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#Werke von Djordjević, Borboudakis und Gubaidulina bei der Musica viva München

Sorgsam dekantierter Krach, saftiger Schaum und zum Wimmern erstorbener Schrei: Die Musica viva München präsentiert Werke von Milica Djordjević, Minas Borboudakis und Sofia Gubaidulina.

Das Niedliche ist tückische List. Wir kennen das von den blickerotischen Pinguinen im Trickfilm „Madagascar“, die im Zoo immer noch so nett gewinkt haben („Lächeln, Kowalski, lächeln!“), dann aber, dem urbanen Reservat entkommen, ein Forschungsschiff in der Antarktis überfallen, die Besatzung ermorden und deren Leber fressen. Und so darf man dem Stücktitel „Kleines Glühwürmchen, grell beleuchtet und erschrocken von unerträglicher Schönheit“ der Komponistin Milica Djordjević nicht so schnell auf den Leim gehen. Auf „grell beleuchtet und erschrocken“ sowie „unerträglich“ kommt es an. Die Adjektive sind die Hauptsache, die Substantive nebensächlich.

Ihr fünfminütiges Orchesterstück, 2023 durch die Berliner Philharmoniker uraufgeführt, jetzt bei der Musica Viva in München mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem äußerst elegant dirigierenden Duncan Ward zu hören, ist kein Oberonstraum mit sausendem Puck. Es beginnt mit dem Klang von Blutrauschen in den eigenen Ohren, wie man es im schalltoten Raum hören kann, dann folgt der filzgedämpfte Herzschlag der Großen Trommel. Der Puls ist hoch. In das gesamtorchestrale Rauschen von hoher Fließgeschwindigkeit mischen sich septimengesättigte Bedrohungsakkorde des Blechs, die von einer ausrangierten Bruckner-Symphonie übrig geblieben sein müssen. Bald glühen sie auf mit der spektralen Physiognomie der Schwerindustrie. Das Glühwürmchen ist ein Hochofen. Man starrt es mit weitaufgerissenen Ohren an.

Djordjević liebt – und beherrscht – die kurzen, pointierten Gewalterzählungen, die einen reißenden Strom entfesseln und in den großen Knall münden. „Čvor“ (Knoten) für Bläser, Klavier und Schlagzeug ist ebenfalls so ein Stück: gleichsam die Sonographie eines Vulkanausbruchs, der sechsminütige Ausnahmezustand des Versuchs, einem Lavastrom zu entkommen. Doch man hört in München auch, dass das alles andere als grobschlächtig komponiert ist. Stille Kon­trastfelder zum Lärm erweisen sich als raffinierte Buketts aus Nachhall: das Leise als dekantierter Krach.

Lawrence Power an der Viola, Duncan Ward dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.


Lawrence Power an der Viola, Duncan Ward dirigiert das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks.
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Bild: Astrid Ackermann

Auch Minas Borboudakis, dessen knapp halbstündiges Stück „Sparks, Waves And Horizons“ in München uraufgeführt wurde, versteht sich auf Kontraste, wenngleich er nicht mit der unerbittlichen Stringenz erzählt wie Djordjević. Vielleicht geht es ihm auch gar nicht ums Erzählen. Seine „Funken, Wellen und Horizonte“ beschäftigen sich eher mit der Ausbreitung bestimmter Impulsmuster im Raum. Virtuose, quecksilbrige Turbulenzen, quasi Funken, kontrastieren bei ihm mit Obertonharmonien über Bordunen, die sich dann pulsierend im Raum ausbreiten wie Wellen um einen ins Wasser geworfenen Stein. Eine Dramaturgie der Erschöpfung löst die Obertonspektren auf ins Geräusch, bis es zu einem neuen Vitalitätsschub kommt, der sehr viel mehr Luft und Geräusch in den Körper des Tons integriert. Musik saftvoller Sinnlichkeit, fernab der kommentarbedürftigen Dürre von Konzeptkunst.

Das Bratschenkonzert von Sofia Gubaidulina spricht ohnehin direkt und durch sich selbst zum Hörer. Der Solist Lawrence Power verschmäht alles Vage und Lasche, sein Strich ist entschieden. Gubaidulina hat hier 1996 ein Konzert gegen die Charakterklischees der Bratsche geschrieben: Man hört keinen balsamischen Gesang einer barmherzigen Mutter, allenfalls kehlige Klagen mit glutheißer Stimme, die sich zu psychedelischen Teufeleien mit Aufjaulen am Steg, dem Klang einer verzerrten E-Gitarre ähnlich, steigern können. Am Schluss steht ein zum Wimmern erstorbener Schrei vor verkohlter Landschaft.

Der starke Eindruck, den der Solist hinterlässt, verdankt sich zu einem Gutteil der Leistung des Orchesters: Duncan Ward versteht sich nicht nur auf die kinetischen Schübe bei Djordjević und Borboudakis. Er vermochte schon ganz am Anfang, bei „Central Park In The Dark“ von Charles Ives, den vibratoarmen Klang der Streicher als eine Art von potentieller Energie zu begreifen, die „es“ buchstäblich „in sich“ hat. Doch am Ende, in Gubaidulinas Bratschenkonzert, beeindrucken vor allem die gestische Präzision und Plastizität, mit denen Ward den Orchesterrefrain als stockend-stammelnden Chorreigen modelliert. Immer wieder durchsetzt von den vier fallenden Tönen (e)S-D-C-H, eigentlich die Initialen von Dmitri Schostakowitsch, hier aber zu einer Intervallfolge vertauscht, wie sie schon Ravel in seiner „Rapsodie espagnole“ als halb sephardische, halb maurische Signatur benutzte, entsteht durch Wards Formung der Eindruck eines beklommenen, schockzerschossenen Gebets.

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