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#Viele große Werke kommen nicht aus Demokratien

„Viele große Werke kommen nicht aus Demokratien“

Die Veranstaltung lief schon eine Dreiviertelstunde, als Durs Grünbein eine der entscheidenden Fragen stellte: „Gibt es eigentlich noch eine stille Exklusion der Ostkunst?“ Mit diesem Vorwurf hatte vor fünf Jahren das begonnen, was als „Dresdner Bilderstreit“ in die Geschichte einging: Der Vorwurf, die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden versteckten all ihre in der DDR entstandenen Exponate verschämt im Depot, wirkte seinerzeit wie Öl im Feuer. Im nach Pegida ohnehin debattengetränkten Dresden flammte damals auch noch die überfällige Diskussion über den Stellenwert der und des Ostdeutschen im wiedervereinigten Deutschland auf, womit der Bilderstreit eine Art Stellvertreterdiskussion für tatsächliche und vermeintliche Verletzungen durch die Wiedervereinigung wurde.

Stefan Locke

Korrespondent für Sachsen und Thüringen mit Sitz in Dresden.

Der Stand der Dinge sollte dann vor zwei Jahren zum dreißigsten Einheitsjubiläum begutachtet werden, allerdings senkte Corona den öffentlichen Austausch auf null. Am Freitagabend nun versuchten sich die aus Göttingen stammende Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, und der in Dresden geborene Schriftsteller Durs Grünbein an einem Resümee. Das ging nicht, ohne noch einmal die gröbsten Bosheiten im Umgang mit Kunst aus der DDR zu zitieren, von der Weimarer Ausstellung 1999, als ostdeutsche Werke wie „Entartete Kunst“ auf Mülltüten präsentiert worden waren, bis hin zu Kunstausstellungen zu sechzig und siebzig Jahren Bundesrepublik, in denen ostdeutsche Protagonisten schlichtweg nicht vorkamen.

Der Dichter Durs Grünbein bemängelte, dass es in der Debatte immer nur um DDR-Staatskunst gehen. Dabei sei die Szene geraden in den letzten zehn Jahren der DDR vielfältig gewesen.


Der Dichter Durs Grünbein bemängelte, dass es in der Debatte immer nur um DDR-Staatskunst gehen. Dabei sei die Szene geraden in den letzten zehn Jahren der DDR vielfältig gewesen.
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Bild: Steffen Füssel, Steffen Fuessel

Das Problem dabei sei, dass es in der öffentlichen Debatte immer nur um Staatskunst gehe, sagte Grünbein. Dabei sei die Kulturlandschaft der DDR vielfältiger gewesen. „Insbesondere in den letzten zehn Jahren gab es auch ganz andere Kunst, die von Aufbruch zeugte, was etwas ganz Neues, natürlich nicht Offizielles war, aber das spielte in den Debatten nie eine Rolle.“ Ackermann, die bereits öffentlich eingestanden hatte, „vieles nicht gewusst“ zu haben, bevor sie 2016 nach Dresden kam, verwies auf die Hybris, mit der lange diskutiert worden sei, dass etwa „richtige“ Kunst nur in Freiheit und Demokratie entstehen könne: „Neunzig Prozent der Kunst, die wir bewahren, sind in nichtdemokratischen Systemen entstanden“, was wohl für die meisten deutschen Museen gelten dürfte. „Man braucht kein demokratisches System, damit große Kunst entsteht.“

Stolz auf die Kunst, nicht die Umstände

Das freilich heißt nicht, auch noch auf die Umstände stolz zu sein, sondern vielmehr auf die Kunst, die unter diesen Umständen entstand, was wiederum im Osten bisweilen verwechselt wurde. Kunst aus der DDR unvoreingenommen zu betrachten ist hingegen ein Fortschritt, der aus dem Bilderstreit entstand. Nicht nur sind in Dresden manche der schmerzlich vermissten Werke wieder öffentlich zu sehen, auch Sonderausstellungen wie jüngst über „Deutsches Design – zwei Länder, eine Geschichte“ waren auf Augenhöhe kuratiert.

Marion Ackermann, seit 2016 Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, gab zu, vor ihrem Wechsel nach Dresden viele Dinge über DDR-Kunst nicht gewusst zu haben.


Marion Ackermann, seit 2016 Direktorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, gab zu, vor ihrem Wechsel nach Dresden viele Dinge über DDR-Kunst nicht gewusst zu haben.
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Bild: Steffen Füssel, Steffen Fuessel

Warum es bis zu diesem Wandel dreißig Jahre dauerte, wurde im Publikumsgespräch abermals deutlich. In DDR-Kunsthochschulen sei immer auch nach Westen geblickt worden, erzählten Künstler aus dem Osten, während Künstler aus dem Westen bestätigten, dass das umgekehrt kaum der Fall gewesen sei. Nach dem Mauerfall steigerte sich die Ignoranz bis ins Abfällige: Galeristen, die in den Neunzigerjahren ostdeutsche Künstler vertraten, wurde auf der Art Cologne und der Art Basel angedroht, ihren Stand zu verlieren, sollten sie weiter mit Werken aus dem Osten auftauchen.

Was die von Grünbein anfangs gestellte Frage nach der Exklusion von Ostkunst im Deutschland von heute anbelangt, ist der Befund auch im zweiunddreißigsten Jahr nach der Einheit durchwachsen. In der Musik etwa sei „die Exklusion nach wie vor absolut“, sagte der Dresdner Dirigent und Komponist Ekkehard Klemm. Er erlebe „mit großer Befremdung“, wie wenig im Osten entstandene Werke im Westen wahrgenommen würden. Zugleich erzählte er unter Beifall, wie er früher in DDR-Kunstausstellungen gegangen sei, um Künstler zu suchen, die widerständig waren, und welche „diebische Freude“ es gewesen sei, diese zu entdecken. Dem pflichtete Grünbein bei, gab allerdings zu bedenken, dass es damals eben auch eine Exklusion gab, nämlich politisch partout nicht gewollter Künstler. Ein Satz, der deutlich machte, wie dringend es neben dem Gespräch zwischen Ost und West vor allem auch einer Verständigung der Ostdeutschen untereinander bedarf.

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