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#Wie der Libanon seinen Erfolg verspielte

Wie der Libanon seinen Erfolg verspielte

Im Libanon werden fortlaufend neue Höchstwerte von Corona-Infektionen und Toten gemeldet, in den Krankenhäusern mangelt es an Geld und Medikamenten, Personal und Intensivbetten. In manchen Kliniken müssen schwere Fälle schon abgewiesen oder auf dem Parkplatz behandelt werden – und Dr. Firass Abiad sagt: „Die schlechten Tage stehen uns noch bevor.“ Abiad ist keiner, der zu Panikmache neigt. Der Chef des staatlichen Rafik-Hariri-Krankenhauses in Beirut, der zentralen Einrichtung im Kampf gegen das Coronavirus, ist seit Beginn der Pandemie ein zuverlässiger Kompass für den Kurs, den der Libanon steuert.

Christoph Ehrhardt

Dieser Tage wirkt Abiad getrieben. Die Welle der Patienten, die sich über die Feiertage und Neujahr angesteckt haben, rollt erst jetzt an. Um das Schlimmste zu verhindern, hat die Regierung einen drastischen Lockdown verhängt: Es herrscht eine ganztägige Ausgangssperre, sogar Supermärkte sind geschlossen, dürfen nur noch liefern. Das war früh durchgesickert, und so herrschte Chaos in den Filialen der großen Ketten, wo sich Panikkäufer in den langen Schlangen vor den Kassen und überfüllten Gängen in Massen angesteckt haben dürften.

Die neue Härte der Regierung, die wenig Rücksicht auf jene Libanesen nimmt, die angesichts des Zusammenbruchs der Wirtschaft täglich von der Hand in den Mund leben, mutet eher wie Verzweiflung denn wie Entschiedenheit an. Sie steht auch in krassem Gegensatz zur Nonchalance, mit der sie zuletzt agierte. Über die Feiertage strömten Heerscharen von Auslandslibanesen in ihre Heimat, die Taschen voller Devisen, die der Libanon so dringend braucht, zermürbt von den Ausgangsbeschränkungen und dem Winterwetter in ihren westlichen Heimatländern. In Beirut herrschten frühlingshafte Temperaturen, Bars und Restaurants waren geöffnet – und gut besucht. In den Ausgehvierteln war von der Pandemie kaum etwas zu spüren, auch nicht bei den vielen Familienessen im großen Kreis.

Misstrauen gegenüber dem Staat begünstigt Verbreitung

Inzwischen vergeht kaum ein Tag, ohne dass Angehörige von neuen Erkrankungen und Todesfällen in ihrem Umfeld erfahren. Sie hätten wirklich geglaubt, dass man sich bei Verwandten nicht anstecken kann, weil man in der Familie schließlich sicher sei, sagt eine Mitarbeiterin des Rafik-Hariri-Krankenhauses ungläubig. Die Öffnung sei eine kurzsichtige Strategie gewesen, kritisiert Firass Abiad. Er sähe gerne, dass die Verantwortlichen konsequent einen Plan verfolgen, wie mit dem Virus umzugehen sei. „Nach diesem Lockdown wird wieder alles geöffnet, und in vier Wochen werden wir den nächsten Lockdown haben.“

Dabei war der Kampf gegen das Coronavirus im Libanon anfangs eine unerwartete Erfolgsgeschichte. Trotz Krise reagierte die Regierung in Beirut schnell und entschieden. Schulen, Gaststätten und der Flughafen wurden geschlossen, das öffentliche Leben binnen weniger Wochen – und über Monate – weitgehend heruntergefahren. Man wusste schließlich, wie wenig belastbar das Gesundheitssystem ist. Fachleuten wie Abiad wurde nahezu jede Forderung erfüllt. Schreckensbilder aus Norditalien und düstere Prognosen der Wissenschaftler schürten so viel Angst in der Bevölkerung, dass sich der übliche Reflex, Regierungsvorschriften bestmöglich zu umgehen, in Grenzen hielt. Der Staatszerfall schritt zwar voran, aber die Infektionskurve blieb flach. Bis sich in der Führung der Gedanke verbreitete, man müsse diese Erfolgsgeschichte zu Geld machen.

Im Einsatz: ein Pfleger im Rafik-Hariri-Krankenhaus schiebt einen Patienten, der an Corona erkrankt ist. Der Libanon gehört mit zu den von der Pandemie am schwersten getroffenen Ländern weltweit.


Im Einsatz: ein Pfleger im Rafik-Hariri-Krankenhaus schiebt einen Patienten, der an Corona erkrankt ist. Der Libanon gehört mit zu den von der Pandemie am schwersten getroffenen Ländern weltweit.
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Bild: AFP

Der Libanon, so die Phantasie, sollte ein Ziel für coronasicheres Reisen werden. Die Wirtschaft brauchte dringend frische Dollar. „Alles begann im Juni, als der Flughafen geöffnet wurde. Sie können den Flughafen öffnen, aber die Frage ist, wie Sie es tun“, sagt Abiad. Es herrschte Chaos. Abstandhalten in den Warteschlangen war angesichts der Ungeduld vieler Ankömmlinge kaum möglich. Außerdem fiel es niemandem auf, dass das Computersystem am Flughafen, das die Daten der Passagiere erfasste, nicht mit dem Internet verbunden war. Reisende ignorierten die Quarantänevorschriften und fuhren etwa direkt zu Hochzeitsfeiern. Angst und Vorsicht wichen, wie anderswo, dem Überdruss.

Der mangelnde Zusammenhalt in der entlang konfessioneller Linien gespaltenen Gesellschaft und das Misstrauen gegenüber dem dysfunktionalen Staat begünstigten die Verbreitung des Coronavirus weiter. Abiad hat schon zu viele libanesische Krisen überstanden, um jetzt die Hoffnung aufzugeben. Doch eine Sache treibt ihn um: „Wir scheinen nicht dazuzulernen. Wir machen immer wieder die gleichen Fehler.“

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