#Was Saddam Hussein begann, setzt der Klimawandel fort
„Was Saddam Hussein begann, setzt der Klimawandel fort“
Der englische Abenteurer Wilfred Thesiger hat einige Jahre unter ihnen gelebt. Die Erinnerung an diese Welt hält er mit seinen eindrucksvollen Schilderungen und ebenso eindrucksvollen Fotos in seinem 1964 erschienenen Buch „The Marsh Arabs“ wach. Die Gewässer waren damals fischreich, Seeadler zogen über das Land, das flach ist, so weit das Auge reicht, ebenso Reiher und Pelikane. Ein Idyll ohne den Lärm der Stadt, der Vergleich mit dem Garten Eden schien berechtigt.
Die Fotoserie von Reuters-Fotograf Thaier al-Sudani dokumentiert nun eindrucksvoll, wie dieses Feuchtgebiet mit seinen zahlreichen Wasserarmen kippt. Immer mehr junge Söhne und Töchter wollen nicht mehr leben wie ihre Vorfahren und ziehen in die nächste Stadt. Das Leben dort ist bequemer und weniger entbehrungsreich. Arbeit finden sie dort aber nicht, wie auch viele andere Iraker nicht, die deshalb seit 2018 gegen die korrupte und inkompetente Regierung in Bagdad demonstrieren. Dennoch wollen die Jungen aus dem Marschland weg, auch deshalb, weil sie dort nicht mehr wie ihre Vorfahren leben können.
Die zogen noch mit ihren Kähnen noch Tag für Tag durch die vielen Wasserarme. Was sie fischten, verzehrten sie, was übrig blieb, verkauften sie an zentralen Stellen ebenso wie die Milch der Büffel. Sie bauten sich Häuser nur mit Schilf. Die großen, ebenfalls nur mit Schilf gebauten Versammlungsräume waren bis zu 50 Meter lang und hatten eine fast sakrale Aura. Doch die Moderne zog auch in diese Schilfhäuser der Marscharaber ein. Immer häufiger verwenden sie heute als tragende Konstruktion Eisen, und immer häufiger leben sie sogar in Lehmhütten.
Der irakische Diktator Saddam Hussein griff 1991 in dieses Leben ein. In jenem Jahr, die irakische Armee war aus Kuweit vertrieben worden, erhoben sich im Süden des Iraks die Schiiten gegen die Gewaltherrschaft von Saddam Hussein. Das Marschland war ihr ideales Rückzugsgebiet. Dort konnten sie untertauchen und unentdeckt bleiben. Deshalb ließ Saddam Hussein das Marschland trockenlegen und Straßen für seine Militärfahrzeuge bauen, um die Aufständischen zu bekämpfen.
Saddam Hussein verwandelte dieses einstige Paradies so in eine Wüste, und so fegte von dann an der Wüstenwind über die endlose flache Ebene, eine Salzkruste bedeckte den Boden. Zum ersten Mal seit Menschengedenken lebten hier keine Menschen mehr. Als Saddam Hussein 2003 gestürzt wurde, erholte sich die Gegend, in die trockengelegten Sümpfe kehrte Leben zurück. Wasser füllte wieder die Kanäle, viele kehrten zurück und ließen sich auf den zahlreichen Inseln nieder, auf denen wieder Schilf wuchs.
Doch das Leben, so wie es einmal war, kehrte nicht zurück. Die Wasserbüffel gleiten wohl noch nach wie vor lautlos ins Wasser und entziehen sich so der Hitze. Sie geben aber weniger Milch. Die Fischer ziehen mit ihren langgezogenen Kähnen weiter durch die Wasserarme, aber die Netze sind nicht mehr so voll. Das Wasser fließt wieder, es ist nicht mehr trinkbar, sodass die Menschen das Trinkwasser in Tanks herbeischaffen. Hier, in diesem Marschland am Unterlauf von Euphrat und Tigris, wird besonders deutlich, wie sehr der Satz stimmt, dass Wasser Leben bedeutet.
Heute bedrohen zwei Entwicklungen dieses Marschland: Trockenheit und Wasserverschmutzung. 2021 war das zweit trockenste Jahr der vergangenen vierzig Jahre. Für 2023 wird eine weitere verheerende Dürre prognostiziert. Mit der Trockenheit sinkt der Wasserspiegel, und vom nahen Persischen Golf dringt Salzwasser ein. Das Wasser wird salziger, weshalb die Büffel weniger trinken, und sie geben dann auch weniger Milch. Zudem steigt die Temperatur, aufgrund der meteorologischen Besonderheiten doppelt so viel wie im weltweiten Durchschnitt, wodurch noch mehr Wasser verdunstet.
Die Quantität des Wassers nimmt also ab. Gleichzeitig verschlechtert sich seine Qualität, und das nicht nur wegen der Versalzung. Von Norden her bringen die Ströme Euphrat und Tigris immer größere Mengen verschmutztes Wasser in die Kanäle. Jeden Tag fließen 5 Millionen Kubikmeter Abwässer ungeklärt in den Tigris, räumt die irakische Regierung ein. Deshalb gibt es weniger Fische, und deshalb müssen die Marscharaber das Trinkwasser in Tanks herbei schaffen. Das verschmutzte Wasser verursachte Krankheiten, was ein weiterer Grund für den anhaltenden Wegzug in die Städte ist.
Die Fotos halten eine Lebensweise fest, die dem Untergang geweiht ist. Sie vermitteln einerseits, wie sehr die Marscharaber noch immer in Würde leben, andererseits aber auch, dass und wie menschliche Eingriffe ihnen die Lebensgrundlage entziehen.
Durch die Trockenheit steigt der Salzgehalt des Wassers. Das beeinträchtigt die Gesundheit aller Lebewesen. Wasserbüffel geben weniger Milch.
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Bild: Reuters
Sabah Thamer al-Baher sitzt vor seinem Schilfhaus. Wegen der Trockenheit muss er nun Trinkwasser für seine 20 Wasserbüffel kaufen.
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Bild: Reuters
Baher gibt seiner Tochter Fatema Büffelmilch. Er fürchtet eine weitere Dürre im nächsten Jahr: „Wenn die Dürre anhält, werden wir bald nicht mehr existieren, weil unser gesamtes Leben vom Wasser und Büffelzucht abhängt.“
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Bild: Reuters
Thamer al-Baher auf dem Heimweg zu seinem Schilfhaus.
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Bild: Reuters
Sabah Thamer al-Baher beim Ernten von Schilf.
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Bild: Reuters
Ein Fischer wirft sein Netz aus. Fisch, Schilf und Wasserbüffel bilden seit Jahrtausenden die Lebensgrundlage der Marschbewohner im Südirak.
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Bild: Reuters
Die Vereinten Nationen sprechen von einem trockensten Jahre der vergangenen Jahrzehnte. 2023 wird es voraussichtlich nicht besser werden.
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Bild: Reuters
Weite Teile der in den vergangenen Jahren versumpften Flächen liegen wieder trocken. Sehr zum Schaden des fischreichen Ökosystems der Marschen.
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Bild: Reuters
Gläubige Männer beim gemeinsamen Gebet. Traditionell sind die Muslime im irakischen Marschland Schiiten.
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Bild: Reuters
Ein Kind sitzt in einer Siedlung im Schatten. Ob es als Erwachsener noch die traditionelle Lebensweise führen kann, ist ungewiss.
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Bild: Reuters
Eine Frau bereitet im Morgengrauen das Frühstück zu.
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Bild: Reuters
Das Haus von Sabah Thamer al-Baher. Die Idylle ist trügerisch.
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Bild: Reuters
Büffelmilch ist seit Jahrtausenden eine der Lebensgrundlagen der Marscharaber. Als Folge der Versalzung des Wassers geben die Büffel allerdings immer weniger Milch.
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Kinder spielen in ihrem Zuhause aus Schilf. Moderne Materialien lösen jedoch die traditionelle Bauweise zunehmend ab.
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Bild: Reuters
Mohammed Thamer Al-Baher fährt hinaus, um Schilf zu ernten. Dass es seine Nachfahren ebenso tun werden, ist unwahrscheinlich.
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Bild: Reuters
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