#Vulkanismus: Warnendes Rumoren raffiniert erfasst
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„Analytisches Hinhören“ ist der Schlüssel zur Früherkennung bevorstehender Vulkanausbrüche. Nun lässt sich der verräterische Klang vulkanischer Aktivität durch Methoden des maschinellen Lernens und der Musikwissenschaft noch genauer erfassen, berichten Forschende. Mit ihrem Ansatz konnten sie seismische Signaturen bestimmter Phasen vor und während eines Vulkanausbruchs auf Island identifizieren. Vor allem hat das Team eine zuvor unbekannte Tremor-Sequenz erfasst, die auf bevorstehende eruptive Aktivitäten hinweisen könnte.
Inferno ohne Vorwarnung: Vulkane können ihr Umland bekanntlich schlagartig und mit fatalem Überraschungseffekt verwüsten. Menschen können sich dadurch oft nicht rechtzeitig vor den Aschemassen oder Lavaströmen in Sicherheit bringen. Deshalb ist es ein wichtiges Ziel der vulkanologischen Forschung, den Zeitpunkt, die Stärke und den weiteren Verlauf von Eruptionen besser vorhersagen zu können. Dazu werden die Feuerberge bereits intensiv überwacht und teilweise auch belauscht. Denn die komplexen Vorgänge im Untergrund, die zu einem Ausbruch führen, verursachen ein spezielles „Rumoren“. Doch in den seismischen Signalen von Vulkanen tatsächlich charakteristische Warnsignale zu erkennen, ist schwieriger als man meinen könnte. Als ein verräterisches Anzeichen für bevorstehende Eruptionen gelten kontinuierliche vulkanische Erschütterungen – ein sogenannter Tremor. Doch dieser geophysikalische Marker lässt sich häufig schlecht von überlagernden seismischen Signalen unterscheiden.
Vibrationen in vulkanischer „Musik“ auf der Spur
Um noch feiner „hinhören“ zu können, hat nun das Forschungsteam um Zahra Zali von der Universität Potsdam spezielle Verfahren des maschinellen Lernens (ML) sowie der Analyse von Musik weiterentwickelt. Bei ML-Verfahren werden Computer durch spezielle Algorithmen mit der Fähigkeit ausgerüstet, bestimmte Muster in Daten zu erkennen. Die Forschenden haben nun die spezielle ML-Methode des sogenannten Deep Embedded Clusterings für ihr Ziel angepasst. Wie sie erklären, ermöglicht dieses Verfahren eine besonders schnelle Analyse von Daten, die nur wenig aufbereitet werden müssen. „Mit dieser Methode können wir in seismischen Daten Signale ähnlicher Struktur zusammenfassen und so bislang verborgene Muster erkennen“, erklärt Zali.
Bei dem ergänzenden Verfahren handelt es sich um eine Methode, die eigentlich aus der Musikwissenschaft stammt und von Zali für die Analyse seismischer Daten weiterentwickelt wurde. „Ich habe mich von der Idee der harmonisch-perkussiven Trennung in der musikalischen Signalverarbeitung inspirieren lassen. Denn die Problematik ist bei diesen akustischen Wellen ähnlich: Um in einem Musikstück verschiedene Instrumente zu identifizieren, müssen verschiedene Arten von Klängen voneinander getrennt werden, zum Beispiel die harmonischen Klänge melodiöser Violinen von den perkussiven eines Schlagwerks“, erklärt Zali. Die entsprechenden musikalischen Analyseverfahren haben sie und ihre Kollegen für die Analyse der „Musik der Vulkane“ angepasst.
Verborgenes Vorzeichen identifiziert
Angewendet haben die Forschenden ihre Techniken bei der Analyse seismischer Daten, die vor und während der am 19. März 2021 beginnenden Geldingadalir-Eruption in Island aufgezeichnet wurden. Sie stammen von einer Messstation etwa 5,5 Kilometer südöstlich des Ausbruchsortes. Die Wissenschaftler konnten die seismischen Informationen dabei mit den Aufzeichnungen über die Ereignisse vor und während der Eruption in Verbindung setzten. Am 24. Februar 2021 ereignete sich demnach in dem Gebiet zunächst ein Erdbeben der Stärke 5,7. Drei Wochen später erreichte dann Magma die Oberfläche, sodass sich am 19. März eine Spalte öffnete und die Eruption begann. Sie war dabei zunächst von einem kontinuierlichen Magmaausfluss geprägt. Doch ab dem 27. April verstärkte sich der Strom dann deutlich und am 2. Mai begann es schließlich heftig zu brodeln: Es folgte eine Eruptionsphase mit Lavafontänen, die bis zum 13. Juni andauerte.
Mit ihren neuen Ansätzen gelang es den Forschenden nun, seismische Muster zu erkennen, die zu den verschiedenen Phasen des Ausbruchs passten. Vor allem identifizierten sie dabei zwei subtile Signale, die für die Frühwarnung und Prognose von Vulkanausbrüchen und vulkanischen Aktivitäten von Bedeutung sein könnten: Sie deckten eine bisher verborgen gebliebene Tremor-Sequenz auf, die vor der Eruption auftrat und währenddessen anhielt. „Unsere Beobachtung des vulkanischen Tremors ab dem 16. März, also drei Tage vor dem Ausbruch, könnte darauf hindeuten, dass Magma die oberflächennahe Kruste erreicht hat. Denn solche voreruptiven Erschütterungen sind hauptsächlich auf Magmabewegungen und deren Wechselwirkungen mit Gas und angrenzendem Gestein zurückzuführen“, erklärt Zali. Darüber hinaus identifizierten die Forschenden einen Tremor, der auftrat, als sich der Lavaausfluss verstärkte und sich Fontänen bildeten. Dieses Signal könnte somit mit dem Anstieg der Abflussrate verknüpft gewesen sein, erklärt das Team.
Neben den konkreten Ergebnissen sehen die Vulkanologen nun vor allem grundlegendes Potenzial in ihrem Konzept: „Unsere Methode bietet einen schnellen und reproduzierbaren Ansatz, um die zeitliche Entwicklung eines vulkanischen Systems automatisch zu entschlüsseln: Auf Basis seismischer Rohsignale können wir auch ohne vorherige Datenverarbeitung einschlägige Merkmale identifizieren und möglicherweise unerwartete Erkenntnisse gewinnen“, sagt Zali. Dazu sagt Seniorautor Fabrice Cotton von der Universität Potsdam abschließend: „Dank der Fortschritte bei den Überwachungstechnologien und im maschinellen Lernen haben wir in der Seismologie nun die Möglichkeit, die frühen Stadien von Vulkanausbrüchen besser zu erkennen und die nachfolgenden Eruptionsphasen mit größerer Geschwindigkeit und Präzision zu erfassen“, so der Wissenschaftler.
Quelle: Universität Potsdam, Fachartikel: Nature Communications Earth and Environment, doi: 10.1038/s43247-023-01166-w
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