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#Wie Kassel „7000 Eichen“ bekam

Wie Kassel „7000 Eichen“ bekam

Der Pferdemarkt, eine kleine Straße im Zentrum Kassels, ist nicht sonderlich idyllisch. Erbaut auf den Trümmern der im Krieg zerstörten Altstadt, sind die Häuser hier nüchtern und unspektakulär; einige Meter entfernt rauscht der Verkehr über die laute Kurt-Schumacher-Straße. Wer aber neben dem Haus Nummer 6 den Durchgang zum Innenhof nimmt, findet dort einen überraschend grünen Fleck: Eingefasst von niedrigen Steinen steht dort eine verwunschene Reihe von Bäumen, umgeben von Beeten und Wildwuchs. Und neben den Bäumen je eine Basaltstele.

Der sehr kleine Wald wurde am 16. März 1982 angelegt und ist Teil eines sehr großen Kunstwerks, das Joseph Beuys in Kassel angestoßen und verwirklicht hat. Begonnen im Jahr der Documenta 7, vorläufig abgeschlossen fünf Jahre später zur Documenta 8, trägt das Kunstwerk „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ sein Vorhaben schon im Titel. Ein Foto, ebenfalls vom 16. März 1982, zeigt Beuys, wie er vor dem Museum Fridericianum, im Herzen der Stadt, mit leicht angespanntem Lächeln eine Schaufel voll Erde hebt, um sie in das Loch zu schütten, in dem die allererste Eiche, berührend dünn und kahl, schon gepflanzt ist.

So sah sie vorher aus: Die Ludwig-Mond-Straße in Kassel, 1987


So sah sie vorher aus: Die Ludwig-Mond-Straße in Kassel, 1987
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Bild: D.Schwerdtle/Stiftung 7000 Eichen/ VG Bild-Kunst

Was auf dem Bild noch fehlt, ist der zugehörige Basaltstein, der neben jedem Baum als Teil des Kunstwerks stehen sollte. Beuys ließ sie auf den Friedrichsplatz vor dem Fridericianum bringen, wo sie keilförmig aufgeschichtet wurden – ein ebenso gewagter wie listiger Einfall: Siebentausend Steine als Mahnung an alle Beteiligten, die Aktion voranzubringen. Am Schwund der Basaltstelen ließ sich ablesen, wie weit man war, wie viele Bäume im Stadtgebiet angepflanzt worden waren. Beuys begeisterte viele Helfer, wer wollte, konnte für fünfhundert Mark eine Baumpatenschaft übernehmen, eine Auktion von gestifteten Kunstwerken brachte ebenso Geld in die Baumkasse wie das öffentliche Einschmelzen und Umgießen einer Zarenkronekopie. Pünktlich zur nächsten Documenta schloss sich der Kreis, der siebentausendste Baum wurde neben den ersten gesetzt. Da war Beuys schon tot.

Wer eine ganze Stadt langsam mit Grün flutet, der denkt in größeren Dimensionen als die eines Menschenlebens. Niemand, der Vorher-nachher-Bilder jener Kasseler Straßen sieht, in denen die Beuys-Bäume gepflanzt wurden, wird bestreiten, wie sehr sich die Stadt dadurch gewandelt hat, welche Konturen die einzelnen Pflanzen oder auch ganze Alleereihen ihren Standorten verleihen. Zum Erbe des Künstlers gehört auch, dass die Stadt sich um den Erhalt ebenso kümmert wie um den Ersatz für abgestorbene Bäume – auch knapp vierzig Jahre später seien es immer um die siebentausend, sagt die Kulturdezernentin Susanne Völker, zugleich Vorsitzende des städtischen Beirats 7000 Eichen. Das atmende Werk, sagt sie, repräsentiere die Documenta-Kunst in Kassel, verglichen mit spektakulären Relikten wie dem Erdkilometer, dem Obelisken oder dem Himmelsstürmer, zugleich am sichtbarsten und am wenigsten sichtbar. Beides zeigt sich in der stolzen Beiläufigkeit, mit der die Beuys-Bäume (von denen nur etwa die Hälfte tatsächlich Eichen sind) die Stadt inzwischen durchdrungen haben. Seit 2005 steht das gesamte Kunstwerk unter Denkmalschutz. Das heißt nicht, dass buchstäblich jeder einzelne Baum bleiben darf, wo er steht. Manchmal stehen sie Baumaßnahmen im Weg, die nicht vollständig abgewendet werden können, oder die ökologischen Bedingungen ihres Standorts ändern sich so spürbar, dass ein Ersatz für einen abgestorbenen Baum an derselben Stelle wenig sinnvoll ist. Dann wird ein neuer Ort gesucht.

Zum hundertsten Geburtstag des Künstlers hat die Kasseler cdw Stiftung zusammen mit der Stiftung 7000 Eichen den Führer „Beuys to go“ herausgegeben, der sieben Spaziergänge durch Kassel auf den Spuren des Kunstwerks beschreibt. Einer von ihnen führt gut fünf Kilometer durch die Innenstadt. Wie die Aktion selbst beginnt und endet er vor dem Fridericianum, wo der erste Baum mächtig herangewachsen ist, neben ihm wieder die von Spalten durchzogene Basaltstele. Der siebentausendste Baum jedoch bemüht sich sichtlich, den Vorsprung der fünf Jahre aufzuholen. Der Weg führt vorbei an Kunstwerken, die von der einen oder anderen Documenta übrig geblieben sind, und an Wohngegenden wie dem Pferdemarkt. Und irgendwann merkt man, dass einem die Beuys-Bäume gar nicht mehr auffallen. Außer, wenn sie fehlen.

Informationen unter www.beuyslaborkassel2021.de und www.7000eichen.de/

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