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#Was soll daran defizitär sein?

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Was soll daran defizitär sein?

Das psychologische Deutungsgewerbe kommt in der Pandemie zu neuen Ehren. Es soll das unbegriffene Lebensgefühl, das sich aus den dichtgemachten Verhältnissen ergibt, auf Begriffe bringen, entlang derer man weiß, wo man dran ist, auch wenn das Weltganze in der Luft zu hängen scheint. Als neulich der amerikanische Organisationspsychologe Adam Grant in einem Artikel der New York Times das „Languishing“ zur Emotion des Jahres 2021 ausrief, fing diese Vokabel an, einen rasanten medialen Lauf zu nehmen.

„Languishing“ ist mit Schmachten, Sehnen, Dahinsumpern nicht verkehrt übersetzt, Begriffe der Entbehrung, die mit ihrem Charme des Abgewetzten nun hochaktuell erscheinen. Zwischen Burnout und Depression angesiedelt – also klinischen seelischen Störungen, die hier gerade nicht gemeint sind –, erfährt der Befund „languishing“ jene libidinöse Besetzung, deren Ausbleiben er als vorherrschendes pandemisches Lebensgefühl beschreiben möchte. Denn darum geht es in diesem Modus des Schmachtens: um ein Verlangen nach Verlangen, das – laut Adam Grant – derzeit ungestillt bleibt und den individuellen energetischen Level absacken lässt, mit dem alles prägenden Gefühl, im Ziellosen festzustecken.

Der Blitz schlägt ein

Nun gilt andererseits in idealistischer Tradition, dass man nie weiter geht, als wenn man nicht mehr weiß, wohin man geht. Und tatsächlich ist das, was von Adam Grant nur als psychologisch defizitäre Mattigkeit aufgefasst wird, in konkreter Wirklichkeit vielleicht der Auslöser für die erlösende Übersprungshandlung in ein erfülltes „zweites Leben“ (Francois Jullien) hinein, für die Entzündbarkeit durch den einschlagenden Blitz: das pfadabhängig Verdrängte schlägt zu in spontaner Objektwahl. Wodurch dann eine Verschiebung in der Organisation unserer Biographie einträte: Sie belebt sich in der Entbehrung neu und meint jetzt zu wissen, dass sie sich, als organisationspsychologisch noch alles rund lief, von falschen Anerkennungen hat in Bann schlagen lassen.

Doch erstaunt Adam Grants Beschreibung der Ziellosigkeit als einem psychologischen Defizitmodell auch aus weniger spekulativen Gründen. Denn hier stimmt einfach die Empirie nicht, soweit sie innerpsychisch ins Gewicht fällt. Uns fehlen Ziele, um aufzublühen? Uns fehlt das Verlangen? Ist es nicht im Gegenteil zurzeit so, dass wir den Wald vor lauter Hinweisschildern, vor eng gestaffelten Zielvorgaben nicht mehr sehen? Ist unsere maskierte Kommunikation pandemiebedingt nicht auf lauter zielführende Abkürzungen gerichtet, auf den reinen Informationsgehalt unserer Mitteilungen?

Was im Austausch von Angesicht zu Angesicht fehlt, ist doch gerade dies: Ziellosigkeit und Abschweifung. Es ist dieses anti-ökonomische Moment von Zufall, das die im Wortsinn reizenden Begegnungen schafft, nach denen man in der Pandemie verlangt. Derart evidenzbasiert begriffen, liegt im Sehnsuchtsmodell des „Languishing“ Erfüllung, nicht Ödnis.

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