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#Ein Mann geht unter wie die Sonne

„Ein Mann geht unter wie die Sonne“

Tim Roth ist einer von diesen Schauspielern, die gefühlt schon ewig da sind, sich wenig verändern, nicht zu den Hauptrollen drängeln und doch immer Eindruck hinterlassen. Nun kann man ihn in einer echten Glanzrolle sehen, und es ist eine, die alles bestätigt, was wir über seinen Typ zu wissen glauben.

Er spielt Neal Bennett, einen Briten auf Ferien in Acapulco. Das erste Bild zeigt ihn bei der Kontemplation: Er starrt auf Fische, die in der Sonne sterben. Es ist das erste Vanitas-Motiv in „Sundown“ von dem mexikanischen Regisseur Michel Franco. Das zweite ist eine gelbe Luftmatratze, mit der Neal im Wasser herumtreibt, als wären alle Spuren von Kraft und Willen aus seinem Körper gewichen oder überhaupt jeglicher Antrieb, der über das bloße (noch) Nichtversinkenwollen hinausgeht.

Neal ist in Begleitung einer schönen Frau namens Alice (Charlotte Gainsbourg) und zweier halb erwachsener Kinder. Die Tage vergehen am Infinity Pool und mit anderem Müßiggang, das Personal im teuren Hotel hat jederzeit eine Margarita bereit; Alice versucht ab und zu, ihr Telefon für Arbeit zu missbrauchen, wird aber zur Ordnung gerufen. Diese Ordnung heißt Luxusurlaub, bis aus der Heimat eine Nachricht kommt: Die Mutter ist krank, eine frühzeitige Abreise unumgänglich. Nicht für Neal. Er bleibt mit einer jämmerlichen Ausrede in Mexiko, während der Rest der Familie abreist, umschwirrt von dienstfertigen Geistern, die am Flughafen direkt den Weg an den Normalsterblichen vorbei weisen. Was es mit dieser Familie auf sich hat, birgt in der Folge noch die eine oder andere Überraschung, das ist vielleicht überhaupt das Thema von „Sundown“. Bevor sich aber ganz allmählich die Verhältnisse von Neal erschließen, bleibt man am besten einfach bei Tim Roth, den man in der Folge sehr oft am Strand sieht, nicht bei den Bikinischönheiten oder bei den Felsenspringern von Acapulco, sondern dort, wo die einfachen Leute baden, am Caletilla-Strand. Er lungert auf einem der üblichen Plastikstühle, zieht sich ein Bier nach dem anderen hinter die Brust und hat auch bald eine einheimische Geliebte, mit der er in einem billigen Hotelzimmer mittelträgen Sex hat.

Berenice macht ihn mit den lokalen Gegebenheiten vertraut, sie hält ihm die Geschäftemacher und Betrüger vom Leib. Dass irgendwann aus heiterem Himmel ein Killer wenige Plastikstühle weiter einen Auftrag versieht, lässt sich nicht verhindern, kann man aber mit einem weiteren Bier ganz gut wegstecken. Das neue Leben jenseits des Luxus könnte ewig so weitergehen, und so stellt Neal es sich vielleicht auch vor, wenn man eine Ahnung davon bekäme, was in ihm vorgeht. Vielleicht einfach nichts. Er lässt die Nachrichtentöne auf seinem Telefon, die sich zunehmend häufen, einfach auflaufen, London ist weit weg, das Begräbnis der Mutter scheint ihn nicht im Geringsten zu inter­essieren. Neal hat Züge eines neuen Bartleby, der aber immerhin von seinem „ich möchte lieber nicht (mehr)“ ein, zwei Leidenschaften ausnimmt.

Acapulco von hinten und unten

Michel Franco entwickelt „Sundown“ aber dann doch mit einigen coolen Ideen in Richtung eines angedeuteten Thrillers. Dabei geht es auch um Themen wie „erste und nicht erste Welt“, Acapulco wird zu einer Begegnungszone des globalen Nordens mit dem globalen Süden. Einer der tollen Aspekte von „Sundown“ ist ohnehin, wie dieser einst glamouröse Ort (auch ein Lieblingsschauplatz, in dem das Kino gern Yachten anlegen ließ) hier quasi von hinten oder von unten zu sehen ist.

Die Beschaffenheit des Reichtums, der sich in Mexiko in den teuren Resorts bedienen lässt, wird schließlich am Beispiel der Bennetts zu einer Chiffre für eine Weltgesellschaft, in der London und Acapulco gerade einmal so weit auseinanderliegen, wie ein heutiger Privatjet diese Distanz überwinden kann.

Neal ist ein Erbe, und seine latente Verwilderung in Mexiko enthält auch ein Stück Protest gegen Privilegien, für die er nie etwas tun musste. Das ist aber schon wieder eine Interpretation, die Franco zwar durchaus suggeriert, auf die er es aber nicht anlegt. „Sundown“ hat Aspekte eines klassischen B-Films, in dem immer nur das Allernötigste erzählt und gezeigt wird, in dem Plot-Punkte keine Verschränkungen von Ursachen sind, sondern genau das, was sie in herkömmlichen Dramaturgien sein sollen: Wendepunkte, manchmal auch plötzliche.

Der Rhythmus von „Sundown“ hat etwas von der Lakonie einer moralischen Fabel, die auf das Allernötigste reduziert ist. Den stärksten Moment von Zweideutigkeit erreicht Franco gegen Ende, wenn er an einen Punkt kommt, an dem ein dramatisches Ereignis (eine Diagnose) mit dem latenten Problem (Neals Rolle in seiner Familie, in der wirtschaftlichen Ordnung, in der Welt) so zusammenfällt, dass nicht mehr zu entscheiden ist, was Symptom wovon ist. Das ist ein brillantes Ergebnis für einen auf gute Weise skizzenhaften Film, von dem man zuletzt hinter allem Erzählbaren eine Art Stasis in Erinnerung behalten könnte, nämlich Tim Roth ewig dabei zuzuschauen, wie er einen Widerwillen gegen Ereignisse so spielt, dass daraus ein ganz eigenes Ereignis wird.

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