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#Wenig Lohn für viel Mühe

Wenig Lohn für viel Mühe

Als Luca Francesconi Heiner Müllers „Quartett“ musiktheatralisch adaptierte, bediente er sich als sein eigener Librettist dazu des Englischen. Ein Italiener anglisiert einen deutschen Text, der auf einem französischen – Choderlos de Laclos’ „Liaisons dangereuses“ – beruhte: Weltläufigkeit bis zur Irritation. Sie wurde nicht geringer, wenn man nun beim Saisonstart der Berliner Staatsoper erlebte, wie Francesconi, wiederum in eigener Werkstatt, seine englischsprachige Oper in die Matrize des Müller’schen Originals zurückpresste: eine Art Heimholung, die nicht ohne Verwerfungen in Prosodie und Vokalfärbung abgehen konnte, zumal der Komponist die schneidenden Sentenzen des Schauspieltextes in ihrer Begrifflichkeit ausdrücklich unangetastet lassen wollte. Bei Vokallinien, deren sperrige Intervallik das spontane Verstehen, in welcher Sprache auch immer, ohnehin einschränkt, war das viel ehrenwerte Anstrengung; ob auch eine lohnende, bleibt fraglich.

Wer wollte, konnte den Zwiespalt wenigstens dadurch produktiv machen, dass der Blick zur Übertitelung am Bühnenportal – kein 1:1-Original-Müller, aber doch unverkennbar seine sarkastische, intelligent unflätige Denk- und Sprachform – immer dann weiterhalf, wenn auf den Brettern selbst, wie öfter, gerade nicht viel passierte: Man hatte dann immer noch eine sehr anregende Lektüre. Alternativ gelegentlich die Corona-Maske über die Augen zu ziehen, hätte dagegen nur mangelhaften Effekt gemacht. Francesconis Musik, eine Art esoterischer Katastrophenträumerei, quirlt den koordinierten Untergang von Moral, Fleisch und Welt einem dunkel funkelnden, aber trotz aller Dissonanzen, geräuschhaften Zwischenzonen und rhythmischen Hakeleien oft nur fluffig-widerstandsarmen Klangstrom ein. Daniel Barenboim und seine relativ kleine Orchesterformation im Graben hatten da nicht viel mehr zu tun, als sich sorgfältig mit dem vorproduzierten, raumumkreisenden Elektroniksound zu koordinieren, die Sänger durch ihre Partien zu lotsen und gelegentliche akzentuierende Pointen zu setzen, was alles nach bestem Können geschah. Als Zuspiele dienten die alten Bänder der Mailänder Uraufführung, womit auch noch das ursprüngliche Englisch, sphärisch-kosmologisch transzendiert, zu seinem Recht kam und an der seltsamen Paradoxie einer ins Monumentale schweifenden Kammeroper mitwirkte.

Getragen wird sie, wie schon Müllers Sprechstück, von nur zwei Akteuren; zum titelgebenden „Quartett“ werden sie erst durch zwei weitere, eigentlich nur als Denk- und Dialogfiguren präsente Erscheinungen. Dass die Regisseurin Barbara Wisocka auch diese – stumm, aber ansehnlich-leibhaftig – über die Bühne schweben ließ (Francesca Ciaffoni, Ségolène Bresser), gehörte zu den vielen Verlegenheiten einer Inszenierung, der vor allem eines fehlte: lebendig bewegte Kommunikation. Frau und Mann, beide gnadenlos übersättigt und zum zynischen Endspiel antretend, dabei sich selbst und die auserkorenen Jagdopfer des Vicomte nurmehr als bloßes Material nutzend: die nihilistische Energie, die der Dichter in diese Konstellation gelegt hat, verwässerte sich hier zu einer Doppeldozentur über das ätzende Unausgefülltsein jener Privilegierten, denen zu viel zu leicht gefallen ist.

Man braucht, um das sadistische, laboratoriumshaft kalte und im Zynismus vereinte Ineinanderwühlen ihrer ausgeleerten Seelen zu zeigen, nicht unbedingt intime Berührungen – Corona spielt natürlich mit, und wenn partiell sogar Masken auf der Bühne erscheinen, wirken sie in diesem Stück (auch) maskenhafter Erstarrung nicht falsch. Was man aber gebraucht hätte, wäre eine Intimität der Interaktion gewesen, Vernichtungs- und Selbstvernichtungsspannung zwischen Individuen statt langwieriger Strumpfhosenfrickeleien, gestelzter Parallelaktionen (selbst die Blicke finden sich nur selten) und des abgegriffenen Vokabulars schwarzer Vögel und phallischer Atompilze, künstlicher Brüste, Schwänze und Spitzenkleidchen an Mann wie Frau, mit denen die Regisseurin und ihre Ausstatterinnen Barbara Hanicka und Julia Kornacka im von Müller vorgegebenen, bisweilen videoüberflackerten Atombunker hantierten: bemühte Lustlosigkeit.

Sie wurde wenigstens zum Teil aufgefangen durch Mojca Erdmann und Thomas Oliemans, die das alles exekutieren mussten und wenn schon nicht im Miteinander, dann doch jeder für sich das Beste aus den konditionell wie technisch enorm fordernden Vorgaben Francesconis und der uninspirierten Inszenierung machten. Der Mann ist dabei, wie schon in allen Verarbeitungsstufen seit Laclos’ Roman, in der undankbareren Rolle: mindestens ebenso durch den furiosen Willen seiner Partnerin wie vom eigenen Antrieb gelenkt und bei allem machohaften Auftrumpfen doch auch hörig, bisweilen dackelhaft unsouverän. Dem Bariton gelingen dabei Momente sarkastisch-intellektueller Selbstironie, die angerauhte Prägnanz seiner nicht ganz homogen registrierten Stimme hat einen eigenen Reiz. Doch erst Mojca Erdmann als lebens- wie todesgieriger Vernichtungsengel bringt die Vorstellung auf ein Niveau, das man letztlich doch lohnend nennen darf. Schneidende Spitzentöne und samten schmeichlerische Interjektionen auf engem Raum formen eine Gestalt umarmender Rücksichtslosigkeit und bekennender Amoralität, hinter der man doch immer noch Liebesfähigkeit oder wenigstens die Erinnerung daran hört. Erotische Unbedingtheit, pervertiert ins Gegenteil eines eisigen, souverän manipulativen Hasses: bei Müller steht da eine hoffnungslose Krebserkrankung im Hintergrund, bei Francesconi, der hier vom Schauspiel abweicht, der verzweifelte Wille zu einem doch möglichen Neuanfang. Die zerbrechlich kühle, keineswegs schon satt abgereifte Energie der Sopranistin beglaubigt auch diese Variante.

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