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#Wenn man wieder rein darf, will man gar nicht mehr raus

Wenn man wieder rein darf, will man gar nicht mehr raus

Der Beharrungswille des Publikums ist gewaltig. Mit lauten Jubelrufen werden die Berliner Philharmoniker begrüßt, als sie zu Beginn des Abends am Podium erscheinen. Es kommt zu stehenden Ovationen, kaum ist der letzte Akkord von Sergej Rachmaninows zweiter Symphonie verklungen. Als die Musiker das Podium verlassen, geht kaum ein Besucher aus dem Saal. Kirill Petrenko kehrt auf die Bühne zurück und wird nur ungern wieder entlassen. Gefeiert wird ein Spitzenorchester, das seit Oktober das erste Mal wieder vor leibhaftig anwesenden Menschen auftritt. So entschieden wie der Applaus ist das Votum: Es soll möglichst so bleiben.

Innerhalb von drei Minuten sei der Abend ausverkauft gewesen, erzählt Andrea Zietzschmann, die Intendantin der Philharmoniker, als sie vor dem Konzert auf die Bühne tritt. Tausend Eintrittskarten wurden im Blitzverfahren verkauft. Der Hunger auf Kultur ist riesig, und dass er hier für kurze Zeit gelindert werden kann, erlaubt es dem Berliner Kultursenator Klaus Lederer, der bislang nicht durch Mut auffiel, sich feiern zu lassen, als er neben Zietzschmann auf dem Podium steht. Von „Wagemut“ spricht er, doch weiß man nicht recht, für wie groß man diesen nun wirklich halten soll. Ein frisch getestetes Publikum kommt geschützt mit FFP2-Masken in einem der bestbelüfteten Säle der Stadt zusammen, dessen Luftaustausch für so leistungsstark befunden wurde, dass Betriebsarzt und Berufsunfallversicherung den Musikern sogar erlaubten, bis auf einen Meter (die Bläser eineinhalb Meter) Abstand zusammenzurücken.

Wie das Wiedersehen zweier alter Bekannter

Als so außerordentlich gewagt erscheint die Veranstaltung da kaum mehr, selbst vor dem Hintergrund einer anrollenden dritten Corona-Welle. Eher schon als überfällige Anerkennung eines Status quo, wie er sich aus Studien ergab. Man feiert also den Willen und die organisatorische Leistung dieses Pilotprojektes, an dem sich sieben Kultureinrichtungen der Stadt beteiligen. Unter anderem das Berliner Ensemble, wo am Abend zuvor der Auftakt stattfand mit einer Aufführung von Benjamin von Stuckrad-Barres Autobiographie „Panikherz“, eingerichtet von Oliver Reese. Neben einem Ticket benötigt der Besucher einen negativen Corona-Test, nicht älter als zwölf Stunden. Der Test ist im Preis inbegriffen und kann bei kooperierenden Testzentren vorgenommen werden. Oder, wie beim Konzert der Philharmoniker, gleich am Veranstaltungsort selbst.

Dass trotz komplexer Einlassprozedur – Vorzeigen von Ticket, Personalausweis und Testergebnis – das Konzert pünktlich begann, darf man als ersten, nicht selbstverständlichen Erfolg werten; dass sich jeder aus dem Publikum durch die Nase in den Rachen stochern ließ, um später Rachmaninow hören zu dürfen, als weiteren Ausweis für eine grundlegende Bedürftigkeit.

Die scheint bei den Philharmonikern nicht geringer ausgeprägt zu sein. Wie sie mit frohem Grüßen den Jubel des Publikums zu Beginn beantworteten, fühlte man sich an das Wiedertreffen zweier alter Bekannter erinnert. So anrührend dieser Moment auch ausfällt, auf das Konzert selbst hat er nur wenig Auswirkung. Auch an diesem Abend, an dem Kirill Petrenko besonders freudig zum Podest zu eilen scheint, lässt sich der Chefdirigent nicht zu einem Pathos verleiten, das außerhalb dessen liegen würde, was die Musik verlangt. Erstaunlich nüchtern beginnt die „Romeo und Julia“-Ouvertüre von Peter Tschaikowsky im verschatteten Holzbläserchoral. Wie es zu seinen Markenzeichen gehört, achtet Petrenko auf Linearität und Stringenz in der Wiedergabe. Es gibt keine toten Punkte, an denen unklar wäre, in welche Richtung sich ein Klang weiterbewegen würde. Und doch herrscht überraschende Zurückhaltung, die in Erinnerung bringt, dass auch ein Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker der Übung bedarf und der Konzertpraxis vor einem im Saal anwesenden Publikum.

Nicht alle Rädchen greifen an diesem Abend so ineinander, wie man es von diesem Orchester kennt. Am auffälligsten vielleicht im ersten Satz der zweiten Symphonie von Rachmaninow, wo ein ums andere Mal die Hierarchie der Stimmen durcheinandergerät und die Puzzleteile der musikalischen Faktur nicht immer aneinanderpassen wollen: hier ein Einsatz, der unklar beginnt, da eine Passage, die gegen Ende ausfranst. Das hat auch mit Petrenko zu tun, der auf der Suche nach einem leichten, schwebenden Rachmaninow-Ton die Zügel lockert, die er sonst gern festhält. Zu den beglückenden Dingen des Abends gehört, wie das Orchester im großen Adagio zusammenfindet. Der Ton wird intensiver und klarer, die Vielschichtigkeit des Stimmengefüges tritt hervor und damit eine Tiefe, die Rachmaninow gerne abgesprochen wird. Beim Schlusssatz mit seiner Tendenz zu wagnerischer Hochgestimmtheit ebenso wie zu mediterran verschwenderischer Melodik schließt sich dann auch der Kreis zum südlichen Sujet der „Romeo und Julia“-Ouvertüre. Hier trifft sich dann auch das Pathos der Musik mit der Emotionalität dieser außergewöhnlichen Veranstaltung.

Fünf weitere Abende sollen bei diesem Pilotprojekt bis Ostersonntag folgen an verschiedenen Veranstaltungsorten. Dann folgt die Auswertung. Das Votum des Publikums gleichwohl ist schon eindeutig.

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