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#Vertragsarbeiter in der DDR: Die gute alte Ordnung und ihre Sklaven

Sie kamen aus den sozialistischen Bruderländern, um zu lernen – und wurden gleich doppelt ausgebeutet und diskriminiert. Von der DDR und von ihren Heimatländern. Eine Ausstellung im HKW fragt nach den Vertragsarbeitern in der DDR

Seit Langem begleitet die Aufarbeitung der DDR-Geschichte ein seltsames Paradox. Keine Episode der deutschen Geschichte ist von der Wissenschaft so gut durchleuchtet, was vor allem an der hervorragenden Quellenlage liegt. Die Archivierungswut der staatlichen Behörden hat tonnenweise Material hinterlassen, und in den letzten Monaten der DDR war nicht ausgemacht, wie man damit umgehen sollte. Befürworter der Vernichtung aller Unterlagen befürchteten, dass die Informationen gesellschaftlicher Sprengstoff wären. So sahen es 1990 auch Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble, die ihren künftigen Kollegen im Osten zur Vernichtung der Stasibestände rieten. Durchgesetzt haben sich jene, die in diesen Dokumenten die Möglichkeit einer Gesundung der DDR-Gesellschaft sahen, wie es Joachim Gauck damals formulierte. Leicht würde es nicht werden und ­sicher auch schmerzhaft.

Worin liegt das Paradox? Obwohl die Geschichte so fundiert wissenschaftlich aufbereitet wurde, hat es das Wissen über vierzig Jahre Sozialismus kaum ins gesellschaftliche Bewusstsein geschafft. Nicht in den innerostdeutschen Diskurs und schon gar nicht in das gesamtdeutsche Bewusstsein. Die Ursachen reichen vom westdeutschem Desinteresse bis zu ostdeutschen Schweigetraditionen. Folgenlos bleibt das nicht. So kann man in den Wahlkämpfen und politischen Debatten der letzten Jahre in Ostdeutschland beobachten, dass sich die Leerstelle DDR hervorragend als Projektionsfläche eignet.

Sehnsucht nach einem imaginären Gestern

Gerade rechtsextreme Akteure vergleichen die gegenwärtigen Verhältnisse gern mit der DDR und setzen die Gesetzgebung der Bundesrepublik mit den Zwängen einer Diktatur gleich. Journalistische Recherchen werden als „Stasimethoden“ gebrandmarkt, zugleich wird in Wahl­programmen eine Rückkehr zu den Errungenschaften der DDR-Pädagogik gefordert. Diese Strategie ist vor allem darin erfolgreich, die ostdeutsche Wählerschaft zu einem Kollektiv derer mit „Blickung“ (dem ostdeutschen Wort für Durchblick) zu formieren. Geraunt wird vom besonderen Sensorium für diktatorische Verhältnisse. Gemeint ist in Wirklichkeit „die gute alte Ordnung“, nach der sich viele nicht nur im Osten sehnen. Eine Gesellschaft, in der jeder seinen Platz hat, ­Hierarchien geklärt sind und man heute schon weiß, was man morgen zum Schnittenteller im Fernsehen sehen wird.

Christoph Wetzel, Das jüngste Gericht (1987), Öl auf Hartfaserplatte, 165 x 250 cm, Museum Utopie und Alltag (Kunstarchiv Beeskow)


Christoph Wetzel, Das jüngste Gericht (1987), Öl auf Hartfaserplatte, 165 x 250 cm, Museum Utopie und Alltag (Kunstarchiv Beeskow)
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Bild: VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Auch CDU-Politiker wie Mario Voigt scheuen sich nicht davor, von der „Heizungs-Stasi“ zu sprechen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erdreistete sich, die Bürgerrechtlerin und jetzige Bundesumweltministerin Steffi Lemke mit Margot Honecker zu vergleichen. Jener DDR-Ministerin für Volksbildung, die das grausame System der Jugendwerkhöfe zu verantworten hatte, in denen Kinder nicht nur auf jede erdenkliche Art misshandelt, sondern auch mittels Zwangsarbeit ausgebeutet wurden. Dass solche verbalen Fehltritte politisch ohne Folgen bleiben, ist nur so zu erklären: Man hat sich darauf geeinigt, dass die DDR eine Fußnote der Geschichte ist, dass nichts in ihr Bedeutung hat.

Eine der größten Leerstellen der Aufarbeitung versucht das Berliner Haus der Kulturen der Welt (HKW) nun zumindest ein Stück weit zu füllen. Mit der Ausstellung „Echos der Bruderländer“ geht man der Geschichte derjenigen nach, die in die DDR migriert sind. „Was ist der Preis der Erinnerung und wie hoch sind die Kosten der Amnesie?“ fragt der Untertitel.

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