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#Wie eine Erfindung Europa auf den Kopf stellte

„Wie eine Erfindung Europa auf den Kopf stellte“

Die Revolution in Kontinentaleuropa hatte in Ra­­tingen bei Düsseldorf begonnen. Binnen weniger Jahre breitete sie sich über ganz Europa aus, stellte die Wirtschaft auf den Kopf, wälzte ganze Gesellschaften um und schuf ungeheure Reichtümer. Als vor ziemlich genau 240 Jahren Graf von Spee dem Elberfelder Kaufmann Johann Gottfried Brügelmanns die alte Ratinger Mühle an der Anger verpachtete, war der Startschuss der industriellen Revolution in Deutschland gefallen.

Aus der Mühle wurde die erste Fabrik des Landes. Sie wurde Cromford genannt und steht am Anfang einer Entwicklung, die bis heute anhält. Wurden die Maschinen zunächst von riesigen Wasserrädern angetrieben, hielt man sie später durch Dampf und Strom am Laufen. Heute setzt man auf Automatisierung, Bits und Bytes, auf Arbeit ohne Arbeiter und Roboter mit Künstlicher Intelligenz. Es gibt Fabriken, die so groß sind wie eine Stadt und Fabriken, die sind so berühmt sind wie ein Popstar. Eine der bekanntesten Fabriken hat es aber vermutlich nie gegeben. Dafür wurde viel über sie rezensiert, philosophiert und gestritten.

Heute wie damals wird Garn mit der Spinnmaschine in Ratingen verzwirnt und aufgespult.


Heute wie damals wird Garn mit der Spinnmaschine in Ratingen verzwirnt und aufgespult.
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Bild: Patrick Junker

Anhand der Stecknadelfabrik hatte der Moralphilosoph Adam Smith in seinem Werk „Wohlstand der Nationen“ ein grundlegendes Konzept der Ökonomie erklärt: Die Arbeitsteilung – das Prinzip einer jeden Fabrik. Ein Arbeiter könne am Tag höchstens 20 Stecknadeln herstellen. Wird die Herstellung aber mechanisiert, neu organisiert und in einzelne Schritte aufgeteilt – „aufs Ausziehen, Be­gradigen oder Zuschneiden des Drahtes, das Schleifen der Nadelspitze, das Anfertigen des Stecknadelkopfes, das Bleichen oder das Verpacken der fertigen Nadeln“ – dann sind aufgrund der Spezialisierung an einem Tag 48 000 Nadeln möglich.

Das Herrenhaus wurde 1784 erbaut und steht neben der Fabrik. Heute ist es Teil des LVR- Industriemuseums.


Das Herrenhaus wurde 1784 erbaut und steht neben der Fabrik. Heute ist es Teil des LVR- Industriemuseums.
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Bild: Patrick Junker

Gründerzeit 2.0

Heute sieht Arbeitsteilung in den Fabriken anders aus als zu Smiths Zeiten. Noch nie waren Unternehmen so pro­duktiv, noch nie gab es so viele Fabriken in der Welt. Ihre Zahl wird derzeit auf 10 Millionen veranschlagt. Knapp 400.000 stehen in China, 300.000 in den USA, 185.000 in Japan und schätzungsweise 130.000 in Deutschland. Das Land der Dichter und Denker ist auch das Land der Industrie und Fabriken. Bis heute zieht es Unternehmen aus aller Welt an. Der amerikanische Autohersteller Tesla eröffnete bei Berlin eine Fabrik zur Fer­tigung von Elektroautos. Der US-Halb­leiterkonzern Intel will bei Magdeburg sechs Chipfabriken errichten. Bosch, In­fineon und GF bauen ihre Werke in Dresden weiter aus.

Blick auf die Kardiermaschine der Fabrik in Ratingen.


Blick auf die Kardiermaschine der Fabrik in Ratingen.
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Bild: Patrick Junker

Wie in den Gründerzeiten erlebe Deutschland derzeit einen Fabrikboom – dank der Automatisierung, hatte Cedrik Neike auf der Industriemesse in Han­nover im Frühjahr gesagt. Neike muss es wissen, ist er doch für das Industrie­geschäft des Münchner Konzerns Siemens verantwortlich. Was in den 1970er-Jahren mit Robotern in den Fabriken der Autohersteller begann, erstreckt sich nun über nahezu alle Branchen: von Pharma bis Landwirtschaft. Dafür haben die In­genieure des Softwarekonzerns SAP ei­nen sogenannten Metabot entwickelt, ei­ne Industrieplattform, auf der sich die rea­le und virtuelle Welt treffen, digitale Zwillinge entwerfen und Roboter Hand in Hand arbeiten.

Während Top-Manager an den Be­trieben der Zukunft arbeiten, pflegt Claudia Gottfried die Vergangenheit. Sie leitet jene zum Industriemuseum erho­bene Fabrik in Ratingen, mit der alles be­gann. Eine Baumwollspinnerei mit Herrenhaus, englischem Namen und Landschaftspark. Dieses Kleinod der Ge­schichte war nach britischem Vorbild und geheimen Plänen errichtet und bis 1977 be­trieben worden. Dann kam das Aus. Heute ist es ein Museum mit originalgetreuen Anlagen. Vom Schlagtisch über die Kardier- und Waterframe-Maschine bis zu der Feinharde, dem Doublier- und Streckwerk sind die alten Maschinen nachgebaut.

Die Baumwolle wird in zwei Schritten kardiert: erst grob und dann fein.


Die Baumwolle wird in zwei Schritten kardiert: erst grob und dann fein.
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Bild: Patrick Junker

So lassen sich heute wie da­mals fluffige Baumwollfasern zu reiß­festen Garnen verspinnen. Mit ein paar Handgriffen wirft Claudia Gottfried die Maschinerie an. Im untersten Stockwerk setzt sich das Wasserrad in Bewegung. Mit der Präzision eines Uhrwerks treibt es über ein kompliziertes System von Le­derriemen, Zahnrädern und Winden die bis unters Dach reichende Anlage an. Einst konnte man so Garne schneller und besser herstellen als an Tausenden Spinnrädern. Das steigerte die Produk­tivität, erhöhte den Profit und machte die Brügelmanns zu einer reichen Familie.

Spione am Werk

Die Italiener aber waren die Ersten, die den wirtschaftlichen Vorteil zentralisierter Arbeit erkannt und schon in der Re­naissance spezielle Gebäude dafür errichtet hatten. Sie teilten die Fertigung in viele kleine Einzelschritte, standardisierten die Vorprodukte und Arbeitsschritte, ließen Spinnräder und Webstühle von Wasserrädern antreiben, legten dafür Stauseen und Kanäle an, setzten auf die Massenfertigung qualitativ hochwertiger Garne und Stoffe und verschafften sich auf Europas Textilmärkten so entscheidende Vorteile.

Hundert Jahre später sollten die Fabriksysteme Venedigs und Bolognas durch englische Ingenieure ausspioniert und kopiert werden. Nach italienischen Blaupausen errichteten um 1720 die Lombe Brothers in Derby die erste Fabrik Englands. 1771 stand in Cromford die erste Baumwollspinnerei, das Vorbild Ratingens. Um 1800 wussten die Engländer, wie eine Fabrik durch völlig neuartige Spinn- und Webmaschinen am besten zu betreiben ist. Die industrielle Revolution ging in die erste Runde. Dampfmaschinen und Elektrogeneratoren ließen zwei weitere folgen. Heute dreht sich in Fabriken alles um Daten. Sie stellen die Wirtschaft vor die vierte industrielle Revolution, die Industrie 4.0

Das Konzept hoben drei Deutsche aus der Taufe: Henning Kagermann, damals Chef der Akademie der Technikwissenschaften; Wolfgang Wahlster, langjähriger Chef des Deutschen KI-Forschungszentrums; und Wolf-Dieter Lukas vom Berliner Forschungsministerium. Sie stellten 2012 ihren Plan und 2013 ihren Abschlussbericht vor. Ihre Vision. Ma­schinen sprechen mit Maschinen, Fabriken mit Fabriken; Sensoren, Computer und Datennetze machen es möglich.

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