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#Warum die Zukunft des Europarats auf dem Spiel steht

Warum die Zukunft des Europarats auf dem Spiel steht

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Inhaftierung von Alexej Nawalnyj aus dem Februar lässt keinen Spielraum für Interpretationen: Der Oppositionspolitiker ist unverzüglich freizulassen. Für Russland ist das eigentlich verbindlich, denn mit seinem Beitritt zum Europarat hat es sich 1996 selbst der Europäischen Menschenrechtskonvention unterworfen. Und deren Artikel 46 ist vollkommen eindeutig: Alle Vertragsparteien müssen den Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofes Folge leisten. Aber Nawalnyj ist trotzdem noch in Haft.

Reinhard Veser

Es ist nicht das erste Mal, dass Russland Urteile des Straßburger Gerichts missachtet. Bei fast allen politisch heiklen Verfahren der vergangenen Jahre hat es dessen Richtersprüche ignoriert. Nawalnyj ist dafür nur ein besonders markantes Beispiel. Würde Russland Urteile des Menschengerichtshofs beachten, dann hätte Nawalnyj bei seiner Rückkehr nach Russland im Januar dieses Jahres nicht einmal festgenommen werden dürfen.

Denn jenes Urteil aus dem Jahr 2014, gegen dessen Bewährungsauflagen er laut der russischen Justiz verstoßen hat, haben die Straßburger Richter schon 2017 für nichtig erklärt. Die Vorwürfe seien so „willkürlich konstruiert“ gewesen, dass die Fairness des Verfahrens fundamental unterminiert gewesen sei, urteilten sie damals.

Was man tun könnte

Für den Umgang mit Staaten, die sich so schwerer Verstöße gegen die Regeln schuldig machen, denen sie sich durch ihre Mitgliedschaft im Europarat freiwillig unterworfen haben, gibt es ebenfalls klare Regeln: Ihnen kann vom Ministerkomitee, dem höchsten Organ der Organisation, mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit vorübergehend das Stimmrecht genommen werden, sie können zum Austritt aufgefordert und sogar ausgeschlossen werden.

Die Mitgliedschaft Russlands im Europarat stand vor zwei Jahren schon einmal auf der Kippe. Damals drohte Moskau damit, die Organisation zu verlassen, der alle europäischen Staaten außer Belarus angehören. Grund war, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarats nach der Annexion der Krim 2014 den russischen Abgeordneten das Stimmrecht entzogen hatte.

Es lag maßgeblich an dem Engagement Deutschlands, dass die russische Delegation im Sommer 2019 wieder ihre vollen Rechte bekam und so der Verbleib des Landes im Europarat gesichert wurde. Unter den Abgeordneten wie unter den Regierungen der Mitgliedstaaten waren die Zugeständnisse an Russland höchst umstritten, zumal es dafür keine Gegenleistungen erbringen musste.

Der Gerichtshof schützt die Schwachen

Das stärkste Argument dafür, Russland im Europarat zu halten, war damals der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte: Wäre Russland nicht mehr Mitglied, stünde seinen Bürgern auch der Weg an das Straßburger Gericht nicht mehr offen, wenn sie in ihren Menschenrechten verletzt werden. Auch viele Organisationen der bedrängten russischen Zivilgesellschaft appellierten deshalb, Russland unbedingt im Europarat zu halten.

Denn wenngleich die Urteile des Menschenrechtsgerichts in Russland oft nicht umgesetzt werden, verschafft der Gang nach Straßburg doch einen gewissen Schutz.

Die Weigerung des Kremls, Nawalnyj freizulassen und ihm medizinische Versorgung zu gewähren, hat die Debatte über den Verbleib Russlands im Europarat wieder aufflammen lassen. Zahlreiche Abgeordnete haben sich für eine Suspendierung der Mitgliedschaft oder wenigstens des Stimmrechts Russlands im Europarat ausgesprochen.

Freilassung bis 7. Juni gefordert

Diese Frage schwang auch mit, als die Parlamentarische Versammlung am Donnerstag in Straßburg über eine Resolution zum Fall Nawalnyj debattiert hat, in der sie das Ministerkomitee mit deutlicher Mehrheit daran erinnert, dass es seine Aufgabe ist, die Einhaltung von Urteilen des Gerichtshofs zu kontrollieren. Die Abgeordneten forderten von Russland die Freilassung Nawalnyjs bis zur nächsten Sitzung des Ministerkomitees am 7. Juni.

Die Bundesregierung, die noch bis Ende Mai den Vorsitz im Ministerkomitee hat, will Russland freilich weiter im Europarat halten. „Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein großer Schutzschild, der gerade dort Wirkung entfalten muss, wo die Menschenrechte wie in Russland massiv unter Druck geraten“, sagte Europastaatsminister Michael Roth (SPD) der F.A.Z. am Donnerstag nach der Straßburger Debatte.

Dabei liegt nicht nur der Fall Nawalnyj zwischen der Debatte über Russlands Verbleib im Europarat vor zwei Jahren und heute, sondern auch die Änderung der russischen Verfassung voriges Jahr, mit der nationales Recht über internationales Recht gestellt wird. Dass das in direktem Widerspruch zu den Statuten des Europarats steht, sieht natürlich auch Roth. „Russland muss seine internationalen Verpflichtungen erfüllen. Punkt“, sagt er dazu – aber was nach diesem Punkt kommen soll, sagt er nicht. Gegen das, was er selbst als „letzte Möglichkeit“ bezeichnet, sträubt er sich jedenfalls: einen Hinauswurf.

Schlechtes „Vorbild“

Dabei ist ihm sehr wohl bewusst, dass es hier nicht nur um Russland geht, sondern um die Glaubwürdigkeit des Europarats und damit um die Zukunft der Organisation, die ihre Bedeutung vor allem der Autorität ihres Gerichtshofs verdankt: „Der Europarat steht an einer Wegmarke: Wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger, den er bieten soll, ausgehebelt wird, dann wird es sehr, sehr schwierig für ihn.“

Schließlich ist Russland nicht das einzige Land, das sich sträubt, Urteile des Straßburger Gerichts umzusetzen. Gegen die Türkei etwa läuft wegen der widerrechtlichen Inhaftierung des Mäzens Osman Kavala im Ministerkomitee schon ein Verfahren. „Ich weiß um die Folgen, wenn man die Großen wie Russland einfach laufen lässt: Warum sollen dann andere Mitgliedstaaten noch Urteile des Gerichts umsetzen?“

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