger präsent: Bei Fledermäusen, Hasenartigen und einigen Nagetieren bringen zwar die Weibchen vieler Spezies mehr Gewicht auf die Wage als die Männchen, doch im Vergleich zu Löwen und Co. sind sie wesentlich weniger ikonisch und beeinflussen unser Bild von Größenunterschieden der Geschlechter in geringerem Maße – sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung, als auch in der Wissenschaft. Das könnte aus Sicht des Forschungsteams erklären, warum sich die Annahme, nahezu alle Säugetiermännchen seien größer als Weibchen, so hartnäckig gehalten hat.

Potenzial für zukünftige Forschungen

„Unsere Studie sollte aber nicht das letzte Wort über die Häufigkeit des geschlechtsspezifischen Größendimorphismus bei Säugetieren sein“, betonen die Forschenden. Da sie nur Spezies einbezogen haben, für die zuverlässige Daten aus wilden, nicht vom Menschen gefütterten Populationen vorlagen, erfassten sie nur einen vergleichsweise kleinen Teil der über 6.000 Säugetierarten. Da allerdings die bisher vorliegenden Daten wahrscheinlich noch zugunsten von Spezies mit größeren Männchen verzerrt sind, gehen Tombak und ihr Team davon aus, dass zukünftige Studien, die mehr Arten einbeziehen, noch deutlicher zu dem Ergebnis kommen, dass Spezies mit größeren Männchen eher in der Unterzahl sind.

Die Ergebnisse könnten auch Fragen in Bezug auf die sexuelle Selektion eröffnen: Welche Vorteile haben größere Weibchen? Und welche Faktoren abgesehen von der Körpergröße spielen für die Partnerwahl beider Geschlechter eine Rolle? „Wenn alte Annahmen mit größeren Datensätzen und kritischen Analysen überprüft werden, sehen wir ein großes Potenzial für neue Durchbrüche in der Theorie der sexuellen Selektion“, so die Forschenden.

Quelle: Kaia Tombak (Hunter College of the City University of New York) et al., Nature Communications, doi: 10.1038/s41467-024-45739-5

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