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#Warum kann Kernfusion Energie erzeugen? – Hier wohnen Drachen

Warum kann Kernfusion Energie erzeugen? – Hier wohnen Drachen

Florian hat ja gerade einen kleinen “Wettbewerb” ausgerufen, in dem es darum geht, die Kernfusion möglichst anschaulich zu erklären, vor allem die Frage, warum man dabei Energie gewinnen kann und wo die eigentlich herkommt. Das was ich hier schreibe, ist vermutlich nicht das, was Florian sich vorgestellt hat – es ist ausgerichtet auf Leute mit ein wenig naturwissenschaftlicher Vorbildung, die schon wissen, was ein Atom ist.

Vorgeplänkel: Energie in Atomen

Bevor wir uns um Atomkerne kümmern, lohnt es sich, erst mal zu gucken, wie man überhaupt Energie gewinnen kann, wenn zwei Dinge sich aneinander binden. Nehmen wir als Beispiel zwei entgegengesetzte elektrische Ladungen, eine positiv, eine negativ. Die beiden ziehen sich gegenseitig an. Wenn sie also anfangs in Ruhe und weit voneinander entfernt sind, fliegen sie durch ihre Anziehungskraft aufeinander zu, dabei werden sie immer schneller. Nehmen wir an, die beiden Ladungen treffen sich schließlich. Dann können zwei Dinge passieren: Entweder sie prallen voneinander ab, weil sie ja eine sehr hohe Geschwindigkeit haben. Oder beim Zusammenprall wird die Bewegungsenergie in eine andere Energieform umgewandelt, beispielsweise in Verformungsenergie, wenn wir uns die beiden Ladungen aus Knetgummi oder etwas ähnlichem denken.

Genau so etwas passiert, wenn sich Atome bilden. Wenn wir anfangs ein Elektron und ein Proton (positiv geladener Kern des Wasserstoffs) haben, die weit voneinander entfernt sind, dann ziehen sich beide gegenseitig an, das leichte Elektron stürzt auf den schweren Atomkern und gibt dabei seine Bewegungsenergie schließlich in Form von Strahlung ab (bei einem Wasserstoffatom ist das ultraviolette Strahlung).

Wir können also Energie (in Form von Strahlung) gewinnen, wenn wir ein Elektron und ein Proton sich zu einem Wasserstoffatom zusammenschließen lassen. Umgekehrt müssen wir Energie aufwenden, um die beiden wieder zu trennen. Diese Energie, die beim Zusammenfügen freigeworden ist, und die wir wieder reinstecken müssten, um beide auseinanderzuziehen ist die Bindungsenergie.

Energie im Atomkern

Im Prinzip funktioniert es bei einem Atomkern ganz genauso. Nehmen wir als einfachstes Beispiel einen Atomkern des Deuteriums. Der besteht aus einem Proton und einem Neutron (dem neutralen Kernbaustein). Bringt man Proton und Neutron zusammen, stürzen sie aufeinander zu und strahlen ebenfalls Energie ab, weil sich die beiden anziehen. Die Kraft, mit der sie das tun, ist nicht die elektrische Anziehung (das Neutron ist elektrisch neutral), sondern die sogenannte Kernkraft.

Drei Dinge unterscheiden diese Reaktion von der im Atom:

1. Die Anziehungskraft zwischen den Teilchen ist sehr groß, deshalb wird sehr viel Energie frei. Die Strahlung, die ausgesandt wird, ist kein ultraviolettes Licht, sondern hochenergetische Röntgenstrahlung. Fusionsreaktoren sind genau deshalb so attraktiv, weil man mit ihnen wegen der hohen Kräfte sehr viel Energie gewinnen könnte.

2. Die Reichweite der Kraft ist sehr kurz. Ein Elektron und ein Proton ziehen sich auch an, wenn sie weit voneinander entfernt sind, aber ein Proton und ein Neutron müssen etwa 0,000 000 000 0001 Millimeter dicht benachbart sein, um eine Anziehung zu spüren, das ist etwa ein 10000tel eines Atomdurchmessers.

3. Es gibt bei dieser Art Anziehung keine unterschiedlichen Ladungen. Protonen und Neutronen ziehen sich immer an, es gibt keine Abstoßung aufgrund der Kernkraft. Es gibt allerdings eine elektrische Abstoßung zwischen den Protonen. Wenn Atomkerne sehr groß werden und viele Protonen enthalten, dann kann die Abstoßung zwischen den Protonen so stark werden, dass der Atomkern nicht mehr stabil ist, weil die Protonen in größerem Abstand sich nicht mehr anziehen, denn sie sind schon zu weit voneinander entfernt.

Die kurze Reichweite der Kraft erklärt auch, warum wir heute immer noch Energie durch Kernfusion gewinnen können. Wäre die Reichweite sehr lang, dann hätten sich die meisten Protonen im Universum zu größeren Teilchen verbunden. (So wie sich ein Großteil von Protonen und Elektronen zu Wasserstoffatomen zusammengefunden haben.) Das passiert aber nicht, denn zwei Protonen stoßen sich elektrisch ab. Um sie so nahe zusammenzubringen, dass die Kernkraft überwiegt, muss man sie mit hoher Geschwindigkeit aufeinanderschießen. Das gelingt, indem man sie stark aufheizt. Deshalb kann im Inneren der Sonne Kernfusion stattfinden (weil dort Temperaturen von 15 Millionen Grad Celsius herrschen) und deshalb muss man bei Fusionsreaktoren sehr viel Energie in einem sehr kleinen Bereich bündeln, um eine Fusion in Gang zu bringen. Dafür verwendet man beispielsweise Hochleistungslaser.

Wir gewinnen also Energie durch Kernfusion, weil sich die Kernteilchen gegenseitig mit einer sehr starken Kraft anziehen und weil wir (wegen der kurzen Reichweite der Kraft) in unserem Universum noch genügend freie Protonen haben, die wir verschmelzen können.

So, dass wäre so etwa die Erklärung, die ich jemandem geben würde, der mich auf der TU-night zum Thema anspricht. Hier könnte ich jetzt Schluss machen. Aber man kann natürlich auch noch etwas mehr erklären.

Das Tröpfchenmodell

Weil sich alle Kernteilchen mit der Kernkraft anziehen, verhalten sie sich ähnlich wie die Moleküle in einer Flüssigkeit. Wassermoleküle ziehen sich beispielsweise auch mit einer Kraft an. Wenn zwei kleine Wassertropfen zusammenlaufen, bilden sie einen größeren Tropfen – da, wo sich die Tropfen berühren, hatten die Wassermoleküle vorher ja keine Bindungspartner, hinterher aber schon.Um den Tropfen wieder in zwei zu teilen, muss man also Bindungen zwischen Wassermolekülen aufbrechen und das kostet Energie.

Wasser verhält sich deshalb so, dass es seine Oberfläche möglichst klein macht, damit möglichst viele Wassermoleküle von anderen umgeben sind. Das ist genau der Grund, warum Wasser eine Oberflächenspannung hat (Seife stört diese Bindungen und zerstört deshalb die Oberflächenspannung) : Moleküle auf der Außenseite sind auf einer Seite nicht gebunden und werden deshalb in den Tropfen zurückgezogen, wenn man versucht, sie zu entfernen:

WassermoleküleInTröpfchen.svg
By User:BooyabazookaOwn work, Public Domain, Link

Weil sich Kernteilchen alle anziehen, funktioniert der Zusammenhalt in einem Atomkern ganz ähnlich. Man kann deshalb Atomkerne für viele Anwendungen mit dem sogenannten “Tröpfchenmodell” beschreiben und annehmen, dass sich der Kern verhält wie ein Wassertropfen. Schießt man beispielsweise ein Teilchen in einen Atomkern, kann das Tröpfchen anfangen zu schwingen und dabei in zwei kleinere Tröpfchen zerfallen – das ist ein einfaches Modell der Kernspaltung, wie sie in Kernkraftwerken stattfindet. Man kann in das Modell auch noch die elektrische Abstoßung der Protonen einbauen und damit ganz gut beschreiben, wie groß ein Atomkern sein kann. Details findet ihr beispielsweise bei Leifi-Physik.

So, das erklärt vielleicht noch etwas detaillierter, warum Energie frei wird. Hier könnte man jetzt wirklich Schluss machen, sollte man vermutlich auch… Aber kurzfassen war ja noch nie so meins auf diesem Blog.

Das Schalenmodell

Man kann auch noch mehr erklären, wenn man will, dazu braucht man allerdings etwas mehr Vorwissen.

Wenn ihr das Periodensystem der Elemente (oder das Bohrsche Atommodell) kennt, dann wisst ihr, dass die Elektronen in einem Atom auf sogenannten “Schalen” sitzen. (Das ist auch nur eine vereinfachte Modellvorstellung, die aber für sehr viele Zwecke sehr gut ist.) Je dichter ein Elektron am Atomkern ist, desto kleiner ist seine Energie, aber da nie zwei Elektronen im gleichen Zustand sein können, müssen einige von ihnen weiter weg vom Kern sein – eben in höheren Schalen.

Beim Atomkern ist das ähnlich. Die Sache wird hier aber dadurch verkompliziert, dass die Kernteilchen selbst ja ihre eigene Anziehung erzeugen. Bei einem Atom gibt es den positiv geladenen Kern, der sehr klein ist und der die Elektronen drum herum anzieht. (Die sich aber gegenseitig natürlich abstoßen – ganz einfach ist auch die Atomphysik nicht…)  Bei Atomkern dagegen erzeugen die Kernteilchen selbst ja die Anziehung, wie sich die ausbildet, hängt also auch davon ab, wo genau die Kernteilchen sitzen, was wiederum davon abhängt, wie sich die Anziehung ausbildet. Es ist also leicht einzusehen, dass das Ganze nicht so ganz simpel zu berechnen ist.

Trotzdem ist das Verhalten der Kernteilchen in vieler Hinsicht analog zu dem der Elektronen, und entsprechend gibt es auch hier “Schalen”. Genau wie in der Chemie ist es auch in der Kernphysik so, dass es energetisch besonders günstig ist, wenn Schalen gefüllt sind. Entsprechend gibt es einige Atomkerne, die besonders hohe Bindungsenergien haben. Die Zahl der Kernteilchen, bei denen eine Schale gefüllt ist, nennt man auch “magische Zahlen”. Weil wir zwei Sorten von Kernteilchen haben, haben wir entsprechend auch zwei Schalensysteme, eins für Protonen, eins für Neutronen. Atomkerne, in denen sowohl die Protonen- als auch die Neutronenzahl “magisch” ist, sind deshalb besonders stabil und energetisch besonders günstig.

Jetzt ist aber gut? Eigentlich ja, aber….

Das Pionen-Modell

Woher kommen eigentlich die Unterschiede zwischen elektrischer Kraft und Kernkraft? Wie funktioniert überhaupt so eine Anziehung, wenn man genau hinschaut? Woher weiß ein Elektron, dass da ein Stück entfernt ein Proton sitzt?

Ein Proton (und auch ein Elektron) hat um sich herum ein elektrisches Feld. Das Feld wird immer schwächer, je weit man sich entfernt, ist aber auch in großer Entfernung noch spürbar. Das Elektron bemerkt also nicht das Proton selbst (das ist ja weit weg), sondern dessen elektrisches Feld, und dieses Feld ist es, das die Kraft auf das Elektron ausübt. (Umgekehrt übt natürlich auch das Feld des Elektrons eine Kraft auf das Proton aus, aber das Proton ist knapp 2000 mal schwerer als das Elektron und lässt sich deshalb schwerer beschleunigen.)

In der klassischen Physik ist dieses Feld einfach das elektrische Feld und wird nicht weiter erklärt. In der Quantenphysik aber muss man sich dieses Feld genauer anschauen – so wie Teilchen wie Protonen und Elektronen sich nach den Regeln der Quantenmechanik verhalten müssen (und deswegen beispielsweise in “Schalen” sitzen), so muss auch das elektrische Feld mit den Regeln der Quantenmechanik beschrieben werden. Tut man das, dann kann man die Anziehung zwischen Elektron und Proton dadurch beschreiben, dass sie zwischen sich Teilchen austauschen. Diese Teilchen sind Photonen, die Teilchen des Lichts. (Wir können elektrische Felder aber nicht direkt sehen, weil die Photonen, die sie bilden, etwas andere Eigenschaften haben als Photonen des sichtbaren Lichts.)

Photonen sind masselos (oder, genauer gesagt, haben keine Ruhemasse). Sie bewegen sich immer mit Lichtgeschwindigkeit. Ein Photon, das von einer Quelle ausgesandt wird, kann man sich vorstellen wie eine Seilwelle: Man schlägt ein langes Seil an einem Ende auf und ab und eine Seilwelle läuft mit konstanter Geschwindigkeit durch das Seil.

Auch die Kernkraft kann man dadurch erklären, dass Teilchen ausgesandt werden. Diese Teilchen sind die sogenannten Pionen. Pionen sind elektrisch neutral, haben aber eine Masse (sie sind etwa 250 mal so schwer wie Elektronen). Diese Masse führt dazu, dass ein Pion, das von einer Quelle ausgesandt wird, sich anders verhält, nämlich eher wie die Seilwelle, wenn man sie in Honig tauchen würde: Die Welle wird durch den Honig gedämpft und kommt nicht sehr weit. (Das ist eine sehr grobe Anschauung, etwas genauer habe ich die Logik dahinter mal im Zusammenhang mit dem Higgs-Teilchen erklärt.)

Weil das so ist, kommt das Pion nicht sehr weit, wenn es ausgesandt wird. Deshalb ist die Reichweite der Kernkraft sehr kurz – die Reichweite einer Kraft ist um so größer, je leichter das zugehörige Teilchen ist, weil – in der Analogie – die Schwingung in der Seilwelle weniger stark gedämpft wird.

Die Eigenschaften des Pions erklären auch, warum es anders als bei den elektrischen Ladungen keine positiven und negativen Kernkraft”ladungen” gibt [Achtung: Jetzt wird es wirklich abgefahren und ich erkläre auch nicht mehr wirklich, sondern zähle nur Fakten auf]: Elementarteilchen haben eine (ziemlich abstrakte) Eigenschaft namens “Spin”. (Die man sich ein ganz klein wenig so vorstellen kann, als würde sich das Teilchen drehen, aber das ist nicht wirklich eine gute Anschauung.) Nach den Regeln der Quantenphysik ist es jetzt so, dass ein Teilchen mit Spin 1 eine Anziehung zwischen entgegengestzten Ladungen bewirkt, eins mit Spin 0 (oder 2) eine Anziehung zwischen gleichen Ladungen. Photonen haben Spin 1, entsprechend ziehen sich entgegengesetzte Ladungen an. Pionen dagegen haben Spin 0, deswegen ziehen sich alle Kernteilchen gegenseitig an und es gibt keine entgegengesetzten Ladungen. (Bei der Gravitation ist das ja auch so, alle Massen ziehen sich an. Versucht man, die Gravitation mit den Mitteln der Quantenphysik zu beschreiben, dann braucht man ein Teilchen mit Spin 2, das Graviton.) Wenn ihr diese bloße Aufzählung von Fakten unbefriedigend findet, habe ich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute: Ich habe das hier auf meinem Blog mal ausführlich erklärt. Die schlechte: Diese Erklärung ist Teil 15 (!) meiner Serie über Quantenfeldtheorie, die ihr rechts bei den Artikelserien findet. Um das zu verstehen, müsst ihr euch also durch eine Menge Texte durchwühlen – eine einfache Erklärung habe ich bisher nicht gefunden.

So, das reicht jetzt aber wirklich, oder? Einer geht noch, aber ich mache es kurz.

Die starke Kernkraft

Wir können noch tiefer bohren und uns fragen, wieso das Pion so anders ist als das Photon. Die Antwort ist einfach und kompliziert gleichzeitig: Das Pion ist gar kein Elementarteilchen. Protonen und Neutronen übrigens auch nicht. Die sind alle aus mehreren Teilchen zusammengesetzt, den Quarks. Ein Pion besteht aus zwei Quarks (genauer gesagt, einem Quark und einem Antiquark), das Proton und Neutron jeweils aus drei. Die Quarks ziehen sich ebenfalls an, und zwar mit der sogenannten “Farbwechselwirkung” (die nichts mit Farben zu tun hat sondern deshalb so heißt, weil die Regeln, die da gelten, analog zu den Regeln der Farbmischung sind). Die Farbwechselwirkung (auch “starke Kernkraft” genannt) hat die Eigenschaft, dass sie extrem stark ist. Ihre zugehörigen Teilchen sind die sogenannten Gluonen.

Gluonen sind masselos, man könnte also erwarten, dass die Reichweite der Kernkraft wie die des elektrischen Feldes sehr groß sein müsste.Ist sie aber ja nicht, wie wir gesehen haben. Der Grund ist er, dass die Gluonen (anders als zum Beispiel die Photonen des Lichts) selbst auch geladen sind. Gluonen ziehen sich also gegenseitig an. Wenn man ein Gluon aussendet, dann sorgt diese Anziehungskraft dafür, dass man immer größere Kräfte braucht, je weiter sich das Gluon vom aussendenden Teilchen entfernt. Im Detail habe ich das schon vor einiger Zeit beschrieben, wenn ihr mehr wissen wollt, klickt den link.

Protonen können sich (oder Neutronen) deshalb nicht dadurch anziehen, dass sie Gluonen austauschen, weil die eben eine solche Ladung (“Farbladung”) tragen. Die Farbladung hält zwar Proton und Neutron zusammen, aber um zwischen zwei Kernteilchen zu wirken, ist ihre Reichweite zu kurz. Deshalb ist der Austausch indirekt – Pionen bestehen aus zwei Quarks und sind selbst neutral, was ihre Farbladung angeht, so dass sie als Austauschteilchen dienen können. Und weil sie aus zwei Quarks bestehen, haben sie eine Masse, und das erklärt, warum die Kernkraft so eine kurze Reichweite hat.

So, und damit habe ich jetzt vermutlich wirklich mehr über Kernkraft geschrieben, als irgendwer von euch wissen wollte, deswegen ist es jetzt auch mal gut.

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