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#Warum die Kinder so sind

„Warum die Kinder so sind“

Ich habe dich immer genau gleich lieb.“ Die sechsjährige Ronja (Lotte Shirin Keiling) scheint irritiert, als sie dies hört. Sie überlegt, vielleicht ist sie verwirrt, genau ist es nicht zu ergründen, man sieht ihre Reaktion in Mimik und Gestik, Handlungen, man sieht Stille und hört die Sätze des Kindes, sieht sein begleitendes Spiel. Es sind deutungsbedürftige Sätze, aus denen Lebenserfahrungen hervorzugehen scheinen, vielleicht entsetzliche: Man müsse sich doch anstrengen, um lieb gehabt zu werden, sich für die Männer hübsch machen. Schminken müsse man sich und auf bestimmte Weise sitzen. Die Männer schätzten es nicht, wenn man nichts tue, um ihnen zu gefallen. Dann sei es aus mit der Liebe.

Die eine ist wie aufgezogen, der andere versteckt sich

Der achtjährige Jonas (Jonte Blankenberg) ist ernst und still, rastet plötzlich aus oder kuschelt sich an Casanova, einen freundlichen Riesen von Hund, der aussieht wie Wärme auf vier Beinen. Die fünfzehnjährige Nellie (Carla Hüttermann) bricht die Entspannungsübung nach kurzer Zeit ab. Sie bewegt sich wie aufgezogen durch den Raum, macht dies und das, sprunghaft ist ihre Rede. Sie provoziert, testet Nerven und spricht vom Sportausüben wie von einer Lebenssinn-Offenbarung. Der gleichal­trige Sam (Valentin Oppermann) versteckt sich in der Kapuze seines Hoodies, schimpft und bockt, weigert sich, scheint aggressiv und unzugänglich.

Jonas (Jonte Blankenberg) ist ernst, rastet aus, dann kuschelt er mit dem Hund.


Jonas (Jonte Blankenberg) ist ernst, rastet aus, dann kuschelt er mit dem Hund.
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Bild: ZDF und Julia von Vietinghoff

Zwei Kinder, zwei Jugendliche in Aktion, dazwischen behutsame, fast unmerkliche Interventionen, sie sind nicht ohne Grund in den geschützten Räumen der kinder- und jugendpsychotherapeutischen Berliner Praxis von Katinka (Judith Bohle) und Tom (Carlo Ljubek). Ronja, Jonas, Nellie und Sam sind heranwachsende Menschen, aber in der Wahrnehmung ihrer Umwelt sind sie Fälle. Diagnostiziert nach der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10), Kapitel V, Liste der psychischen und Verhaltensstörungen, die Störungen der psychischen Entwicklungen enthält. Anders gesagt: Ronja, F 91 (Störung des Sozialverhaltens) und F 93 (emotionale Störung des Kindesalters). Jonas, F 43, 21/22 (Anpassungsstörung mit Depressionsreaktion nach Belastungssituation). Nellie, F 41.0 (Panikstörung). Sam, F 91.2 (Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen). Ronja beißt und verhält sich übersexualisiert, Jonas Vater wird bald an Krebs sterben, Nellie bekommt Angstanfälle aus „heiterem Himmel“, Sam, dessen Mutter sich das Leben genommen hat, erlebt Pflegefamilie auf Pflegefamilie, klaut und wird als Straftäter geführt. Nun hat er mit Claudia (Christina Große) eine Pflegemutter, die für ihn kämpft. Eine Zuneigung, die anscheinend nicht angemessen erwidert wird.

„Safe“, die erste Fernsehserie der Kino-Regisseurin Caroline Link, beobachtet in acht Folgen ihre vier Protagonisten mit großer Aufmerksamkeit. Man könnte diese Aufmerksamkeit auch als Zuneigung bezeichnen.

Dass die Unterversorgung in der Kinder- und Jugendtherapie ein Skandal ist, dass Betroffene teils monatelang auf Therapieplätze warten, Schulpsychologen Mangel sind und Erzieher häufig unterqualifiziert, steht in „Safe“ nicht zur Debatte. Die Serie legt den Finger anders auf die Wunden, direkter und behutsamer, mit entschiedener, aber nicht auf billige Weise emotional dargestellter Parteinahme für diejenigen, die uns anvertraut sind. Zunächst einmal spielen die vier Kinder- und Jugenddarsteller ihre in Echtzeit mit viel Spiel-Raum gezeigten Sitzungen hervorragend, differenziert wie spontan. Hier ist nichts cheesy, die Kinder werden nicht ausgestellt. Die Kamera von Bella Halben wahrt Distanz, rückt manchmal auf die Pelle, studiert Gesichter, entfernt sich, wenn es zu intim wird.


Trailer
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Safe


Video: ZDF, Bild: ZDF und Julia von Vietinghoff

Damit heranwachsende Darsteller so spielen können wie hier, bedarf es großer Einfühlsamkeit der Regie. Caroline Link gelingt das hervorragend. Einige der privaten Probleme der von Bohle und Ljubek verkörperten Therapeuten kommen einem etwas überflüssig vor. Dass uns Beziehungsprobleme erhalten bleiben, solange wir mit der Welt in Kontakt treten (wollen), sogar wenn wir uns der Welt enthalten, ist geschenkt. Katinkas Vater Robert (Matthias Habich), ein bekannter Kinderpsychologe im Ruhestand, mischt sich gern ein, will Details zur „personenzentrierten, nicht-direktiven Spieltherapie“ (Virginia Axline) erfahren, die seine Tochter praktiziert und von der Supervisorin Dorothee (Corinna Kirchhoff) erklärt wird. Der Alte nervt. Katinkas Verhältnis zu einem verheirateten Arzt schmerzt. Tom beschäftigt das Verhältnis zu seiner Tochter Hanna (Ella Lee).

Von Link stammen auch die Drehbücher (gemeinsam verfasst mit den Kindertherapeuten Sabine Weinberger und Curd Michael Hockel). Die eigentlichen, wundersamen, rätselhaften, großartigen Momente von „Safe“ ereignen sich in den spieltherapeutischen Sitzungen. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Spiel Selbstdarstellung ist (vor allem bei Kindern), wird auf Krankheit komm raus gespielt. In achtmal fünfundvierzig Minuten zeigen sich dabei Entwicklungen und Veränderungen. Man sieht: Kaum etwas im menschlichen Verhalten ist in Stein gemeißelt, manche meinen sogar nichts. Auch wenn diese Serie fiktive Fälle zeigt, trägt sie zum Verständnis nicht normgerechten, erratischen Verhaltens und zum Leidensdruck mancher, vieler Kinder nachdrücklich bei.

Alle acht Folgen von Safe stehen von heute, 10 Uhr, an in der ZDF-Mediathek. Im linearen Fernsehen läuft die Serie bei ZDFneo vom 8. November an, dienstags um 20.15 Uhr.

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