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#“Verwaltungen müssen so einfach sein wie Online-Shopping“

„“Verwaltungen müssen so einfach sein wie Online-Shopping““




Bayerns Digitalministerin Judith Gerlach spricht über schlechten Mobilfunk und warnt vor dem Scheitern der Digitalisierung am komplizierten E-Personalausweis.

Frau Gerlach, wie oft werden Sie als Digitalministerin auf eine schlechte Mobilfunk- und Breitbandversorgung in Bayern angesprochen, wenn Sie unterwegs sind?

Judith Gerlach: Natürlich immer wieder, auch wenn das Wirtschaftsministerium für die Mobilfunkversorgung und das Finanzministerium für die Breitbandversorgung zuständig ist. Aber letztlich müssen wir alle in Bayern mit einem Problem umgehen, das der Bund verursacht hat. Der hatte vor Jahrzehnten entschieden, die Mobilfunklizenzen an private Unternehmen zu versteigern und die Versorgung dem Markt zu überlassen. Es wäre sicher besser gewesen, strengere Versorgungsauflagen zu machen. Es ist seither also Aufgabe der Betreiber, Glasfaser zu verlegen oder Mobilfunkmasten aufzustellen, nicht Aufgabe des Freistaats. So ist das System in Deutschland. In Bayern geben wir uns damit aber nicht zufrieden. Wir haben zahlreiche Förderprogramme und Initiativen auf den Weg gebracht, um den Status Quo zu ändern.

Dennoch können Sie sich doch als Digitalministerin kaum damit zufrieden geben, dass trotz aller Programme Bevölkerung und Unternehmen auf dem Land massive Funklöcher gerade beim mobilen Internet beklagen…

Gerlach: Natürlich nicht! Jeder von uns, der im Land unterwegs ist, macht die Erfahrung, dass wir noch Lücken im Mobilfunknetz haben. Das Wirtschaftsministerium hat gerade erst Bereiche geprüft, wo sogar eine dezidierte Versorgungspflicht der Betreiber besteht: Autobahnen, Bundesstraßen und Zugverbindungen. Selbst hier kommen die Betreiber ihren Verpflichtungen oft nicht nach und die Versorgung ist lückenhaft. Da kann sich jeder vorstellen, wie es auf kleineren Kreisstraßen aussieht. Ich wohne im Spessart, da ist auf freier Strecke nicht viel los mit Mobilfunkempfang. Der Bund muss dafür sorgen, dass Betreiber tatsächlich mit Strafen rechnen müssen, wenn sie Ausbau-Verpflichtungen nicht nachkommen. Wir als Freistaat tun unseren Teil: Wir vereinfachen zum Beispiel die Genehmigungsverfahren und unterstützen die Kommunen mit dem Mobilfunkförderprogramm.

Auch beim Ausbau mit schnellem Internet besteht ein Stadt-Land-Gefälle…

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Gerlach: Beim Breitbandausbau haben wir in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Obwohl wir hier als Flächenland in Bayern vor besonderen Herausforderungen stehen, liegen wir inzwischen in allen Bereichen über dem Bundesdurchschnitt. 2018 hatte die Hälfte der Haushalte in Bayern gigafähige Anschlüsse, jetzt sind es zwei Drittel und bis 2025 sollen weitere drei Millionen Haushalte ans Glasfaser-Netz angeschlossen werden. Als Digitalministerium bringen wir mit dem „Pakt Digitale Infrastruktur“ alle zuständigen und beteiligten Stellen zusammen und damit den Ausbau voran.

Wieviel Rückenwind gibt es Ihnen, dass es inzwischen auch auf Bundesebene ein Digitalministerium gibt?

Gerlach: Wir spüren keinen Rückenwind aus Berlin. Das Digitale auf Bundesebene ist im wahrsten Sinn des Wortes nur ein Anhängsel an das Verkehrsministerium. Die Verantwortung ist vollkommen zerfasert und keiner ist wirklich zuständig: Ins Ressort von Minister Volker Wissing fällt Mobilfunk- und Breitbandausbau. Innenministerin Nancy Faeser macht Digitale Verwaltung. Und bei Robert Habeck liegen Innovation und Startups. Kein Wunder, dass da nichts vorangeht. Bei uns im bayerischen Digitalministerium treiben über alle Ressorts hinweg die Digitalisierung für die Staatsregierung voran, bei uns laufen die Fäden der Digitalpolitik zusammen. Deshalb hätte ich mir auch auf Bundesebene ein eigenständiges Digitalministerium gewünscht. Ich sehe im Bund niemanden mit einer Vision, wo Deutschland im Jahr 2030 digital stehen soll. Auch nicht Herrn Wissing. Alle in Berlin arbeiten in ihren Silos, keiner hat einen Gesamtüberblick oder einen Gesamtplan, wo man digitalpolitisch überhaupt hinwill. 

Was kritisieren Sie dabei konkret?

Gerlach: Der Bundesregierung fehlt eine ambitionierte Digitalstrategie, die über das hinausgeht, was seit Jahren ohnehin in der Schublade liegt. Stattdessen fährt die aktuelle Bundesregierung ihre Investitionen in High Tech und Forschung zurück. Ein weiteres Riesenproblem ist, dass wir keine einheitliche Stimme in Brüssel haben. Digitalpolitik wird aber zu einem großen Teil in Europa gemacht, zum Beispiel bei der Frage, wie Künstliche Intelligenz künftig reguliert werden wird. Mit derartigen Regulierungsvorhaben wird über nichts weniger als über die Zukunfts- und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands entschieden. Statt dabei entschlossen voranzugehen, sagt jedes Bundesministerium etwas anderes. Das schadet den deutschen Interessen. Wir sind bei der Digitalisierung in einem wahnsinnig harten internationalen Wettbewerb mit China und den USA. Wir brauchen in Deutschland eine klare Strategie und mehr Investitionen in die Digitalisierung.

Was tun Sie in Bayern, damit die Unternehmen nicht den Anschluss verlieren?

Gerlach: Wir investieren mit der High Tech Agenda 3,5 Milliarden Euro in den Forschungsbereich und damit auch in unsere bayerische digitale Wettbewerbsfähigkeit. Damit setzen wir wichtige Impulse, um etwa ein europaweit einzigartiges Ökosystem für Künstliche Intelligenz in Bayern zu etablieren. Für mich ist es auch von entscheidender Bedeutung, dass der Technologietransfer in die Unternehmen gelingt, und zwar nicht nur in die großen. Das Digitalministerium hat deshalb das Projekt „KI Transfer plus“ ins Leben gerufen, das Künstliche Intelligenz in den Mittelstand bringt. Das in dieser Form bislang deutschlandweit einzigartige Programm unterstützt durch lokale KI-Regionalzentren gezielt mittelständische Unternehmen bei der Strategieentwicklung, der Einführung bis zur Umsetzung eines eigenen KI-Projekts. Der Mittelstand ist hochinnovativ und interessiert, hat aber oft nicht genug Knowhow. Hier setzen wir an. Unsere ersten Pilotprojekte laufen und sind sehr vielversprechend. 

Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen?

Gerlach: Wir haben zum Beispiel mit einem Landmaschinenhersteller zusammengearbeitet, dessen Maschinen dank KI sehr genau zwischen Ackerpflanze und Unkraut unterscheiden können. Bei einem 3D-Druck- Unternehmen sortiert inzwischen eine Maschine mithilfe von KI kleinste Kunststoffteile. Dies wurde zuvor mühsam von Mitarbeitern gemacht, die Unternehmen heute aufgrund des Fachkräftemangels einfach nicht mehr finden. KI kann extrem vielseitig eingesetzt werden und bringt einen echten Mehrwert – gerade für den Mittelstand, das Rückgrat unserer bayerischen Wirtschaft. Bisher sind wir damit in Regensburg, München und Aschaffenburg unterwegs, hoffen aber, diese Initiative regional noch ausweiten zu können.

Die Pandemie hat gezeigt, dass Deutschland im Vergleich zu vielen europäischen Ländern rückständig bei der öffentlichen Verwaltung ist. Wann wird es besser?

Gerlach: Wir für uns in Bayern haben im Rahmen des Möglichen unsere Hausaufgaben gemacht und 98 Prozent der staatlichen Leistungen abgeschlossen. Als Digitalministerin berichte ich im Kabinett regelmäßig zu den Fortschritten und benenne, was noch zu tun ist. Denn bei der Behördenmodernisierung sind wir noch lange nicht fertig. Viele Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger haben ja nicht die Länder oder der Bund, sondern vor allem die Kommunen zu erbringen. Hier haben wir erfolgreich Anreize gesetzt: Immer mehr Gemeinden nehmen an unserem Programm „Digitales Rathaus Bayern“ teil, mit dem wir finanziell unterstützen. Ich kann auch nur dafür werben, dass nicht jede Kommune eigene Wege geht. Wir stellen als Freistaat zentrale Online-Dienste über den sogenannten BayernStore zur Verfügung. Diese Online-Dienste können die Kommunen einfach kostenlos abonnieren und den Menschen zur Verfügung stellen.

Wann profitieren die Menschen vor Ort davon?

Gerlach: Wir sind vielerorts schon weiter, als viele Menschen wissen. Schon rund 200 Gemeinden konnte ich die Auszeichnung „Digitales Amt“ übergeben, weil sie mindestens 50 Services digital anbieten. Das schafft Sichtbarkeit für die Bürgerinnen und Bürger, wenn da so ein schönes neues Schild am Rathaus hängt, und weckt vielleicht auch den Ehrgeiz der Nachbargemeinde. Augsburg bietet zum Beispiel um die 200 Verwaltungsdienstleistungen digital an. Aber auch kleinere Gemeinden wie Kaisheim gehören zur Spitze, obwohl hier nur knapp 5000 Menschen wohnen. Wir brauchen einen Mindset-Wechsel in den Behörden: Wir müssen uns als Servicestaat verstehen, wir sind Dienstleister, die Bürgerinnen und Bürger sind unsere Kunden. 

Das digitale Angebot scheitert in der Praxis aber oft daran, dass dazu die Digitalfunktion des Personalausweises erforderlich ist, die die allerwenigsten Menschen nutzen. Ist das nicht am Ende eine Digitalisierung nur für eine schöne Homepage?

Gerlach: Die digitale Authentifizierung der Menschen gegenüber dem Staat ist der gordische Knoten der digitalen Verwaltung. Die Bundesregierung muss hier endlich eine einheitliche, nutzerfreundliche und bundesweit universell einsetzbare Lösung schaffen und damit den Weg für bürgerfreundliche Lösungen freimachen. Wir können noch so schöne digitale Services anbieten, aber wenn die Voraussetzung dafür der neue elektronische Personalausweis ist, dessen Einsatz nach wie vor viele – auch digital versierte Nutzer – überfordert, funktioniert es einfach nicht. Damit wir einen Durchbruch erzielen, muss die digitale Verwaltung so benutzerfreundlich und einfach sein wie Online-Shopping. Wir brauchen die bundesweite Bürger-ID als einfache und unkomplizierte Möglichkeit für die Menschen, sich online zu authentifizieren. Eine Möglichkeit dazu steht mit dem bewährten und weit verbreiteten Elster-System zur Verfügung, bis ein nutzerfreundlich und mobil zu verwendender digitaler Zwilling des Ausweises produktiv bereitgestellt wird.

Brauchen wir dabei nicht auch einen Kulturwandel im Datenschutz?

Gerlach: Uns ist Datenschutz sehr wichtig, denn hier geht es ja auch um das Vertrauen der Menschen. Aber der Datenschutz darf nicht zu einem unverhältnismäßigen Bremser werden. Der Staat muss transparente digitale Angebote machen und die Menschen entscheiden dann, ob sie es nutzen möchten. So funktioniert das fast überall im Online-Alltag. Wir in Deutschland haben das Problem, dass wir immer nach einer perfekten Lösung streben, und dann dauert alles oft unglaublich lange. Und wenn wir glauben, endlich eine Lösung zu haben, ist die Technologie völlig veraltet. Und dann fangen wir wieder von vorne an. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Ich bin für Datenschutz, der ist wichtig, aber für sinnvollen Datenschutz. Mir geht es auch darum, als Land leistungsfähig zu bleiben. Das heißt, nicht nur Datenschutz, sondern sinnvolle Datennutzung muss unser Anspruch sein. 

Zur Person: Die 37-jährige Aschaffenburger CSU-Landtagsabgeordnete Judith Gerlach ist seit 2018 die erste bayerische Digitalministerin.

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