#Wie Gletscher mit Kunstschnee gerettet werden sollen
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„Wie Gletscher mit Kunstschnee gerettet werden sollen“
Felix Keller ist sichtlich aufgeregt. Die zweistelligen Minusgrade, die in 2100 Meter Höhe an der Talstation Diavolezza im Oberengadin herrschen, scheinen ihm nichts auszumachen. Alles andere wäre freilich auch seltsam. Denn Eis ist Kellers Element: Er ist Glaziologe. Und auf diesen Moment hat der 58 Jahre alte Schweizer lange hingearbeitet – die Eröffnung einer Testanlage zur Beschneiung von Gletschern. Im Livestream, der das Ereignis dokumentiert, fällt wegen der eisigen Temperaturen immer mal wieder der Ton aus. Aber seine Botschaft bringt Keller trotzdem rüber: Die patentierte Technologie soll die Gletscherschmelze bremsen.
Die Klimaerwärmung setzt den Gletschern auf der ganzen Welt schwer zu. Der sich beschleunigende Eisschwund trägt zur Erhöhung des Meeresspiegels bei und gefährdet die Süßwasserversorgung von Millionen Menschen. Vereinzelte Versuche, Gletscherflächen mit einem Polyesterflies abzudecken, brachten durchaus Erfolge – allerdings lässt sich ein solches Tuch allenfalls auf kleinen Flächen ausbreiten. Für einen großen Gletscher wie den Morteratsch, der nahe der Talstation Diavolezza liegt, braucht es eine ganz andere Lösung.
Gemeinsam mit dem niederländischen Glaziologen Johannes Oerlemans, der 1995 in Diensten der Universität Utrecht eine Wetterstation auf dem Morteratsch aufgebaut hat und bestens mit dem Terrain vertraut ist, entwickelte Keller die Idee, Gletscher künstlich zu beschneien. „Schnee reflektiert die einfallende Sonnenstrahlung und isoliert vor warmen Sommertemperaturen“ sagt Keller. „Darunter schmilzt kein Milligramm Eis.“
Der Glaziologe Dr. Fritz Keller.
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Bild: Mayk Wendt
Ein gigantisches Unterfangen
Nur: Wie kriegt man den Schnee auf den Gletscher? Normale Schneekanonen, wie sie in Skigebieten stehen, lassen sich nicht installieren, weil sich die Eismassen ja ständig bewegen. Daher wollen die Forscher dort, wo es topographisch möglich ist, bis zu ein Kilometer lange Drahtseile über die Gletscher spannen, an denen Leitungen mit bis zu 150 Düsen hängen, die Schnee sprühen. Mindestens sechs Seilanlagen dieser Art wären nötig, um einen Quadratkilometer Gletscherfläche das ganze Jahr über mit Schnee bedeckt zu halten.
Dazu müssten täglich 30.000 Tonnen Kunstschnee herunterrieseln. Allerdings gibt es im Sommer immer wieder Tage, an denen es zu warm ist für die Schneeproduktion. Daher braucht es einen Puffer. Die ideale Schneehöhe, die man in kälteren Betriebszeiten vorsichtshalber anhäufen sollte, so schätzt Johannes Oerlemans, beträgt rund 20 Meter.
Woher soll das Wasser für diese gewaltigen Mengen kommen? Auch auf diese Frage haben die Glaziologen eine Antwort: Sie wollen das Schmelzwasser nutzen, das der Gletscher im Sommer abgibt. Dazu soll auf vorhandene Gletscherseen zurückgegriffen werden, deren Fassungsvermögen notfalls mit einfachen Staumauern vergrößert werden könnte. „Das ist ein Eingriff in die Natur, das können wir nicht schönreden“, gibt Keller zu. Aber er wäre aus seiner Sicht gerechtfertigt, um die Gletscher zu schützen.
Die Testphase läuft
Noch allerdings ist es längst nicht so weit. Vor der Talstation Diavolezza hat Keller zu Testzwecken lediglich eine kleine Seilanlage mit fünf Sprühdüsen installiert. Man müsse jetzt schauen, wie gut diese funktionierten, ob der erzeugte Schnee brauchbar sei und wie sich die Mechanik bei tiefen Temperaturen verhalte. „Das Wasser darf in den Leitungen nicht gefrieren.“ Dazu müsse das Wasser bis zum Ausstoß immer in Bewegung bleiben. Im Störungsfall sei das System darauf programmiert, die Rohre blitzschnell zu entleeren.
Bild: F.A.Z.
Falls die Tests erfolgreich sind, hoffen die Forscher, im nächsten Winter eine deutlich größere Pilotanlage mit einem 600 Meter langen Seil oberhalb einer Skipiste auf dem Piz Corvatsch installieren zu können. Dann könne man auch sehen, ob die Beschneiungstechnik auch für Wintersportzwecke geeignet sei. Noch fehlt allerdings die Finanzierung für das knapp drei Millionen Franken teure Projekt.
Einen Gletscher so weitreichend zu beschneien, dass die Eisschmelze insgesamt nennenswert reduziert wird, dürfte über einen Zeitraum von 30 Jahren rund 100 Millionen Franken kosten, kalkuliert Keller. Die Summe setzt sich aus Baukosten von 40 Millionen Franken sowie jährlichen Betriebskosten von zwei Millionen Franken zusammen. „Das kann die Schweiz schon stemmen“, stellt Keller ungerührt fest. Zugleich ist ihm klar, dass die Hürden für die Umsetzung seines Gletscherschutzkonzepts sehr hoch sind. Seine eigene Einsatzbereitschaft schmälert das nicht: „Ich möchte meinen Enkeln sagen: Wir haben es zumindest probiert.“
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