#Was kommt nach der Inzidenz?
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„Was kommt nach der Inzidenz?“
Über Monate war die Inzidenz der Taktgeber der deutschen Corona-Politik. Sie diktierte erst Lockdowns, dann Lockerungen. Die Zahl der nachgewiesenen Ansteckungen mit dem Coronavirus, angegeben stets heruntergerechnet auf 100.000 Einwohner und für einen Zeitraum von einer Woche, befreite Bund und Länder von dem Vorwurf, in der Pandemie willkürlich vorzugehen. In Gestalt der Inzidenz hatte von der Bundeskanzlerin bis zum Landrat jeder einen Indikator an der Hand. Stieg der Wert, musste verschärft werden. Sank er, konnte man lockern. Zu klären waren allein die Schwellenwerte. Doch ausgerechnet mit den Impfungen ist diese Sicherheit vorbei.
An diesem Dienstag wollen Bund und Länder bei ihrem Spitzentreffen darüber sprechen, ob die Inzidenz ihre Rolle als Metronom der Krise behalten kann. Erste Vorschläge für das weitere Vorgehen gibt es vor dem Treffen schon. Weil die Impfung gut vor schweren Krankheitsverläufen schützt, verändert die Impfquote die alte Gleichung. Je mehr Menschen gegen das Virus geimpft sind – bis Montag haben sich knapp 55 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig immunisieren lassen –, desto höher könnte die Inzidenz klettern, bis es auf den Intensivstationen wieder eng wird.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte kürzlich der Bild-Zeitung, mit steigender Impfrate „verliert die Inzidenz an Aussagekraft“. Im Wesentlichen haben die Ministerpräsidenten zwei Lösungswege, um auf die veränderte Lage zu reagieren. Entweder passen sie die Inzidenzwerte an oder setzen auf andere Kennzahlen.
Soll die Inzidenz weiterhin die wichtigste Zahl bleiben, müsste sie so angepasst werden, dass sie den Effekt der Impfungen berücksichtigt. Spahn rechnete einmal vor, 200 sei das neue 50. Doch die Multiplikation mit dem Faktor vier ist nur eine Option von vielen. Grundsätzlich könne man so vorgehen, sagt Christian Karagiannidis, der Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Der Faktor, mit dem die Inzidenz verrechnet wird, müsse aber stetig angepasst werden und liege irgendwo zwischen den Faktoren zwei und sechs. „Das richtet sich dann streng nach der jeweiligen Impfquote“, sagte Karagiannidis der F.A.Z.
Für eine andere Vorgehensweise wirbt der CDU-Gesundheitspolitiker Rudolf Henke. Man solle grundsätzlich an den Inzidenz-Grenzwerten vom Winter festhalten, sagte Henke der Zeitung Welt, „allerdings fortan nach Geimpften und Genesenen einerseits und Ungeimpften andererseits unterscheiden“. Henke schätzt, dass die Inzidenz unter Ungeimpften bereits den Wert von 50 überschritten haben dürfte. Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die bundesweite Inzidenz am Montagmorgen mit 23,1 an.
Andererseits könnten sich die Ministerpräsidenten darauf verständigen, neben der Inzidenz weitere Messwerte heranzuziehen, um daraus politisch Schritte wie etwa Einschränkungen für Ungeimpfte abzuleiten. Die Inzidenz war zwar auch früher nie der einzige Wert, auf dessen Grundlage entschieden wurde. Doch sie war mit Abstand der wichtigste. Drei Modelle könnten als Blaupause für eine neue Balance dienen.
Die Kliniken müssen seit Juli mehr Daten erheben
Christian Karagiannidis von der DIVI plädiert für einen Dreiklang. Inzidenz, Hospitalisierungsquote und die Belegung von Intensivbetten sollen gleichermaßen eine Rolle spielen und unbedingt jeweils auf Landesebene erhoben werden, um regionale Unterschiede zu berücksichtigen. Neben der Zahl der Ansteckungen soll es eine Rolle spielen, wie viele COVID-19-Patienten wegen ihrer Erkrankung in die Klinik müssen und wie es auf den Intensivstationen aussieht. Dort solle neben der allgemeinen Belegungsquote auch der Anteil der COVID-19-Patienten erfasst werden. Auf die Betrachtung der Inzidenz ganz zu verzichten hält der Arzt für fatal. „Das wäre so, als würde man bei einem Auto den Tacho ausbauen und nur nach Blitzern fahren.“
In Modellrechnungen haben Karagiannidis und seine Kollegen festgestellt, dass die Inzidenz weiterhin klar an die Belegung der Intensivbetten gekoppelt ist – nur eben nicht mehr so unmittelbar wie vor den Impfungen. „In England ist es so, dass 15 Prozent aller Hospitalisierten auf der Intensivstation landen. Dieser Anteil ist auch im Zuge der Impfungen konstant geblieben“, sagt Karagiannidis. Deswegen sei es wichtig, auf die Zahl der Krankenhauseinweisungen zu achten. Im Juli hatte Gesundheitsminister Spahn die Kliniken dazu verpflichtet, fortan detailliert Buch zu führen. Die Zahlen müssten also verfügbar sein, sogar aufgeschlüsselt nach Impfstatus der Patienten samt Angaben über den verwendeten Impfstoff.
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