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#Vom Hochhaus zum Tiny House?

Vom Hochhaus zum Tiny House?

Es gibt sie in jeder Stadt; große, klobige Monumente vergangener Zeiten, die an ihrem eigenen Anspruch scheiterten, die Art und Weise, wie wir leben, fundamental neu denken zu wollen. In den frühen siebziger Jahren entwarf der Architekt Kishō Kurokawa im Tokioter Stadtteil Ginza ein modulares Wohnhaus, das aus zwei miteinander verbundenen Betontürmen bestand: den Nakagin Capsule Tower. Das elf beziehungsweise dreizehn Stockwerke hohe Gebäude wurde nicht als Wohnblock konzipiert, sondern bestand aus 140 kastenförmigen Kapseln, die mittels Stahlbolzen an den Hauptschächten der Türme aufgehängt waren. Die kompakten Einheiten, jede 2,4 mal vier Meter groß, waren als schnörkellose und günstig gelegene Wohnmöglichkeiten für sogenannte „salarymen“ gedacht: alleinstehende Angestellte, die oft bis zur Selbstaufgabe arbeiten.

In den vorgefertigten Stahlzellen sollten sie schlafen, arbeiten und duschen können. Die Grundfläche entsprach der eines traditionellen Teehauses: genau vier Tatami-Matten, also zehn Quadratmeter. Die standardisierten Wohneinheiten mit Bad, Klimaanlage und Farbfernseher waren mit identischen Einbaumöbeln ausgestattet. Unter einem 1,30 Meter großen Bullaugenfenster befand sich ein Bett, daneben Bücherregal, Küchenherd und Kühlschrank sowie ein Telefon und ein Sony-Rekorder mit Tonbandgerät, alles vom Bett aus erreichbar. Im kleinen Badezimmer gab es sogar eine winzige Wanne. In einem Manifest schrieb Kurokawa: „Mensch, Maschine und Raum bilden einen neuen organischen Körper.“

Wie die Zellen eines Organismus

Das futuristisch anmutende Wunderwerk ist heute eines der eindrucksvollsten Hochhäuser in Ginza. Errichtet wurde es 1972 in nur 30 Tagen, weil die einzelnen Zellen schon in Osaka gefertigt, mit Lastwagen nach Tokio verbracht und dort per Kran eingehängt wurden. Der Nakagin Capsule Tower gilt als seltenes Beispiel für den japanischen Metabolismus, eine Architekturbewegung der Nachkriegsjahre, die die Austauschbarkeit von Gebäuden und Stadtlandschaften im Einklang mit gesellschaftlichen Veränderungen propagierte. Die Avantgardegruppe um Kenzō Tange entwarf flexible, erweiterbare urbane Strukturen. Deshalb hatte Kurokawa die freitragenden Module so konzipiert, dass sie wie die Zellen eines Organismus, der sich ständig erneuert, ein- und ausgewechselt werden können.

10 Quadratmeter, mehr Wohnfläche haben die Apartments nicht.


10 Quadratmeter, mehr Wohnfläche haben die Apartments nicht.
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Bild: AFP

Ursprünglich sollte der Tower in der von Wohnungsnot geplagten Stadt als Inspiration für weitere Strukturen dienen, die sich in Tanges Vision einer zusammenhängenden Superstadt einfügen könnten. Doch als sich die Metabolismus-Bewegung mit der Ölkrise zurückzog, wurde das Gebäude zum Unikat. Es war die Zeit, die das Bauwerk schließlich einholte. Der 2007 verstorbene Kurokawa hatte ursprünglich geplant, die Kapseln alle 25 Jahre auszutauschen, was jedoch aufgrund der hohen Kosten (Schätzungen zufolge etwa 75 000 Euro je Modul) und teils ungeklärter Eigentumsverhältnisse nie umgesetzt wurde.

Kein heißes Wasser, dafür Schimmel

Seit mittlerweile 14 Jahren schien das Ende des Turms immer wieder besiegelt. Es fand sich kein Käufer, der die Restaurierung finanziert hätte. 2009 scheiterte ein Abriss nur knapp, weil das beauftragte Unternehmen im Zuge der Bankenkrise pleiteging. Mittlerweile sind weniger als zwei Dutzend Kapseln bewohnt, viele dienen als Lager- oder Hobbyraum. Es gibt kein heißes Wasser mehr, das Belüftungssystem ist wegen der Asbestisolierung abgeschaltet worden, Schimmel kriecht von der Decke. Einige Bewohner hatten noch gehofft, dass das Gebäude im Zuge der Olympischen Spiele und der Aufmerksamkeit internationaler Besucher zum Weltkulturerbe erklärt werden könnte. Vergeblich. Aus Sorge, dass das Gebäude weiter verfallen könnte, fassten die Immobiliengesellschaft, der das Grundstück gehört, und die verbleibenden Kapselbesitzer im März den Beschluss, das gebaute Stück Utopie aufzugeben. Bis zum Frühjahr 2022 soll es abgerissen werden.

Immobilienentwickler stehen schon in den Startlöchern. Ginza ist mit seinen Luxusläden und Department Stores immerhin eines der teuersten Pflaster Tokios. Eine Bürgerinitiative arbeitet derweil daran, die Kapseln zu demontieren, zu restaurieren und ihnen ein zweites Leben zu ermöglichen. Die Module sollen an Institutionen gespendet oder an verschiedenen Orten der Welt ausgestellt und zum Übernachten vermietet werden. Berichten zufolge hat unter anderem das Centre Pompidou Interesse. Eine Modellkapsel ist bereits im Museum of Modern Art in Saitama nördlich von Tokio zu sehen. So bleibt das Gebäude, das sein Versprechen von einer besseren Welt nie einlösen konnte, seiner Vision selbst nach dem Tod noch treu.

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