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#Weißes Gold für die Bettlerin

„Weißes Gold für die Bettlerin“

Elfenbein ist zusammen mit Wachs der körperlichste Werkstoff der Kunst, weil es ein semiorganisches Material ist. Gerade der Barock, der Hauptschwerpunkt der jetzt im Frankfurter Liebieghaus mit über zweihundert raren und einmalig schönen Elfenbeinskulpturen mit den letzten 21 Stück aus den Wohnräumen des Mäzens komplettierten Sammlung Reiner Winkler, die überwiegend als Schenkung des 2020 verstorbenen Wiesbadener Bauunternehmers an das Museum gelangten, liebte die makellos weiße, nicht von Feldarbeit unter sengender Sonne verbrannte Haut der aus meist alten und gefundenen Stoßzähnen geschnitzten Figuren.

Für die mittelalterlichen Arbeiten (F.A.Z. vom 11. April 2019) gilt oft dasselbe, da die Schnitzer die Reinheit der Muttergottes oder keuscher Heiliger wie Katharina, Barbara oder Margarethe ebenfalls durch das als „weißes Gold“ bezeichnete Elfenbein verbildlichten, weil man in der Tradition des antiken „Brehms Tierleben“, des sogenannten „Physiologus“, von der gestrengen Keuschheit des Elefanten ausging. Das einzige Material, das man mit diesem tierischen Edelmetall kombinierte, das so gut wie nie mit vulgären Farben bemalt wurde, war echtes Gold – zwei ultrareine Materialien unter sich.

Alte Liebe rostet nicht? Auf dem elfenbeinweißen Körper bei der „Heiligen Maria Magdalena als Büßerin“ aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts finden sich ungewollte Makel.


Alte Liebe rostet nicht? Auf dem elfenbeinweißen Körper bei der „Heiligen Maria Magdalena als Büßerin“ aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts finden sich ungewollte Makel.
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Bild: Liebieghaus Skulpturensammlung

So mutet es beinahe wie Ironie an, wenn auf dem besonders fein geschnitzten Elfenbeinrelief der „Heiligen Maria Magdalena als Büßerin“ (die Grübchen in ihrem Kinn und im Ellbogen des babyspeckigen Putto!) aus der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts das Haar und die Ornamente ihres weißen Kleides mit glänzendem Blattgold gefasst sind, aber sich über dem gesamten Körper verteilt auch grüne Flecken finden.

Es handelt sich dabei um Oxidationsverfärbungen des eingesetzten Metallpulvers, welche die elfenbeinerne Makellosigkeit der Heiligen heutzutage etwas beflecken. Auch eine ehemalige Prostituierte wie Magdalena kam also als Sanktifizierte in den Genuss des Edelmaterials, die Zeit enthüllt aber durch die Oxidation gewissermaßen ihr einstiges Wesen. Ähnlich gewitzt kombinierte Matthias Steinl als einer der berühmtesten Elfenbeinschnitzer des Barocks 1715 Chronos als Herrn der Zeit mit einer Erdkugel aus poliertem afghanischen Lapislazuli, die wie eine Vorform der 1968 erstmals aus dem All fotografierten „Blue Marble“ wirkt – zwei Ewigkeitsmaterialien unter sich.

Frisch konvertierten Herrschern wurde der Nachfolger Petri aus Elfenbein für zuhause geschenkt: Bildnis Papst Clemens XI., in Rom um 1710 lebensnaher als die vorbildhafte Medaille gefertigt.


Frisch konvertierten Herrschern wurde der Nachfolger Petri aus Elfenbein für zuhause geschenkt: Bildnis Papst Clemens XI., in Rom um 1710 lebensnaher als die vorbildhafte Medaille gefertigt.
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Bild: Liebieghaus Skulpturensammlung

Ein formwandlerischer Werkstoff

Bisweilen wurde der Luxuscharakter des Materials jedoch auch gebrochen: Unter den Neuzugängen im Vorraum befindet sich beispielsweise eine „Bettlerin mit Saitentamburin und Kind“ von um 1730, der ein zerfetztes Lumpengewand aus Holz auf den verhärmten Leib geschnitzt wurde. Die expressive Gruppe ist dabei nur Teil einer ganzen Bettlerfamilie, wie sie vom selben Schnitzmeister Simon Troger etwa heute komplett im Metropolitan Museum präsentiert wird. Wieder einmal zeigt sich hier der Barock als Epoche der Widersprüche, wenn adelige Auftraggeber das teure und edle Material Elfenbein für die niedersten Schichten (denn auch beinerne Bauernfamilien existieren) nutzen ließen – Vergänglichkeitsgedanken wie „Was ihr seid, könnten wir dereinst durch Krieg oder Luxus und Spielsucht werden“ inbegriffen.

Dass sich das einem Tier entwachsene Organomaterial auch bestens für lebensnahe Porträts eignet, belegt im eigens für die Neuzugänge eingerichteten Nebenraum das Bildnis für Papst Clemens XI. von 1710. Anders als die silberne Medaille, die der römische Schnitzer sich zum Vorbild nahm, tritt das Profil des Pontifex derart lebendig aus dem reinweißen Grund heraus, als würde er atmen. Das ovale Konterfei ist eine besonders seltene Kostbarkeit, denn die Päpste beschenkten damit nur wenige, aber bedeutende Regenten: jene nämlich, die wie August der Starke im Jahr 1697 oder Christina von Schweden 1655 zum Katholizismus konvertiert waren und die durch die Luxusgabe eng an Rom gebunden werden sollten.

Elfenbein ist zugleich auch ein denkbar formwandlerischer Werkstoff, der zum Schnitzen durch Pflanzensude weich gemacht wurde und dennoch nach dem Aushärten derart elastisch bleibt, dass selbst kleinste Rockschöße oder Finger anders als bei Figuren aus Stein oder Holz nicht abbrechen. Das ist in Reinform auf dem 44 Zentimeter hohen und strahlend weißen Relief der Verkündigung an Maria von Jean-Antoine Belleteste (um 1770) zu erleben. Belleteste war der Beste seiner Zunft in Dieppe, dem wichtigsten Zentrum für die Kunst des Elfenbeinschnitzens in Frankreich.

Wallende Gewänder, fragile Butzenscheiben, schweinslederne Buchrücken im Regal: Alles in Bein auf der „Verkündigung an Maria“ von Jean-Antoine Belleteste, um 1770 im französischen Dieppe geschnitzt.


Wallende Gewänder, fragile Butzenscheiben, schweinslederne Buchrücken im Regal: Alles in Bein auf der „Verkündigung an Maria“ von Jean-Antoine Belleteste, um 1770 im französischen Dieppe geschnitzt.
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Bild: Liebieghaus Skulpturensammlung

Anders als die beinernen Bettler setzt er die demütige Magd Maria allerdings nicht in einen humilen Rahmen. Vielmehr lässt er sie in einem Palast mit Balustraden und kannelierten Säulen knien, sie fließend von ihrem Thronsessel auf marmorne Treppenstufen gleiten und überdeckt die künftige Gottesmutter zusätzlich mit mehreren Schichten edlen Stoffs. Sein Verkündigungsengel segelt in einer formvollendeten Pirouette aus einer Wolkenzone herab, der Engelsköpfchen ebenso wie die elfenbeinfarbene Heiliggeisttaube entwachsen. Diese Fülle an Materialien und Stofflichkeiten auf so engem Raum zu differenzieren, schafft dann doch nur Elfenbein.

Splendid White. Die Elfenbein-Sammlung Reiner Winkler. Liebieghaus, Frankfurt; bis 8. Januar 2023. Der Katalog kostet 29,90 Euro.

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