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#Wer mit dem Teufel um die Seele Karten spielt, darf schummeln

Wer mit dem Teufel um die Seele Karten spielt, darf schummeln

Mit den schönsten Hoffnungen hatte der namenlose Autor an einem Dienstagabend zum ersten Mal an einem Treffen des Folio Club teilgenommen, einer literarischen Vereinigung von elf Männern, die ihn zu ihrem neuen Mitglied gewählt hatten. „Niemand hätte tiefere Empfindungen der Bewunderung und Achtung hegen können als ich“, sagt der Novize, und auch die Statuten leuchten ihm ein: Man trifft sich einmal im Monat im privaten Rahmen, jeder trägt einen selbstverfassten Text vor, über den dann diskutiert wird. Sind alle verlesen, wird abgestimmt. Der Autor des besten Beitrags dient der Gesellschaft beim nächsten Treffen als Präsident, während der des schlechtesten die nächste Versammlung in seinem Haus auf eigene Kosten ausrichten muss.

Nur dass der Neuling beim nächsten Mal gar nicht dabei sein wird. Die Vereinsmitglieder nennt er jetzt, nachdem er sie einen Abend lang erlebt hat, „eine Clique von Schwachköpfen“, die „ebenso hässlich aussehen, wie sie dumm sind. Zudem glaube ich, es ist ihre feste Absicht, die Literatur abzuschaffen, die freie Presse zu untergraben und die Herrschaft von Nomen und Pronomen über den Haufen zu werfen“, kurz: ein „Teufelsbund“. Obwohl an diesem Abend Texte vorgetragen wurden, die man heute zur Weltliteratur rechnen möchte, allen voran „Metzengerstein“ und „Das Manuskript in der Flasche“.

Obsessionen für den Schwebezustand

Edgar Allan Poes Band „Die Erzählungen des Folio Club“, herausgegeben von dem studierten Anglisten und langjährigen Fernsehredakteur Rainer Bunz, kann sich in seiner jetzigen Gestalt auf keine vorliegende Edition oder ein durchgehendes Manuskript berufen. Er enthält eine zu Poes Lebzeiten unpublizierte Einleitung sowie elf frühe Texte des Autors, in Fassungen, die zum Teil nicht unerheblich von den überarbeiteten und heute kanonischen abweichen. Trotzdem leuchtet diese Präsentation ein. Denn Poe selbst hatte in mehreren Briefen das Projekt eines entsprechenden Romans entworfen. Und als der Vierundzwanzigjährige im Oktober 1833 für „Das Manuskript in der Flasche“ einen Literaturpreis erhielt, stellte die Jury das in den Kontext des geplanten Romans. Wenig später wurde das Buch zur Subskription angeboten und dann wieder zurückgezogen, eine bessere Gelegenheit zur Publikation winkte und zerschlug sich. Unterdessen erschienen zahlreiche Geschichten einzeln in Periodika, und als es 1839 schließlich zu dem Band „Tales of the Grotesque and Arabesque“ kam, fanden sich die Texte dort neben zahlreichen anderen ohne Rahmenhandlung wieder.

Edgar Allan Poe: „Die Erzählungen des Folio Club“.


Edgar Allan Poe: „Die Erzählungen des Folio Club“.
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Bild: Manesse Verlag

Tatsächlich war in den Arbeiten, die der Herausgeber als Beiträge für das „Folio Club“-Projekt einstuft, schon viel von dem enthalten, das man auch mit dem späteren Werk Poes verbindet, allen voran die Obsession für einen Schwebezustand zwischen Leben und Tod. Da ist „Der Geisterseher“ mit dem gemeinsamen Selbstmord eines räumlich getrennten Liebespaares samt Orpheus-Anspielung, „Ein geplatzter Handel“ zwischen einem Metaphysiker und dem Teufel, in dem sich die interessante Vision eines physischen Weiterlebens ohne Seele findet, „Ein entschiedener Verlust“ über das Weiterleben eines Scheintoten, der die eigene Obduktion erlebt, oder „Der Herzog von Omelette“, der in der Hölle mit dem Teufel Karten spielt und schummelt, um wieder ins Leben zurückzukehren. Und natürlich das prächtige „Metzengerstein“ mit einem Pferdegespenst, das auf verblüffende Weise Elemente von Theodor Storms „Schimmelreiter“ vorwegnimmt. Raffiniert ist die Komposition von „Berühmt“, dem Schlussstück, das eine Abendgesellschaft schildert, die den Rahmen des „Folio Club“ spiegelt.

Der plötzliche Sinneswandel des Erzählers

Bei aller Neigung zur Groteske ist die satirische und parodistische Absicht des jungen Autors unübersehbar. Eine wichtige Referenz hierfür ist das „Blackwood’s Magazine“, gegründet 1817 in Edinburgh, das immerhin bis 1980 durchhielt und in dieser Zeit Beiträge von Autoren wie Shelley, Coleridge oder George Eliot veröffentlichte – auch Joseph Conrads „Herz der Finsternis“ etwa wurde 1899 im „Blackwood’s Magazine“ abgedruckt. Poe widmete diesem Periodikum und seiner Ästethik 1838 einen satirischen Aufsatz. Aber schon im Zusammenhang des „Folio Club“-Fragments erhält ein Teilnehmer, der „Ein entschiedener Verlust“ erzählt, als überdeutliche Anspielung den Namen „Mr. Blackwood Blackwood“.

Und was hat es nun mit dem Sinneswandel des Erzählers auf sich, was mit dem plötzlichen Hass auf die Mitglieder der literarischen Gesellschaft? Auch das lässt sich nur erschließen. In einem Brief vom 2. September 1836 an den Autor und Herausgeber Harrison Hall (1785 bis 1866) legt ihm Poe noch einmal das ganze Projekt der „Folio Club“-Erzählungen ans Herz. Die Zahl der Teilnehmer an der Abendgesellschaft ist inzwischen auf siebzehn angewachsen, entsprechend der gewachsenen Anzahl seiner eigenen Texte, die er nun in diesen Rahmen stellen will. Besonderen Wert legt er dabei auf Zwischenkapitel, in denen die Texte von den Anwesenden besprochen, also spontan kritisiert werden, was etwa ein Viertel des auch 300 Seiten veranschlagten Bandes einnehmen solle. Dass von diesem Teil so gar nichts auf uns gekommen ist, kann man nur bedauern, vor allem, weil Poe daran erklärtermaßen Mechanismen der Literaturkritik zeigen und zugleich infrage stellen wollte.

Immerhin lässt sich so der entstandene Hass des Erzählers auf die Clubmitglieder erklären. Denn die Abstimmung über den besten und den schlechtesten Text ging offenbar zuungunsten des Erzählers aus, der dann – so Poes Plan – die Manuskripte dieses Abends an sich raffen und veröffentlichen sollte, in jenem 300-Seiten-Band. Seine Begründung hört man bisweilen auch heute: Der von der Literaturkritik so hart angefasste Autor wollte die Entscheidung über den Wert seiner Dichtung an das Publikum übertragen – in der Hoffnung auf einen anderen ­Ausgang.

Edgar Allan Poe: „Die Erzählungen des Folio Club“. Hrsg. und aus dem Englischen von Rainer Bunz. Manesse Verlag, München 2021. 320 S., geb., 25,– €.

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