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#Wer nie sein Brot mit Salz aß

Wer nie sein Brot mit Salz aß

Tu proverai sì come sa di sale
lo pane altrui, e come è duro calle
lo scendere e ’l salir per l’altrui scale.

So salzig schmeckt und welch ein harter Pfad ist
Die fremden Treppen auf- und abzusteigen.

(Paradiso XVII, 58–60)

Der im Exil in Deutschland lebende Schriftsteller Dogan Akhanli hat einmal erzählt, wie er eine Zeitlang immer sonntags mit einem Freund einen bestimmten türkischen Käse aß, der für den Verzehr in Butter und Wasser aufgelöst wird. Der Duft und köstliche Geschmack des Şor-Käses linderte das Heimweh der beiden Männer nach der Türkei, das selbst nach vielen Jahren nicht geringer wurde, obwohl sie dort Verfolgung und Diktatur ausgesetzt gewesen waren. Ihre Familien hatten sie in der Heimat zurücklassen müssen. Rezepte und Erinnerungen gehören hingegen zu dem, was ein Vertriebener am einfachsten in die Fremde mitnehmen kann.

Wahrscheinlich hatte Akhanli den Käse in einem türkischen Lebensmittelladen irgendwo im Ruhrgebiet gekauft. Migranten aus Asien und Afrika folgten dem Geschäftsmodell der ehemaligen Gastarbeiter und deren Kinder, sodass man in deutschen Einkaufsstraßen mittlerweile in Düfte und Aromen aus aller Welt eintauchen kann. Für die meisten Kunden dieser Läden ist Deutschland ein Zufluchtsort. Sie kaufen Zutaten für Gerichte, die Träger von Erinnerungen an Orte, Stimmungen und Menschen eines früheren Lebens sind. Die Exilforschung hat den Verzehr solcher Speisen als ein stabilisierendes Moment beschrieben: Man manifestiere damit die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe – geographisch, sozial, religiös und familiär.

Ob auch Dante Alighieri solche kulinarischen Wohlfühl-Augenblicke zuteil wurden? Man kann das nur hoffen. Sicher ist, dass auch er im Exil Sehnsucht nach dem Geschmack seiner Heimat hatte, nach den Speisen der toskanischen Küche. Er verrät das im Paradies, im siebzehnten Gesang, mit den Worten seines Ururgroßvaters Cacciaguida, der dem Dichter dessen Verbannung aus Florenz prophezeit: „Dann wirst du fühlen, wie das fremde Brot / So salzig schmeckt und welch ein harter Pfad ist / Die fremden Treppen auf- und abzusteigen.“ Mit Salz ist an dieser Stelle nicht etwa das Salz poetischer Heimwehtränen gemeint, sondern Kochsalz.

Zu Hause in der Toskana hatte Dante nämlich nur salzloses Brot gegessen, das sogenannte pane sciocco. Man vermutet, dass es im zwölften Jahrhundert Einzug in die Florentiner Backstuben hielt. Wie es dazu kam, ist schnell erzählt: Zwischen Pisa und Florenz tobte damals ein Krieg, und Pisa, das die Häfen kontrollierte, ließ die Florentiner teuer für die angelandeten Salzmengen bezahlen. Florenz beschloss deshalb, auf Salz zu verzichten, und begann mit der Herstellung von ungesalzenem Brot, das seitdem nicht mehr von den Tischen der Region wegzudenken ist. Zum Frühstück tunkt man dort das pane sciocco in seinen Kaffee und stillt den ersten Hunger vor dem Mittagessen mit einer Bruschetta, einer lauwarmen gerösteten, mit Olivenöl beträufelten Brotscheibe, die mit einem Aufstrich aus Tomate, Leber oder Olivenpaste serviert wird. Das pane sciocco hat eigentlich keinen Geschmack und ist deshalb hervorragend dafür geeignet, den für die Toskana berühmten Ziegenkäse sowie würzige Salami zur Geltung zu bringen. In der Romagna hingegen, wo Dante den Großteil seines Exils verbrachte, lag das Salz gewissermaßen auf der Straße, da es dort große Salinen gibt. Das Brot, das man damit in Ravenna buk, wäre jedem Toskaner salzig vorgekommen – nicht nur einem traurigen Dichter.

Speisen halten Leib und Seele zusammen, sagte man früher, auf Neudeutsch wird das Phänomen unter dem Begriff Soulfood zusammengefasst. Läden mit Soulfood für Migranten gab es damals noch nicht, und Rezeptbücher kamen gerade erst auf. Dante musste seine kulinarische Sehnsucht also anderweitig verarbeiten. Manche vermuten, er habe dies vor allem literarisch getan. Tatsächlich enthält die Göttliche Komödie viele, allerdings vor allem indirekte Hinweise auf Essen. Dass Dante sich irgendwann mit dem salzigen Brot der Romagna anfreundete, erscheint wenig wahrscheinlich. Die Exilforschung ist überzeugt, das Annehmen von kulinarischen Traditionen des Zufluchtsortes helfe bei der kulturellen Integration. Dante Alighieri machte jedoch bis zu seinem Lebensende keinen Hehl daraus, mit Ravenna niemals richtig warm geworden zu sein.

Alle bisherigen Folgen unserer Serie und einen Link zu Übersetzungen finden Sie unter www.faz.net/dante.

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