Nachrichten

#Werden und Gehen

Werden und Gehen

Eine Tänzerin liegt in blassem Lichtschein vor einer großen, weißen Fläche. Auf ihrem Körper erscheinen Muster, die an Staubpartikel erinnern. Sie beginnen zu tanzen, während sie langsam aus der Regungslosigkeit erwacht. Die projizierten Staubpartikel folgen ihren langsamen Bewegungen und werden dadurch auch auf die weiße Leinwand im Hintergrund geworfen. Während sich das alles nach und nach entfaltet, verwandeln sich die projizierten Partikel und erinnern schließlich an Fäden, die den Körper eingesponnen haben, ihn aber nicht festhalten, sondern elastisch der Bewegung folgen.

Gleich zu Beginn etabliert Tim Plegges neues Ballett „Memento“ Motive, die sich durch das ganze Stück ziehen. Von Abschied und Erinnerung, Vergänglichkeit und Neuanfang handelt die Arbeit, die nach langer Entwicklungszeit nun am Staatstheater Darmstadt uraufgeführt wurde. Es ist die erste Premiere in Plegges neuer Rolle als Hauschoreograph des Hessischen Staatsballetts. Coronabedingt musste die Premiere immer wieder verschoben werden, es änderte sich im Laufe der Zeit aber auch die künstlerische Ausrichtung des Projekts.

Ursprünglich hatte Plegge eine Symphonie des tschechischen Komponisten Josef Suk auf die Bühne bringen wollen, aber die erforderliche Orchesterbesetzung war mit den Corona-Bestimmungen nicht zu vereinbaren. Während des Lockdowns im November 2020 entstand dafür ganz anderes Material. Plegge schrieb Texte, es wurde über Videokonferenzen an Soli und Duetten gearbeitet, Peer Bailerlein und Roald Baudoux entwickelten Soundflächen. Die Musikauswahl für das Orchester fiel schließlich auf Max Richters Version von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, ganz im Sinne der thematischen Ausrichtung auf das Zyklische von Werden und Vergehen. So ist über einen längeren Zeitraum als üblich einiges an Material entstanden.

Plegge, der für seine modernen Handlungsballette bekannt ist, verzichtet auf die große Erzählung und hat stattdessen die kleinen Geschichten und das entstandene Material choreographisch zusammengesetzt. Ein Gefäß für das alles bietet Andreas Auerbachs imposante Bühne aus durchsichtigen Stoffwänden, die ganz unterschiedliche Räume bilden können. Tanja Rühl haucht der Konstruktion mit ihrer klaren, reduzierten und dennoch stimmungsvollen Lichtgestaltung weiteres Leben ein. Auch die Projektionen (Frieder Weiss, Matthias Härting), die wie in der Anfangsszene auf die Bewegungen der Tänzer reagieren, tragen dazu bei. Dass die eindrucksvollen Videoeffekte dennoch sparsam eingesetzt werden, ist begrüßenswert, denn die Bühnenmaschinerie tendiert in „Memento“ auch so schon dazu, genug Eindruck zu schinden.

Begegnung und Trennung, Nähe und Distanz

Schließlich ist da auch noch der Tanz. Eine alles zusammenhaltende Erzählung gibt es nicht, und dennoch erzählen die Duette und Gruppenszenen für sich genommen etwas. Nur Rollen sind dafür nicht erforderlich. Es sind einfach „Paare“, die sich begegnen, Körper, die in unterschiedlichen Konstellationen aufeinandertreffen und auseinandergehen: Begegnung und Trennung, Nähe und Distanz, Herbeisehnen und Loslassen.

Gelenkt werden diese Lesarten hin und wieder von eingespielten Textfragmenten. Eine Stimme aus einer anderen Zeit oder einem jenseitigen Raum bringt Erinnerungen an eine einstmals vertraute Person ins Spiel. Dann gibt es noch die „Partikel“, ganz in Schwarz gehüllte Gestalten, die sich einerseits mit dem Reich der Toten assoziieren lassen, andererseits aber auch mit lebendiger Materie, besonders wenn sie etwas oder jemanden in Bewegung versetzen.

Das Fehlen einer übergeordneten Handlung vermag es, wie von Plegge intendiert, größere Assoziationsräume zu öffnen. Allzu weit entfernt er sich aber nicht von vertrautem Terrain. Seinem zeitgenössischen Ballettvokabular bleibt er ebenso treu wie seiner Zuneigung zum Märchenhaften. Und mit der Rolle „Klärchen“ (Ludmila Komkova) hält er schließlich doch an einer Protagonistin fest, zumindest als konzeptuelle Konstante. Für nennenswerte Irritationen dürfte Plegges Abschied von der Form des Handlungsballetts daher kaum sorgen. Vielmehr ist „Memento“ ein ausgesprochen gut gebautes, abwechslungsreiches Ballett und auf dem besten Weg, zum Erfolgsstück zu werden. Der Jubel des Publikums nach der Uraufführung ist ein erstes Anzeichen. Das könnte eine gute Rückendeckung sein, um sich in Zukunft noch einen Schritt weiter vorzuwagen: Hinein in weniger vertrautes Gebiet.

Die nächste Aufführung von “Memento“ findet am 22. Oktober um 19.30 Uhr statt.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!