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#Vom Camembert zur modernen Malerei ist es mitunter nur ein Schritt

„Vom Camembert zur modernen Malerei ist es mitunter nur ein Schritt“

Vielleicht gibt es zu keiner Zeit ein Land, in dem stärker um die Kunst gerungen wurde, als unser Vaterland“, schrieb Julius Meier-Graefe in seiner „Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst“, das er nach der ersten erfolgreichen Ausgabe von 1904 von Auflage zu Auflage ergänzte. Er musste es wissen, denn Meier-Graefe selbst, 1867 geboren, gehörte in seiner Zeit zu den größten Mitstreitern. Mit geistreicher Eloquenz und einem immensen Schreibtalent focht er in einer Epoche starker, auch gesellschaftlicher Umbrüche für eine neue Kunstauffassung. Sehen lernen sei alles, verkündete er in seiner „Entwicklungsgeschichte“. Indem er das Schärfen des Blicks, das subjektive Erleben in den Mittelpunkt der Kunsterfahrung stellte, sagte er dem ästhetischen Regelwerk eines biederen Akademismus den Kampf an und machte sich die eta­blierte Kunstwissenschaft der wilhelminischen Zeit zum Feind. So schrieb er, ab 1895 oft über viele Jahre hinweg in Paris lebend, den Impressionisten, aber auch deren Vorgängern Delacroix, Corot oder Courbet den Weg nach Deutschland frei.

Meier-Graefe wurde zum meistgelesenen Kunstschriftsteller, der umfassende Monographien verfasste, etwa zu Félix Vallotton, Paul Cézanne, Auguste Renoir, Édouard Manet oder Edgar Degas. Mit Streitlust schwamm er gegen den Strom seiner Zeit, um mit seinen Beiträgen Debatten loszubrechen: Zunächst als Vorkämpfer der Moderne, der aus dem deutschnationalen Lager heftige Ablehnung erfuhr, doch spätestens mit den Zwanzigerjahren gehörte er selbst zu einer konservativen Fraktion und ließ an den neuen Kunstbewegungen Kubismus, Expressionismus oder Neue Sachlichkeit kaum ein gutes Haar.

Zugleich Charmeur und Don Quichote

Nun gibt ein Band mit ausgewählten Schriften Gelegenheit, gerade den polemischen, kämpfenden Julius Meier-Graefe wiederzuentdecken, der zur deutsch-französischen Verständigung in und jenseits der Kunst viel beigetragen hat. Zahlreiche Abbildungen der in den Kritiken und Essays verhandelten Werke sind beigefügt. Zwar lediglich in Schwarz-Weiß. doch das nimmt man als ästhetische Entscheidung wahr: Es geht in erster Linie um die Texte.

Julius Meier-Graefe: „Kunst – Kulissen – Ketzereien“. Denkwürdigkeiten eines Enthusiasten.


Julius Meier-Graefe: „Kunst – Kulissen – Ketzereien“. Denkwürdigkeiten eines Enthusiasten.
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Bild: Nimbus Verlag

Die Beiträge erschienen in verschiedenen Zeitschriften, vornehmlich aber im „Berliner Tageblatt“ und in der „Frankfurter Zeitung“. Für die Letztere schrieb Meier-Graefe ab Mitte der Zwanzigerjahre fest angestellt von Berlin aus. Ihm war das Kunstreferat ausgerechnet nach einem aufsehenerregenden Verriss in der rechtskonservativen „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ angeboten worden, mit der er Otto Dix’ heute verschollenes, die Gräuel des Ersten Weltkrieges anklagendes Gemälde „Schützengraben“ in Grund und Boden schrieb, sogar vom Wallraf-Richartz-Museum forderte, das Gemälde abzuhängen.

Hohe Komik und Preisvergleiche

Maier-Graefe ist schwer zu fassen und immer dort, wo man ihn nicht erwartet. Dass der junge Lebemann und gern auch Spieler bei der Kunst landete, war nicht abzusehen. Doch dann verrannte er sich in die Pariser Kunstszene. „Ein sehr merkwürdiger Kerl, Meier-Graefe“, schrieb der Kunsthistoriker Alfred Lichtwark, „persönlich ein Charmeur, als Schriftsteller begabt bis dort hinaus, der Kunst gegenüber ein Don Quichote.“ Das Erstaunliche bei seinen Texten sind die aus breiter Bildung schöpfenden, schlagfertigen Assoziationen und seine Art, Kunstbetrachtung und Gesellschaftsbeobachtung erhellend miteinander zu verbinden.

Gut zu sehen ist das etwa in dem ironisch sprühenden Text „Die Nase“, in dem er anhand des Riechorgans und seiner künstlerischen Darstellungen weit in die Kunstgeschichte ausgreift, um seine Kritik an den Zeitgenossen – er hatte in der Trend setzenden Galerie Flechtheim eine Ausstellung der Bildhauerin Margarete Moll gesehen, denkt aber auch an Schlemmer oder Brâncuși – zu untermauern. Gerade in den späten Artikeln, bevor er Anfang der Dreißigerjahre durch eine Affäre um gefälschte Van-Gogh-Gemälde, die er als Experte zertifiziert hatte, in landesweite Ungnade fiel, ist seine oft ironische Verve bestechend. Ein Artikel über einen Besuch in Essen, wo er alles andere erwartet als Kunst, ist fast eine Kurzgeschichte und von hoher Komik. Gerne bezieht er andere Personen mit ein, vielleicht erfunden, wie die geduldige Frau Bredeney in seiner Essener Geschichte. Dort geht es erst einmal um Camembert und Preisvergleiche, um Lautrec und die Lebensart in Frankreich, bevor der eigentliche Gegenstand, nämlich André Derain, zur Sprache kommt.

Es ist ein kunstgeschichtlich reichhaltiger Band, der das Vergnügen am Nachdenken über Kunst nährt, wozu der kenntnisreiche Anmerkungsapparat des Herausgebers durchaus beiträgt. Die editorische Idee, die Chronologie der Schriften umzudrehen, bleibt allerdings fragwürdig. Die Entwicklung des Autors lässt sich dadurch nicht in der Zeit verfolgen. Man hat deshalb das irritierende Gefühl, gegen den Strich zu lesen. Und fängt dann irgendwann einfach von hinten im Buche an – das heißt eigentlich von vorne.

Eines kann der chronologischen Umkehrung allerdings zugutegehalten werden: Die im Band ersten, also die späten Schriften ziehen den Leser leichter in Bann als die frühen. „Es ist schön, der Kunst zu leben“, schreibt Julius Meier-Graefe 1933, zwei Jahre vor seinem Tod. Er tat es auf überzeugende Weise.

Julius Meier-Graefe: „Kunst – Kulissen – Ketzereien“. Denkwürdigkeiten eines Enthusiasten. Nimbus Verlag, Wädenswil 2022. 592 S., Abb., geb., 38,– €.

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