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#Wie schlägt sich die Liebe in brüchiger Zeit?

Wie schlägt sich die Liebe in brüchiger Zeit?

Felix Voss (Fabian Hinrichs), der stets von innen strahlende, unerschütterlich an das Gute im Menschen glaubende Kommissar, und seine Honigfrau vom Markt: Das war in seiner unbeholfenen Zuversicht ein selten anrührender Moment selbst für die französischste, jedenfalls emotional sensibelste Ausgabe der „Tatort“-Reihe, für die das Franken-Team seit sechs Jahren steht.

Was wurde aus dem zarten Honig-Band der Vorgängerfolge? „Wir sind verlobt“, sagt Voss dazu nun, was aber ein leiser Scherz ist, der nur verständlich wird durch den Hinweis, dass er sich durch eine Bemerkung seiner Kollegin Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) – Hals über Kopf sei sie in einen Bamberger Lehrer verliebt – freundlich auf den Arm genommen fühlt. „Schön wär’s“, schiebt Voss also hinterher, und da haben wir so etwas wie das Leitmotiv der meist eleganten Filme rund um die Nürnberger Ermittler: ein mächtiger Konjunktiv, aber einer, der nie ganz unerreichbar scheint.

Statt des üblichen Einzelkämpferpathos und desillusionierten Zynismus herrschen hier im Süden (noch) Mitgefühl, Schüchternheit, Hoffnung und Urvertrauen in die Kollegen. Im Herzen Frankens nichts als Polizisten der Herzen, verträumt und nahbar: Entgegen aller Erwartung wirkt das weder altbacken noch achtsamkeitsaufdringlich, sondern einfach bestechend ehrlich. Dafür ist eine nuancierte Darstellerleistung ebenso verantwortlich wie der Mut der Autoren, sich von den Figuren leiten zu lassen, nicht von möglichst krassen Falldramatiken oder gar vom Realismus. Im aktuellen Buch von Thomas Wendrich wird das besonders deutlich: Es führt uns an der Seite starker Charaktere in eine Welt der starken Gefühle. Dabei wird es äußerst finster, was man sich vielleicht nur mit einem so menschenfreundlichen Team im Rücken leisten kann, ohne ins Depressive abzurutschen.

Wohlhabender Vater, jähzorniger Choleriker

Es ist eine Welt, in der ein wohlhabender Vater (Andreas Pietschmann) zugleich ein jähzorniger Choleriker ist, der von seiner getrennt lebenden, nicht nur – und grenzwertig aktualitätsbeflissen – als Impfgegnerin verachteten Ehefrau (Linda Pöppel) zunächst hasserfüllt angeschrien wird, weil der gemeinsame fünfjährige Sohn seit drei Tagen verschwunden ist (beide dachten, er sei bei der anderen Person), bevor sie – die Situation hat sich noch einmal dramatisch verschlimmert – doch wieder zu ihm zurückkehrt („Ich liebe ihn“).

Dass dieser Vater eine innen betonroh belassene Blackbox bewohnt, eine Architekten-Kaprice, darf man so symbolisch verstehen, wie es aussieht. Angst vor dem gewalttätigen Vater zu haben, kann Voss, der das Kind, das er war, in Gestalt des verschwundenen Jungen überall herumsitzen sieht, gut nachvollziehen. Und noch jemanden treibt hier die Angst um, sogar bis nach Amsterdam: den offenbar an einer Psychose leidenden Jugendlichen Titus (Simon Frühwirth). Ob und inwiefern sein Verfolgungsglaube begründet ist, wissen wir lange nicht. Seine überforderte, übergriffige Mutter (Bettina Hoppe) holt den Jungen bald aus der Klinik wieder raus, in die die Polizei ihn nach einem Zusammenbruch gebracht hat.

Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) beobachten Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die zum ersten Mal eine VR-Brille ausprobiert.


Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) beobachten Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel), die zum ersten Mal eine VR-Brille ausprobiert.
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Bild: BR

Regisseur Andreas Kleinert lässt sich so tief auf die aus intimer Nähe porträtierten Figuren ein, dass wir nicht nur mit Voss’ Augen auf das Geschehen blicken, sondern auch Ringelhahns vorauseilende Sorgen als vermeintliche Realhandlung erfahren oder in Titus’ Wahnperspektive Maden durch Professorenbärte kriechen sehen. Auch der ontologische Status von Titus’ Freundin Coco (Michelle Barthel) ist zumindest heikel. Für die Rolle des Ringelhahn-Liebhabers Rolf, der dritte und wichtigste Handlungsstrang, wurde kein Geringerer als der famose Sylvester Groth verpflichtet. Ihm gelingt es, den erzähltechnisch hier nicht allzu überzeugenden Plot, der aber vor allem thetisch zu sehen ist – ein maximal zugespitztes Vertrauensdilemma –, mit so viel Würde und Grazie zu verkörpern, dass der seltsame Zufall, dass ausgerechnet der Geliebte der Kommissarin ins Zentrum der Handlung rückt, kaum anstößig wirkt.

Gegen den freigestellten Lehrer nämlich laufen zwei Missbrauchsuntersuchungen, wie Voss der bald zwischen Unglauben und Misstrauen hin und her gerissenen Kollegin mitteilt. Der verschwundene Junge wohnte schließlich nicht weit entfernt.

Was Wendrich und Kleinert mit der Hilfe der nie hektischen, aber immer dynamischen Kamera von Michael Hammon in Gang setzen, ist so etwas wie eine komplexe Mechanik des Tragischen, ein Uhrwerk aus Missverständnissen, Ängsten, Vertrauensbrüchen und in ihr Gegenteil umschlagenden guten Absichten, in dem zwischen Ursachen und Wirkungen keine simplen Konditionalbeziehungen herrschen, sondern eher verunfallte Konjunktive, und das doch den Zeiger erbarmungslos in Richtung Katastrophe ticken lässt. Das Gezeigte ist nicht unbedingt zuverlässig, aber das Bedrückende geht vor allem vom Weggelassenen aus, vom kindlich-albtraumhaft Erahnten, das im übersteuerten Weiß einer Heilanstalt oder im Dunkel eines Kellers verschwindet.

Das Bild der Gesellschaft, das dieser melancholisch gestimmte, in seinem großen Stilwillen ästhetisch überzeugende „Tatort“ zeichnet, ist mit Absicht nicht vollständig. Und es sind die Lücken, in denen das Teuflische lauert. Um Schuld geht es dabei weniger, weil sie sich so breit verteilt. Vielmehr deutet der Film bei aller verhängnisvollen Tragik leise an, wie schön es doch wäre, hülfen wir uns gegenseitig über solche Fallgruben hinweg. Wie schlägt sich nun aber die Liebe in der brüchigen Welt? Gar nicht nur schlecht. Das macht es besonders sehenswert.

Der Tatort: Wo ist Mike? läuft an diesem Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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