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#Von Rache getrieben

„Von Rache getrieben“

„Mittlerweile wird festgenommen, wer ein leeres Schild hochhält.“ Es sind Sätze wie dieser, die nach der Lektüre von Michael Thumanns Buch „Revanche“ im Kopf bleiben. Der langjährige Russland-Korrespondent der „Zeit“ zeichnet Wladimir Putins Karriere nach und schildert die Stationen Russlands auf dem Weg in die Diktatur: den Zerfall der Sowjetunion, die Demokratieübungen der Neunzigerjahre unter Boris Jelzin, Putins erste Wahl zum Präsidenten, seine Rückkehr an die Macht 2012 und die Annektierung der Krim 2014.

Thumann beschreibt, wie Putin die tschetschenische Diktatur als Blaupause für ganz Russland verwendet hat, sich mit Nationalisten anderer Länder verbündete, einen Propaganda-Apparat schuf und das sowjetische System der Straflager wiederbelebte. Und wie er schließlich den Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 mit Lügen rechtfertigte. Der Autor hat drei zentrale Thesen. Erstens, der Angriffskrieg gegen die Ukraine sei Putins Rache für den Zerfall der Sowjetunion und den geschrumpften russischen Nationalstaat. Zweitens, Putin reagiere nicht – wie auch hierzulande oft angenommen – auf den Westen, sondern handele aus eigenem Antrieb. Putin habe das Missverständnis, der Krieg sei eine Reaktion auf die NATO-Osterweiterung, bewusst ge­nährt, um den Angriff zu begründen. Tatsächlich habe er die Erweiterung in den Nullerjahren als Präsident ohne Protest geschehen lassen. Sein Krieg sei als Fortsetzung einer imperialen sowjetischen Tradition zu verstehen.

Erst Ignoranz, dann Angst

Mit seiner dritten These ordnet Thumann das russische Regime in einen größeren Kontext ein: Putins Aufstieg sei eine Spielart des neuen autoritären Nationalismus, der auch in der Türkei oder Ungarn zu beobachten sei. Dabei habe sich Putin die nationalistische Ideologie erst im Alter von sechzig Jahren zugelegt, nicht aus Überzeugung, sondern um den Machterhalt nach Protesten gegen seine Rückkehr in den Kreml 2012 zu sichern.

Michael Thumann: „Revanche“. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat.


Michael Thumann: „Revanche“. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat.
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Bild: C.H. Beck Verlag

Seinen gelungenen Crashkurs in neuerer russischer Geschichte ergänzt der Autor mit Szenen aus dem Moskauer Alltag und politischen Analysen. Er erzählt von Begegnungen mit russischen Bekannten, Nachbarn und Ukrainern auf der Flucht. Ebenso beschreibt er die Stimmung im Moskauer Spätsommer 2022, als die Ignoranz der Bevölkerung nach der Teilmobilmachung in Angst umschlug. Inhalt und Form stehen dabei in irritierendem Kontrast, denn der Autor verpackt die schwer verdaulichen Erkenntnisse in leicht lesbare Häppchen.

Für ihn sind Verräter schlimmer als Feinde

Die Schilderung der heutigen Weltlage hat teils zwar einen alarmistischen Tonfall: „Erneut senkt sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent.“ Oder: „Doch der hybride große Krieg richtet sich in erster Linie gegen uns. Putin will die liberale Demokratie beerdigen.“ Doch die Argumentation ist stets schlüssig. Besonders spannend zu lesen sind die Erinnerungen an das erste Treffen des Autors mit Putin im Jahr 1999. Der russische Präsident begegnete ihm damals als schüchterner Mann, der den Kontakt zum Westen suchte und noch nicht mit nationalistischen Parolen für sich warb. Im Rückblick will Thumann in ihm aber damals schon den autoritär veranlagten Geheimdienstmann erkannt haben.

Er hebt Putins Rolle als Despot ebenso hervor wie den Umstand, dass ein Alleinherrscher nur an der Macht bleiben kann, wenn er vom Volk unterstützt wird. Putins treue Wähler hätten ihn legitimiert und sich mitschuldig gemacht. Ebenso geht er auf die Absurditäten ein, die Putins Krieg produziert: „In der Ukraine werden Ukrainer auf der Straße erschossen, in Russland dürfen Ukrainer unbehelligt reisen.“

Thumann zufolge handelt es sich bei Putins System um eine Diktatur mit zunehmend totalitären Zügen, die aber entscheidende Unterschiede zum Faschismus aufweise: Die Russen in der Ukraine seien nicht auf einer „Spürjagd nach dem Andersartigen, um es zu finden und zu vernichten. Stattdessen schießen sie, so widersprüchlich das wirken mag, um sicherzustellen, dass sich Ukrainer und Ukrainerinnen als gleichartige Brüder und Schwestern erklären, die sich von Russen nicht unterscheiden.“ Gewalt drohe den Ukrainern gerade dann, wenn sie darauf bestehen, anders zu sein. Als eigenständiges Volk sehe Putin in ihnen etwas, das er noch schlimmer findet als Feinde: Verräter.

Im letzten Kapitel befasst sich Thumann mit jener Frage, die seit Kriegsbeginn viele beschäftigt: Wie realistisch ist der Einsatz von Atomwaffen? Dagegen spreche, dass der taktische Einsatz bei der dezentralen Kriegsführung der Ukrainer wenig Sinn ergebe. Zudem kämpfe Putin für das eigene Überleben und einen Platz in der Ahnengalerie Russlands. Dafür spreche, dass Drohungen ohne Einlösung ihre Wirkung verlieren. Und auch, dass Putin in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen habe, dass er von allen Möglichkeiten oft die radikalste wählt.

Michael Thumann: „Revanche“. Wie Putin das bedrohlichste Regime der Welt geschaffen hat. C.H. Beck Verlag, München 2023. 288 S., Abb., geb., 25,– €.

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